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Wenig Plate für Ärzte Gesucht sind Apotheker

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Die „Götter in Weiß" üben auf viele Maturanten eine ungebrochene Faszination aus. Das Berufsziel Arzt steht trotz aller Warnungen ganz vorne auf der Stu-dienwunschliste.

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Die „Götter in Weiß" üben auf viele Maturanten eine ungebrochene Faszination aus. Das Berufsziel Arzt steht trotz aller Warnungen ganz vorne auf der Stu-dienwunschliste.

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Mit dem Beruf Arzt verbindet die Öffentlichkeit nach wie vor hohes Sozialprestige und höchste Einkommen. Was Wunder, wenn in den letzten zehn Jahren ein regelrechter Sturm auf die drei medizinischen Fakultäten in Wien, Graz und Innsbruck ausgebrochen ist.

Die Rede von der drohenden „Ärzteschwemme" ist längst nicht mehr ausschließlich „Miesmacher-Propaganda" der gesetzlichen Standesvertretung. Die Realität hat die Prognosen der Ärztekammer eingeholt.

Im Moment studieren rund 20.000 Österreicher Humanmedizin, das bedeutet, daß auf jeden fertigen Arzt bereits ein Medizinstudent kommt. Selbst wenn man die Zahl der Studienabbrecher mit 50 Prozent ansetzt, dann werden immerhin noch etwa 10.000 Studenten ihr Studium in allernächster Zeit beenden. Sie sind dann zwar promovierte Akademiker, bis zur tatsächlichen Berufsausübung als Arzt fehlen ihnen aber noch die vorgeschriebenen drei Praxis jähre in einem Spital oder in einer Klinik.

Doch diese sogenannten Turnusplätze sind im Vergleich zum tatsächlichen Bedarf heute eine Mangelware. Allein in Wien warten über 700 promovierte Mediziner auf eine Ausbildungsstelle, das ist fast ein kompletter Absolventenjahrgang. Zur Zeit müssen sich fertige Medizinstudenten daher auf eine zwei- bis dreijährige Wartezeit einrichten. Auf Protektion zu hoffen, ist beinahe aussichtslos.

Wenn also die personellen und räumlichen Gegebenheiten auf den Universitätskliniken mit den rund 1.750 Studienanfängern pro Jahr gerade noch zurechtkommen, dann erweist sich die Turnuszeit als regelrechter Flaschenhals, durch den nur eine begrenzte Zahl der promovierten Mediziner Zugang zur Berufsausübung findet.

Und selbst dann, wenn der junge Arzt glücklich über dieses Hindernis hinweggekommen ist, erwarten ihn auf absehbare Zeit keine rosigen Berufsaussichten.

Die Finanzierungsengpässe in unserem Gesundheitssystem insgesamt lassen für die nächsten Jahrzehnte kaum entscheidende personelle Ausweitungen — sprich mehr Ärzte pro Patient — erwarten.

Wer auf den natürlichen Abgang aus dem Berufsleben infolge von Pensionierungen setzt, dem muß vor Augen gehalten werden, daß das Durchschnittsalter etwa bei den praktischen Ärzten heute um die fünfzig Jahre liegt.

Aber schon in fünf bis zehn Jahren wird das Durchschnittsalter bei knapp über dreißig Jahren liegen. Die Chancen auf einen Vertrag mit einer Krankenkasse oder mit einem Spitalsträger haben sich dann für die Studienanfänger 1984 noch einmal entscheidend verschlechtert.

Ärzte in freier Praxis ohne Kassenvertrag müssen in Zukunft in spezialisierte, zum Teil von Modetrends abhängige, Medizinbereiche ausweichen. Als Stichworte genannt seien hier nur Akupunktur, Homöopathie oder schwerpunktmäßige Betreuung älterer

Menschen in sogenannten geria-trischen Zentren und Sanatorien. Mögliche „weiße Felder" im Arztberuf liegen in der Zukunft auch noch in den Bereichen Arbeits-, Sozial- und Vorsorgemedizin.

