6733780-1966_11_05.jpg
Digital In Arbeit

Student im fremden Land

Werbung
Werbung
Werbung

Im Wintersemester 1964/65 war jeder fünfte Student in Österreich Ausländer, in absoluten Zahlen: von den 48.082 in diesem Semester an den österreichischen Hochschulen inskribierten ordentlichen Hörern waren 9368, das sind 19,5 Prozent, Ausländer. Der Anteil der Ausländer an der Gesamtzahl der Studenten in Österreich war in den letzten Jahren zurückgegangen. Im Wintersemester 1959/60 hat er mit 29,3 Prozent seinen Höhepunkt erreicht, im Wintersemester 1963/64 betrug er nur mehr 20,4 Prozent, um dann im nächsten Jaihr auf 19,5 Prozent zu fallen. Diese Entwicklung wird durch ein ständiges Steigen der inländischen Hörerzahl verursacht, während die Zahl der ausländischen Studenten ungefähr gleichbleibt, wodurch deren Anteil rückläufig ist.

Die knappe Hälfte der ausländischen Studenten des Wintersemesters 1964/65 (4167) kam, wie der von der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft publizierten Untersuchung „Ausländerstudium und Entwicklungshilfe” zu entnehmen ist, aus Entwicklungsländern, der andere Teil war dem Ruf der österreichischen Hochschulen aus Industriestaaten gefolgt. Unter den nicht- industrialisierten Staaten war Griechenland das am stärksten vertretene Herkunftsland (36,4 Prozent aller Studenten aus Entwicklungsländern), gefolgt vom Iran (23,5 Prozent), Jordanien und Syrien (je 6 Prozent) und der Türkei (5 Prozent). Hauptanziehungspunkte für die Studenten aus den Entwicklungsländern waren (und sind) die Universitäten Wien und Graz, die Technischen Hochschulen Wien und Graz sowie die Montanistische Hochschule Leoben.

Es hätte wenig Sinn, bei einer Untersuchung der Situation ausländischer Studenten in Österreich die Studenten aus den Industrieländern mit den aus den unterentwickelten Gebieten gemeinsam zu behandeln. Zu unterschiedlich ist hier die Problematik (Motive, Dauer des Aufenthaltes, Kontaktschwierigkeiten, Reintegration usw.). Daher sind diese beiden Gruppen zu trennen, und die zweifellos interessantere, die Gruppe der Studenten aus den Entwicklungsländern, soll Gegenstand der weiteren Betrachtungen sein.

Studienkosten

Sicherlich ein Grund für den nach wie vor hohen Anteil der Ausländerstudenten sind die relativ geringen Kosten für Leben und Studium in Österreich: mit einem Monatswechsel von zirka 2300 Schilling kann ein ausländischer Student seine Lebenshaltungskosten und die unbedingt notwendigen Kosten seines Studiums bestreiten. In ganz Europa sind nur Griechenland und Portugal billigere Studienländer für Ausländer, während in den für Studenten teuersten Staaten, in Frankreich und Großbritannien, ein Ausländer monatlich über einen Betrag, der den für Österreich notwendigen um fast 100 Prozent übersteigt, verfügen muß.

Die relativ geringen Studienkosten ln Österreich werden nur dadurch ermöglicht, daß der Staat den größten Teil der für ein Studium notwendigen Mittel selbst aufbringt. Für jaden Studenten (In- und Ausländer) mußte der Staat im Jahre 1963 20.000 Schilling im Durchschnitt aufwenden, für die mehr als 4000 Studenten aus den Entwicklungsländern betrug also die Gesamtsumme fast 100 Millionen Schilling. Allerdings muß ein ausländischer Student die dreifache Studiengebühr gegenüber einem Inländer bezahlen, aber auch durch diese Gebühren können nur acht Prozent der Gesamtaufwendungen des Staates für einen Studenten wieder hereingebracht werden, ganz abgesehen davon, daß Ausländer in besonderen Fällen von Bedürftigkeit den Inländern gleichgestellt werden können — ein Umstand, der natürlich gerade für die Studenten aus den Entwicklungsländern von Bedeutung ist.

Erwächst Österreich auch dadurch, daß es 20 Prozent seines Hochschulpotentials Ausländem zur Verfügung stellt, ohne Zweifel eine große Belastung, so wird das durch die dürftige Stipendienvergebung von österreichischer Seite an Studenten aus Entwicklungsländern gleichsam ausgeglichen. Nur vier Prozent dieser Studenten beziehen Stipendien, wobei das Bundesministerium für Unterricht, die katholische Frauenbewegung und das Afro-Asiatische Institut die meisten Stipendien vergeben. Daß nur ein so geringer Teil der ausländischen Studenten, die einer Unterstützung am meisten bedürfen, österreichische Stipendien erhalten, weist auf einen schwachen Punkt: Es wird dadurch eine gezielte Förderung, eine bewußte Auslese und damit eine auf weite Sicht geplante Bildungspolitik nach mehr qualitativen als quantitativen Kriterien unmöglich.

