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Fortwursteln

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Für die Ausländer heißt es bereits „Halt!“, wenn sie in Österreich gewisse Studienrichtungen belegen wollen — jene Fächer, in denen es auch in der Bundesrepublik Deutschland einen totalen Numerus clausus gibt und die Flut der Abgewiesenen ohne Riegel über die Grenzen abfließen würde. Für die Österreicher gibt es keine Einschränkungen, sofern sie ihr Maturazeugnis zur Inskription berechtigt. Aber die Studentenzahlen steigen weiter — wird es auch hier notwendig werden, auszusieben, die Bremse anzusetzen? Wie sollen 80.000 Studenten zu Führungskräften ausgebildet werden — oder werden es 1980 schon 90.000 sein? Denn die Achtzigtausendermarke dürfte früher erreicht sein, als die Prognosen erwarten ließen.

Diesen Fragen war ein Pressegespräch gewidmet, das der in den vergangenen Monaten besonders aktiv gewordene Klub der Bildungsund Wissenschaftsjournalisten arrangiert hatte. Rektor Siegfried Korninger begrüßte dazu an der Universität Wien neben den Klubmitgliedern Vertreter der Rektorenkonferenz, der Assistenten und Studenten, aber auch des Ministeriums — und das Endergebnis zeigte, daß bei aller Bandbreite der Meinungen doch in vielem Übereinstimmung herrschte. Es soll keinen Numerus clausus geben, auch in Zukunft nicht. Vor dem Wirksamwerden langfristiger Planungen aber müßten Soforthilfen einsetzen — und diese wären in verschiedenen Bereichen denkbar.

Klubobmann Hugo Obergottsber-ger skizzierte die Lage im großen: ein Dutzend gesperrter Studienrichtungen in der BRD, etliche tausend Interessenten, die nach Österreich kommen wollen — aber auch hier überfüllte Institute, überlastete Lehrer. Was tun? Rektor Korninger ergänzte für die Universität Wien: 27.500 inskribierte Hörer, um 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Professoren und Assistenten an der Grenze der Leistungsfähigkeit, alle Räume 60 Stunden pro Woche ausgelastet. Aber trotzdem muß weitergearbeitet werden, denn dem Bildungsauftrag ist zu entsprechen. Hierin stimmte auch der Vorsitzende der Rektorenkonferenz mit der Ressortchefin überein: Der Rechtsanspruch auf Bildung darf nicht geschmälert werden, indem fragwürdige Notendurchschnitte fragwürdige Barrieren errichten.

Aber kann nicht bei einer Durchleuchtung der magischen Gesamtziffer angesetzt werden? Gibt es nicht bereits Anzeichen, daß die weitere Kurve abzuflachen beginnt? Wolf Frühauf, Ministersekretär, war dieser Ansicht ^ind belegte sie mit dem Hinweis, daß sich die Zuwachsraten der Studienanfänger verringern. 1970 — beim großen Sprung nach der Mittelschulreform — lagen sie bei 21 Prozent, 1972 bei neun, heuer nur noch bei sechs Prozent. Wirken schwächer werdende Jahrgänge — dann müßten die Zuwachsraten in den kommenden Jahren wieder steigen ■— oder beginnt die Warnung vor der Akademikerschwemme zu bremsen? Aber auch jene, die heute die Universitäten bevölkern — sie brauchen im Durchschnitt zu lange, länger als vorgesehen, viele fallen aus. Wenn es gelingt, durch die Durchführung der Studienreform die vorgesehenen Zeiten einzuhalten, wenn es gelingt, jene, bei denen es doch nicht reicht, frühzeitig darauf aufmerksam zu machen — dann müßte der Druck nachlassen. Dazu gehören aber auch verbesserte Lehrmethoden, bessere technische Einrichtungen. Und so mancher wäre auch mit einem berufsgerichteten Abschluß eines Kurzstudiums bedient — könnte man nicht angesichts des Zahnärztemangels sogar an einen „Magister med. dent.“ denken?

Vor allem aber müßte vermieden werden, daß junge Menschen semesterlang durch die Universität irren, ohne zu wissen, wie sie ihr Studium organisieren sollen, ja ohne zu wissen, ob sie eigentlich dafür geeignet sind. Assistentensprecher Günther Gfatter konnte aus eigener Erfahrung Konkretes beisteuern: An der Technischen Hochschule Wien haben die Assistenten einen Beratungsdienst eingerichtet, mit dem Erfolg, daß die Studienanfänger in kürzester Zeit das notwendige Wissen um das Wie, Wo und Wann erwerben, Fehlwege vermeiden konnten und früher zum Ziel kamen.

TH-Rektor Fritz Paschke ergänzte : Auch bei den Prüfungen gibt 6s solche Fehlleistungen. Es hat nichts mit Auslese oder Gängelung zu tun, wenn verlangt wird, daß die erste Diplomprüfung bestanden werden muß, bevor für die zweite anrechenbar gehört werden kann — es liegt im funktionellen Ablauf des Studiums. Und letzten Endes waren sich auch Professoren, Assistenten, Studenten und „Ministeriale“ darin einig, daß es ohne „Leistungsdruck“ nicht gehe, daß dem Rechtsanspruch auf freies Studium auch die Verpflichtimg zur Leistung gegenüberstehen müsse, wenn auch die Meinungen, wie diese Leistungen kontrolliert werden könnten, naturgemäß auseinandergingen.

Es gibt also manches, was sofort einsetzen könnte, ja was im Einzelbereich hier und dort längst in Eigeninitiative begonnen wurde — es wären schlechte Bürger der uni-versitas, wenn sie sich nicht überlegt hätten, wie aus den Engpässen herauszukommen wäre. Damit wird man aber nur, wie Korninger sagte, „fortwursteln“ können, wird man die Durststrecke durchstehen. Gleichzeitig aber muß für die Zukunft vorgesorgt werden — mit Bedarfserhebungen, mit wie vielen Nachwuchskräften die Wirtschaft in fünf bis zehn Jahren rechnen müsse, mit Kapazitätserhebungen, wie viele Lehrer an welchen Instituten wie viele Hörer versorgen können, darauf aufbauend mit langfristigen Ausbauprogrammen, mit der Adaptierung der Konzepte der Regierung, denn — wie Frühauf sagte — noch nie sei soviel gebaut worden wie in diesen Jahren. Wenn alle zusammenwirken, wird man wohl auch die für 1980 zu erwartenden Hörer noch sachgerecht ausbilden können. Aber das ist die Voraussetzung.

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