Die akademische Laufbahn auf einer der Universitätskliniken bleibt zum größten Teil jenen vorbehalten, die auf einen ausgezeichneten Studienerfolg verweisen können. Auch die Möglichkeit, in der pharmazeutischen Industrie als Berater oder in der medizintechnischen Branche als Vertreter unterzukommen, ist eher beschränkt.

Die Mindeststudiendauer für Humanmedizin beträgt nach der seit 1979 in Kraft getretenen neuen Studienordnung zwölf Semester, also sechs Jahre.

Zu dieser Mindeststudienzeit kommt als Voraussetzung für den Praktischen Arzt die dreijährige Spitalspraxis. Die Ausbildung zum Facharzt dauert nach dem Studium insgesamt etwa sechs Jahre; für den Zahnarzt ist eine zweijährige Fachausbildung an einer Universitätsklinik erforderlich.

Tatsächlich wird man sich aber auf eine durchschnittliche Studiendauer von mehr als 14 Semestern einstellen müssen, in deren Verlauf man insgesamt 24 schwere Teilprüfungen erfolgreich bestehen muß, bevor man sich mit dem Berufstitel Dr.med.univ. schmücken darf.

Mehr als empfehlenswert ist für Studienanfänger die Teilnahme an der Aktion „Spitalserfahrung für Erstsemestrige", die die Studentenvertretung in Wien kommenden Herbst zum zweiten Mal organisiert.

Zwar sind die angehenden Medizinstudenten zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht berechtigt, ärztliche Tätigkeiten auszuüben. Aber allein schon das Kennenlernen des zukünftigen Tätigkeitsbereiches kann davor bewahren, ein Studium zu ergreifen, dem man vielleicht psychisch nicht gewachsen ist oder dessen Berufsausübung dann nicht den persönlichen Vorstellungen und Erwartungen entspricht.

Was über die wenig rosigen Berufsaussichten für Humanmediziner gesagt wurde, gilt im wesentlichen auch für die Veterinärmediziner.

An der einzigen Veterinärmedizinischen Universität Österreichs in Wien studieren rund 1.500 Studenten, das sind mehr Studenten als zur Zeit praktizierende Tierärzte plus Pensionisten zusammen ausmachen.

Während Jahr für Jahr an die 80 junge Tierärzte die Universität verlassen, stagniert der jährliche Nachwuchsbedarf bei rund 40 Stellen. Die Berufschancen für Tierärzte sind insofern noch schlechter als die der Humanmediziner, weil - nur zum Beispiel — der Viehbestand konstant zurückgeht.

(Bei Ärzten könnte man sich ja eine bessere Gesundheitsvorsorge durch mehr Ärzte und weniger Wartezeit in den Wartezimmern durchaus vorstellen, wenn nicht unser Sozial- und Krankenversicherungssystem in der Finanzierungsklemme steckte!)

Für das Diplomstudium mit dem Abschluß Mag.med.vet. sind zehn Semester und drei Diplomprüfungen vorgeschrieben. Nach drei weiteren Semestern und einer Dissertationsarbeit kann der akademische Grad' eines Dr.med.vet. erworben werden. Die Ausübung des Berufs eines Tierarztes ist aber nicht an den Erwerb des Doktorats gebunden.

Tatsächlich beträgt die durchschnittliche Studiendauer fast 16 Semester, also acht Jahre.

Es lassen sich pro Jahr zwar an die 80 Jung-Tierärzte in die Kammerliste eintragen, aber durch die angedeutete strukturbedingte rückläufige Entwicklung in der Landwirtschaft insgesamt müssen die tatsächlichen Berufs- und Verdienstchancen für angehende Tierärzte als triste bezeichnet werden.

