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STUDENTEN

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Es ist ruhig geworden an unseren Universitäten. Ein Dezennium ist seit jenem berühmten Jahr vergangen, das - von Frankreich ausgehend - von unzufriedenen und ihrer Unzufriedenheit Ausdruck gebenden Studenten geprägt wurde und das den meisten jetzt Studierenden nur noch legendär bekannt ist. Heute bietet sich dem Betrachter ein ganz anderes Bild an den Universitäten und Hochschulen.

Was vor wenigen Jahren noch als „düstere Prognosen“ und „falsche Gerüchte von nicht entsprechend untergekommenen älteren Kollegen“ bezeichnet wurde, ist heute bereits sicheres Wissen für die Studierenden geworden. Das Gespenst der Akademikerarbeitslosigkeit kam auf leisen Sohlen bei kleinen philosophischen Fächern: eine Archäologin, die Musikunterricht gibt, ein unfreiwillig va-zierender Theaterwissenschaften-Absolvent.

Heuer warnten bereits die Standesvertretungen der Mediziner und Veterinäre die Studienanfänger vor ihrem eigenen Fach und verwiesen auf die äußerst prekären Berufschancen.

Die Studenten ziehen die Konsequenzen auf ihre Art. Was aus Deutschland vor ein paar Jahren noch wie ein Märchen klang, verwirklicht sich nun auch in Wien: bei Mediziner-Anfängertests brauchen kaum mehr Aufsichtspersonen eingesetzt zu werden, da nur noch wenige Kandidaten abschreiben lassen. Durch die aufgezwungene Selektion, bei der es um kostbare Monate geht, müssen die beiden Nachbarn durchfallen, damit der Kandidat reüssiert.

Eine weitere Konsequenz ist der Trend von und zu bestimmten Fächern. Was noch vor fünf Jahren „in“ war, ist heute wegen der erkannten Chancenlosigkeit der Absolventen „out“. Der Massenansturm hat sich so von den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen an der Universität Wien in Richtung Jus bewegt (die Zahl der Neuinskribierten stieg seit 1975 von 800 auf 1500); ähnlich ist die Situation bei den Medizinern. In diesen „klassischen Fächern“ wittern die Maturanten noch Chancen; bei den Juristen nach Aussagen der im Beruf Stehenden zuYn Teil berechtigte, wenn auch nicht mehr lange.

Dies und vor allem auch die neuen Studienordnungen, die immer größere Anforderungen für kürzere Zeit normieren, scheinen für manche Studienrichtungen den Studenten Mittelschularbeitsweisen aufzuzwingen; für interessante Nicht-Pflichtveranstaltungen ist auch schon wegen der rigorosen Sparmaßnahmen des Ministeriums kaum eine reale Chance.

Bis zu 500 Teilnehmer an juristischen Pflichtübungen (statt 15 bis 60), Vorlesungen von acht Uhr früh bis acht Uhr abends und auch an Samstagen, die katastrophalen Hörsaalverhältnisse an der Universität Wien (totale Überfüllung: 600 Studenten statt 320,400 statt 280 feuerpolizeilich Zugelassenen; Chemiker können nicht feststellen, ob der Kalk in der Probe originär enthalten war, oder ob er von der Decke stammt!) kennzeichnen den studentischen Alltag in Wien.

Wen kann es verwundern, wenn die politischen Gruppen an der Universität nur sehr wenig Resonnanz finden? Dabei ist das Angebot sowohl von der Ideologie als auch von den Leistungen her groß. Abgesehen von den Extremen (Moskau-Kommunisten, Nationalsozialisten, Maoisten, Deutsch-Nationale, Trotzkisten) sind vier Gruppen bundesweit von Bedeutung:

• Die österreichische Studentenunion (ÖSU) als Mehrheitsfraktion im gesamtösterreichischen Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft und auch an den meisten großen Universitäten, nach ihrer Eigendefinition eine „Gruppe der Mitte“, deren „ideologisches Spektrum bis zur Sozialdemokratie reicht“; dementsprechend breit ist auch die Meinungspalette bis zur Abschaffung des Bundesheeres und zum Gutheißen der Gesamtschule (ZA-Anträge).