Zulassungsbedingungen

Will ein Ausländer in Österreich studieren, so muß er ein dem österreichischen Reifezeugnis ähnliches Dokument vorlegen und die notwendigen Kentnisse der deutschen Sprache nachweisen können. Ob diese Bedingungen erfüllt sind, entscheidet der Rektor (Dekan). Das Fehlen ausreichender objektiver Maßstäbe für die Prüfung der Frage, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Zulassung gegeben sind, führt zu einer oft sehr unterschiedlichen Beurteilung. Ein Ausweg wäre, so schlägt die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft vor, die Erstellung allgemeiner Richtlinien für die Beurteilung von Reifezeugnissen oder ähnlichen Dokumenten (wie es auch in der Bundesrepublik gehandhabt wird), die Bestellung einer ständigen Prüfungskommission und eventuell auch die Beurteilung der Deutschkenntnisse bereits im Heimatland des Studenten. Auch an eine Verbesserung und Intensivierung des 1962 eingeführten Vorstudienlehrganges für die Auslandstudenten, denen noch das erforderliche Wissen fehlt, wäre zu denken.

Das Studium

Ist nun der Student aus dem Iran, aus Griechenland oder aus der VAR nach mehr oder weniger mühevoller Überwindung alle Hindernisse nun glücklich an einer österreichischen Hochschule inskribiert, wird er auf einen Umstand stoßen, der schon lange Stein des Anstoßes für ausländischen Studenten ist: er hat keine Standesvertretung. Er darf zwar, bei Bezahlung des dreifachen Hochschülerschaftsbeitrages, an den sozialen Einrichtungen der Hochschülerschaft partizipieren, er hat jedoch keinen Anteil an der Willensbildung dieser öffentlich-rechtlichen Standesvertretung der österreichischen Studentenschaft. Ist es auch einerseits einzusehen, daß wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters der Hochschülerschaft Ausländer nicht ohne weiteres in den Genuß der Mitgliedschaft kommen können, so wäre es anderseits gerade im Interesse einer reibungslosen Zusammenarbeit österreichischer Stellen (vom Unterrichtsministerium über die Rektorate und Dekanate bis zur Hochschüler- schaft) mit den Auslandsstudenten gelegen, daß diese eine eigene offizielle Vertretung besitzen, die im Namen aller ausländischen Studenten in Österreich sprechen könnte. Es wäre an der Zeit, damit aufzuhören, diese berechtigten Anliegen auf die lange Bank zu schieben.

Ein anderer Faktor taucht während des Studiums auf: Der Student aus den Entwicklungsländern sieht sich von seiner österreichischen Umwelt isoliert beziehungsweise auf Kontakte mit Landsleuten beschränkt. Wo er aus seiner Isolierung auszubrechen versucht, trifft er vielfach auf verletzendes Vorurteil, beleidigende Anmaßung und Ablehnung. Das hat zur Folge, daß sich die große Mehrheit dieser Studenten gegenüber Kontakten mit Österreichern von vornherein sehr skeptisch zeigt und jede Form von „Betreuung” grundsätzlich ablehnt. Die Statistik zeigt aber, daß von den nicht betreuten Studenten aus Entwicklungsländern, das heißt von denjenigen, die keiner österreichischen Organisation verbunden sind, nur ein verschwindend geringer Teil sein Studienziel erreicht (1,3 Prozent), von den betreuten aber 60 Prozent!

Akademische Entwicklungshilfe

Diese Zahlen zeigen, wie sehr sich ein Bemühen von österreichischer Seite positiv auswirken kann. Allerdings müßte zuerst ein Umdenken bei vielen österreichischen Studenten, bei einem Großteil der Bevölkerung und zum Teil auch bei den staatlichen Stellen einsetzen. Die Meinung, wir würden bloß Almosen verteilen, wenn an unseren Hochschulen Ausländer aus unterentwickelten Gebieten studieren dürfen, ist zu revidieren. Zu sehr ist jede Form von gezielter Entwicklungshilfe eine notwendige Forderung aus der gesamten sozialen und ökonomischen Weltsituation heraus, als daß sie nur als Mildtätigkeit angesehen werden könnte. Österreichs Anteil am direkten wirtschaftlichen Aufbau der Entwicklungsländer ist sehr bescheiden. Um so mehr sollten wir die Form von Hilfe leisten, die uns vielleicht am ehesten liegt, eben akademische Entwicklungshilfe. Man müßte die Situation von Grund auf überdenken und dann auch neue Wege beschreiten, vielleicht durch Errichtung einer Hochschule in einem Entwicklungsland — was viele Probleme lösen könnte. Keinesfalls darf aber die Herausforderung ignoriert werden, die das immer größer werdende Wohlstandsgefälle in der Welt darstellt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung