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Deutsche Hochschulen im Westen und Osten

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Die Krise des deutschen Studenten nach der Währungsreform, die eine erhebliche Einschränkung des Studiums und für den größten Prozentsatz der Weiterstudierenden die Notwendigkeit mit sich brachte, ihr Studiengeld selbst zu verdienen, scheint überwunden. Zahlenmäßig jedenfalls war im Wintersemester 1949/50 der Hochschulbesuch verhältnismäßig ebenso hoch wie in den Jahren 1928 bis 1934, die einen Höhepunkt in der Statistik des deutschen Hochschulwesens bedeuteten. Damals betrug die Zahl der Studenten an den deutschen Universitäten, technischen Hochschulen und sonstigen Akademien jährlich etwa 115.000. Heute sind es im westdeutschen Bundesgebiet allein wieder 100.000. Zieht man in Betracht, daß 1928 bis 1934 an ostdeutschen Universitäten und jenen der abgetrennten Ostgebiete etwa 34.000 Studenten immatrikuliert waren, ist die heutige Zahl, trotz aller wirtschaftlichen

Nöte, die ein Großteil der Studenten immer noch zu bewältigen hat, beachtlich hoch.

Westdeutschland hat heute 15 Universitäten, 7 technische Hochschulen und rund 40 sonstige Hochschulen (Bergakademien, Kunst-, Musik-, Sport-, Wirtschafts- und theologische Hochschulen). Im Wintersemester 1949/50 waren rund 62.000 Studenten an den Universitäten immatrikuliert, 20.000 an technischen Hochschulen und etwa 15.000 an den übrigen Hochschulen. An den Universitäten betrug die Anzahl der Studentinnen etwa ein Viertel, 14,5 Prozent an den Fachakademien und 4,5 Prozent an den technischen Hochschulen.

Vom Blickpunkt der Studienfächer gesehen, steht Medizin an erster Stelle: 23,7 Prozent der Gesamtzahl der Studenten gehören der medizinischen Fakultät an, etwa 20 Prozent der philosophischen Fakultät und 17,4 Prozent studieren Jura. Rund 14 Prozent studieren Naturwissenschaften, 8,1 Prozent Wirtschaftswissenschaft und 4,6 Prozent Zahnheilkunde. Auf Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Pharmazie entfallen je etwa 1,5 Prozent der Studenten und bei den noch übrigbleibenden Fächern liegt der Anteil unter einem Prozent.

Von den Studenten der technischen Hochschulen haben sich über die Hälfte fürs Baufach entschieden; die übrigen Fächer wurden in folgender Reihenfolge belegt: Maschinenbau, Architektur, Naturwissenschaften und Elektrotechnik.

Im vergangenen Wintersemester war München die bevorzugteste Universitätsstadt: an der Universität studierten 8000 und an der Technischen Hochschule 4000 Studenten. Bonn zählte 5000 Studenten, Hamburg, Göttingen und Erlangen je etwa 4000. Bei den technischen Hochschulen konnten Stuttgart und Karlsruhe nahezu mit München konkurrieren. Was die noch übrigbleibenden Hochschulen angeht, waren die theologischen von Bamberg und Regensburg mit je 1000 Studenten am stärksten besucht.

Während an den westdeutschen Universitäten fraglos die sachliche Arbeit im Mittelpunkt des Interesses steht, und fie Studenten überall bemüht sind, die Bildungslücken des letzten Jahrzehnts auszugleichen, den Anschluß an die alte europäische geistige Tradition zu finden und lebendig zu erhalten, fällt an den ostdeutschen Hochschulen die gewaltsame Politisierung des gesamten Lebens ins Auge. Sie dokumentiert sich schon rein äußerlich in den zahllosen Propagandaplakaten, Transparenten, Lenin- und Stalin-Büsten und den unüberhörbaren Parolen der Lautsprecher: „Jeder Student ein Aktivist“, schreit es laut, oder „Seid bereit!“ leuchtet es an der Wand. An den Schwarzen Brettern übertreffen politische Resolutionen und SED-Kernsprüche weit die Ankündigungen der Vorlesungen und sonstige sachliche Bekanntmachungen.