• Zweitstärkste Fraktion ist der Verband sozialistischer Studenten Österreichs (VSStö), zu dem die SPÖ die Brücken abgebrochen hat, da zu oft Aktions- und Inhaltseinheiten mit kommunistischen Gruppen praktiziert wurden. Von ihm meinen allerdings die Spitzen der ÖSU (Georg Ka-rasek) und des Forum Innsbruck (Helmut Pintavelli), er stehe der ÖSU inhaltlich näher als

• die drittstärkste Studentenfraktion (bei den Juristen in Wien die zweitstärkste), die christlich-soziale, konservative Junge Europäische Studenteninitiative (JES). Sie steht der ÖVP inhaltlich näher als die ÖSU, da sie deutlich gegen die Fristenlösung und die Gesamtschule aufgetreten ist. Neben einem klären Grundsatzprogramm wendet sich die JES als einzige Fraktion gegen die Behandlung allgemeinpolitischer Themen (wie Chile oder die Neutronenbombe) in ÖH-Sit-zungen.

• Vom zum Teil deutsch-nationalen, zum Teil rechtsliberalen Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) ist seit der letzten Wahl in Wien kaum mehr etwas zu hören, da er nicht einmal bei den wichtigsten Sitzungen erscheint, geschweige denn andere Aktivitäten setzt.

Obwohl von der österreichischen Hochschülerschaft und auch zum Teil von den Fraktionen selbst von Skripten über kostenlose Ehe-, Rundesheer-und Rechtsberatung, Wohnungs- und „Jobvermittlung“ bis zu Theaterkarten, Saunabons und Kindergarten alles nur Erdenküche angeboten wird, hegt die Wahlbeteiligung bei 30 Prozent (zur Ehre der österreichischen Studenten die höchste Quote in Europa und durchaus vergleichbar mit der Beteiligung bei anderen Standesvertretungswahlen in Österreich!). Die politischen Gruppen leben von einigen wenigen bienenfleißigen, nahezu alles andere hintansetzenden Aktivisten, ein breiter Widerhall bei den Studentenmassen bleibt ihnen aber versagt.

Dabei sollte gerade im Hinbück auf die künftige Stellung der Studierenden das Interesse an gelebter Demokratie als ständige Auseinandersetzung mit sach- und weltanschaulichen Fragen groß sein. Aber warum sollten die Studenten keine „echten Österreicher“ sein? „Politik, das sollen die dort oben machen; ich weiß von nichts und kann ohnehin nichts ändern.“

Der Orientierungsschwenk der Studenten in den letzten Jahren verlief um 180 Grad. Wenn aber die vielbeschworene und von manchen gerne überall registrierte Tendenzwende aus der „Tendenz zur geistigen Abstinenz“ besteht, kann sie von keiner Gruppe der Gesellschaft befürwortet werden. Was ist (staats)politisch gefährlicher als das Desinteresse breiter Bevölkerungsschichten, vor allem einer solchen, die doch schon vor ihrer Ausbildung her zum Gegenteil berufen ist?

Das Universitätsorganisationsgesetz (UOG), das die Universitätsautonomie sehr eingeschränkt hat, berührt die große Zahl der Studenten kaum; lediglich den Funktionären bringt es unendlich viel Zeit- und Arbeitsaufwand. Außer der JES (sie war als einzige dagegen) ließen sich die Studentenfraktionen auf den Handel mit dem Ministerium ums UOG ein:. wegen mancher Mitbestimmungsrechte wurde ihm zugestimmt. Heute stöhnen sie alle unter den fachlichen und legistischen Mängeln und undurchführbaren Durchführungserlässen, zu denen auf Professorenseite noch Lehr-und Forschungseinbußen wegen der aufgeblähten Administrationserfordernisse dazukommen. Für den desinteressierten Durchschnittsstudenten aber haben sich lediglich einige Fakul-täts- und Universitätsbezeichnungen geändert.

„Möglichst schnell fertigwerden“ lautet die Devise aller mit Recht besorgten Studenten, die ihr Studium nicht als Versorgungsplatz auffassen. Die spärliche Freizeit, die bei ständig steigendem Druck immer mehr eingeengt wird, wird nicht zu jenem gesellschaftspolitischen Engagement verantwortungsbewußter Akademiker verwendet, das von der angehenden „geistigen Elite“ erwartet werden könnte.

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