Eine Ausweichmöglichkeit mit guten Chancen haben Veterinärmediziner dennoch: das zweise-mestrige Erweiterungsstudium Lebensmittelhygiene nach dem Erwerb des Magister-Titels. In diesem Bereich werden sich die Berufschancen auch in den kommenden Jahren günstig entwik-keln.

Wesentlich günstiger sind da schon die Berufsaussichten für Pharmazeuten. Nicht nur, jdaß sich der Andräng zu diesem Studium in den letzten zehn Jahren in Grenzen hielt. Auch die Zahl der Studienabschlüsse hat in den letzten Jahren leicht abgenommen.

In den insgesamt 900 öffentlichen Apotheken Österreichs gibt es derzeit rund 20 bis 30 offene Stellen. Die rund 180 Absolventen des Pharmaziestudiums pro Jahr finden relativ leicht eine relativ gut bezahlte Anstellung (15.000 bis 20.000 Schilling Anfangsgehalt im Monat).

Wer nun aber glaubt, er finde im Pharmaziestudium eine artverwandte Ausweichmöglichkeit zum überlaufenen Medizinstudium, darf sich nicht täuschen lassen. Gefragt sind in der Pharmazie in erster Linie besonders an naturwissenschaftlichen Themen (Physik, Chemie) interessierte Maturanten. Darüber hinaus ist das Pharmaziestudium mit seiner vielen Laborarbeit dahingehend organisiert, daß eine zusätzliche Erwerbstätigkeit neben dem Studium beinahe ausgeschlossen ist.

Zudem gilt die mindestens neunsemestrige Studiendauer nicht gerade als ein „Honiglek-ken". Im Vergleich zu anderen Studienrichtungen muß die Studienzeit äußerst lernintensiv verbracht werden. Nach zwei Diplomprüfungen und einer Diplomarbeit steht der Studienabschluß mit dem akademischen Grad des klassischen Mag.pharm.

Derzeit studieren in Wien, Graz und Innsbruck rund 1.800 Studenten Pharmazie. Auffällt, daß der Anteil weiblicher Studenten an der Gesamthörerzahl mit fast 80 Prozent weit über dem Durchschnitt liegt.

Engpässe gibt es im Verlauf des Pharmaziestudiums gelegentlich bei den Laborplätzen. So kann der Umstand nicht überraschen, daß die durchschnittliche Studiendauer bei fast 15 Semestern liegt, also bei mehr als sieben Jahren.

Nach Abschluß des Studiums muß eine einjährige Berufspraxis in einer Apotheke absolviert werden, an deren Ende die sogenannte Aspirantenprüfung steht.

Für eine selbständige Führung oder die Leitung einer Apotheke ist nach der Aspirantenprüfung eine fünfjährige Berufspraxis in einer öffentlichen Apotheke nachzuweisen.

Die Zahl der Apotheken ist in Österreich streng limitiert. Deshalb bestehen wenig Chancen für Apotheker, sich selbständig zu machen, beziehungsweise muß — abgesehen vom hohen Kaufpreis — auf die Übernahme einer bestehenden Apotheke oft Jahrzehnte gewartet werden.

Nur zu einem kleineren Teil finden und suchen Pharmazeuten Beschäftigung in der Pharmaindustrie (in Österreich sind zur

Zeit rund 300 Apotheker in der Industrie beschäftigt).

Alles in allem sind Ärzte, Tierärzte und Apotheker auf ein genau abgegrenztes Berufsfeld hin fixiert. Das hat den Vorteil, daß die Art der Berufsausübung leicht kalkulierbar ist. Der Nachteil: Bei Beschäftigungsschwierigkeiten auf Grund eines Uberangebots an Absolventen (siehe derzeit Medizin) ist das Wechseln in einen anderen akademischen Beruf praktisch ausgeschlossen.

Die Entscheidung für Medizin, Veterinärmedizin und Pharmazie soll daher gründlich überlegt werden.

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