Da allein SED-Studenten in Ruhe der Arbeit nachgehen können, während Angehörige der bürgerlichen Parteien und noch mehr die parteilosen scharf überwacht und in keiner Weise finanziell unterstützt werden, gibt es eine Menge Studierender, die „um der Sache willen“ das Parteibuch erwarben, ohne mit dem Geist dieser Partei etwas gemein zu haben. Zahlenmäßig gehören 60 bis 70 Prozent der Studenten der SED an. Offiziell werden sie mit „Genosse“ angesprochen, und oft genug betiteln sich die Eifrigsten unter ihnen auch untereinander so.

„Die Universitäten waren anfangs Einrichtungen der römischen Kirche, später wurden sie Institutionen der Landesfürsten, jetzt sind sie Erscheinungsformen des Volksstaates, das heißt: volkseigene Betriebe.“ Mit diesen sehr bezeichnenden Worten begrüßte ein Jenaer Professor 500 neue Arbeiter- und Bauernstudenten, die zahlenmäßig immer stärker an den ostdeutschen Universitäten vertreten sind. Sie erhalten alle erdenklichen Erleichterungen: Stipendien bis zu 300 Ostmark monatlich, Erlaß der Kolleggelder usw. Viele ostdeutsche Abiturienten dagegen, deren Eltern keine linientreuen Marxisten sind, sondern dem Bürgerstand und womöglich sogar akademischen Berufen angehören, werden zum Studium nicht zugelassen und schlüpfen in handwerklichen oder kaufmännischen Betrieben unter.

Die Fakultätseinteilung der ostdeutschen Universitäten gleicht vorläufig noch der des Westens. Es zeigt sich aber die Tendenz, bestimmte Universitäten immer mehr in reine Fachschulen zu verwandeln, zum Beispiel Jena auf Naturwissenschaften, Berlin, Rostock und Halle auf Medizin und Leipzig etwa auf Jura zu spezialisieren. Außerdem wurden an einigen Universitäten ganz neue Fakultäten errichtet: etwa eine gesellschaftswissenschaftliche und die sozialpädagogische Fakultät, deren Mittelpunkt das Studium des Marxismus und des dialektischen Materialismus bilden. 1947 entstanden die sogenannten Arbeiter- und Bauernfakultäten, denen jetzt etwa 35 Prozent aller Studierenden angehören. Dieser Anteil soll bis zu 60 Prozent erhöht werden.

Die Ostuniversitäten leiden allgemein Mangel an wirklich hervorragenden Dozenten. In Jena schieden zum Beispiel vor nicht langer Zeit vier Professoren der juristischen Fakultät innerhalb vier Wochen aus ihren Ämtern aus. Die ausgeschiedenen Dozenten werden häufig durch MVD-Dozenten ersetzt, die sich ihre Sporen irgendwo in Rußland verdient haben und die Politisierung der Hochschulen in noch stärkerem Maße betreiben; viele scheuen sich auch nicht vor Bespitzelung ihrer Schüler und zeigen sie den Säuberungskommissionen an.

Die für den Studenten so unerläßliche Freiheit des Geistes zu erringen und zu wahren, ist auf den ostdeutschen Universitäten nahezu unmöglich, und das ist schlimmer als die fachlichen Unzulänglichkeiten, die sich aus dem Mangel an guten Lehrern und der Belastung durch unverhältnismäßig viele politische Pflichtvorlesungen ergeben. Im ganzen kann man sich des traurigen Eindrucks nicht erwehren, daß die politische und geistige Zwangsjacke weit fester geschnallt ist als je zu den Zeiten des Nationalsozialismus, in dessen Ära Universitäten neben den wenigen nationalsozialistischen Professoren doch noch über einen Stab hervorragender Fachwissenschaftler verfügten, und über Menschen, deren Einfluß auf die Jugend nicht verloren war. Dafür ist heute auf den ostdeutschen Universitäten nur mehr wenig Raum.

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