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Das „Gaudeamus“ ist dissonant

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Es war im Jänner 1968, lange bevor man den Protest der deutschen Studenten als Rebellion bezeichnen konnte, als 500 Studenten die Deka- natssitzung der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin belagerten und den gelehrten Herren das elektrische Licht abdrehten. Ihre Forderung: Neuordnung des Lehrbetriebes an einem Seminar der Fakultät und Mitbestimmung bei der Studienreform: beides lehnten die Professoren ab.

Zur gleichen Zeit stimmten achttausend Hamburger Studenten geordnet darüber ab, ob sie den vom Akademischen Senat bestellten Rektor auch haben wollen: ihr Votum blieb natürlich unberücksichtigt. Wie gesagt : das war im Jänner. Recht einleuchtende Gründe waren es auch, die fast gleichzeitig die Studenten Roms und die Studenten an der ehrwürdigen Sorbonne in Paris zu diszipliniertem Protest führten: Überall sollte das System der Universität verbessert und die Verwaltung einer Handvoll Professoren und Beamten durch studentische Mitsprache ergänzt werden. Wie gesagt: all das geschah zu einem Zeitpunkt, als noch kein Stein gegen einen Polizisten und noch kein Knüppel gegen einen Studenten eingesetzt wurde.

Heute freilich ist es in Berlin, Hamburg, Rom, Paris und in einem Dutzend anderer Städte zu spät. Die Forderung nach Reform der Hochschule ist längst in den Hintergrund getreten; und das bekämpfte akademische Establishment ist nur ein Teil des etablierten gesellschaftlichen Establishments, das zur Zielscheibe von Terror und Demonstration wurde.

Auch im schönen Österreich ist die Studienreform seit Jahren schöngeistiger Gesprächsstoff; dem Unter- richtsminister ist es sogar gelungen, Im vergangenen Jahr eine gesetzliche Grundsatzreform zu erreichen. Seither freilich redet man — wiie in Berlin, Hamburg und Paris — unter Ausschluß der studentischen Öffentlichkeit von den konkreten Maßnahmen, die der Hochschule eine neue Basis und den einzelnen Studienrichtungen neuen Inhalt geben sollen.

Sollte man sich wundern, wenn auch Österreichs Studiker zu Steinen greifen? Sollte es angesichts skandalöser Zustände, über deren Abschaffung man sich hinter gepolsterter Dekanatstüren nicht einigt, nicht auch zur allgemeinen Revolte kommen?

Man braucht sich nicht zu wundern: die ernsthafte Rebellion steht uns noch ins Haus. Und wenn auch alpenländischer Charme die Aggressivität ein wenig mildert — der Protest wird noch laut genug hörbar werden, um die Verantwortlichen für die Zustände an unseren Hochschulen aufzuwecken. Dann freilich darf man auch nicht staunen, wenn radikale Elemente die ungeordneten Haufen nicht nur gegen den Luegerring (wo die Wiener Universität liegt), sondern auch gegen den Rennerring (wo das Parlament liegt), führen.

Gingen Österreichs Studenten 1962, 1964 und 1967 auf die Straße, um vielfach mit den Professoren für ein höheres Hochschulbudget zu kämpfen, so fragen sie sich heute, ob es nicht etwa am System liegt — und den einzelnen Studienrichtungen und nicht sosehr an der Höhe der Subvention. Denn Österreichs Stu deuten sehen in ihren Professoren längst keine Vorbilder mehr:

• Willkür und Autokratie beherrschen das Vorlesungs- und Prüfungswesen. Wer in Seminaren oder Übungen dem Professor Material zur eigenen Verwertung liefert, darf auf gute Stimmung hoffen. Wer aber eigene Meinungen äußert, wird rücksichtslos benachteiligt. Disssertationen liegen oft monatelang in professoralen Schreibtischiladen: weil der Professor Gast- oder Urlaubsreisen unternimmt bzw. lieber lukrative Gutachten verfaßt;

• in manchen Fällen ist die Geldgier der Professoren nicht mehr überbietbar. Man reißt sich um dotierte Nebenposten, verlangt für jede Zeile Honorar und gönnt dem Nebenmann keine zusätzliche Vorlesungsstunde. Denn daß nichts reformiert wird, liegt oft nur daran, daß Vorlesungen, die längst abzuschaffen oder zu vermindern wären, von den zuständigen Ordinarien nicht aufgegeben werden wollen — weil das Kollegiengeld weniger würde.

• Neubestellungen von Ordinarien werden zu übelsten Cliquenkämpfen in den Kulissen; neue Fächer werden oft deshalb abgelehnt, weil die Zahl der „Esser“ am Tisch der Professoren nicht vermehrt werden soll.

• In manchen Studienfächern können die Studenten nur durch Bestechung des Büropersonals Prüfungstermine erhalten; in naturwissenschaftlichen Bereichen kann man teilweise nur durch „Schmieren“ zu Laborplätzen kommen. Die Professoren wissen darum — und ändern es nicht.

• In vielen Fällen mißbrauchen die akademischen Lehrer die Lehrfreiheit — und tragen Stoff vor, der auch nicht annähernd den Studenten bei der Prüfung hilft. Die Juristen stu-

dieren seit Jahr und Tag in Pauk- kursen — und nicht an der Universität Aber auch in anderen Bereichen wird das Skriptum aus Kursen oder aus der Hochschülerschaft zum einzigen Lernbehelf.

• Das aufreizendste aber ist der Stil, in dem Professoren und Hochschulpersonal den angehenden Akademiker behandeln: Es ist die Form mittelalterlicher Autokratie, deren Basis die rücksichtslose Ausnützung der Überlegenheit ist.

Unabhängige Komitees versuchen neben der Hochschülerschaft seit

Jahr und Tag, Verbesserungen vorzuschlagen. Freilich: auch viele Professoren sehen die Unzumutbarkeit der Zustände, viele leiden selbst unter den Gegebenheiten. Manche Professoren haben längst im kleinen Bereich die Mitarbeit der Studenten gefunden — doch nur allzu viele ziehen ihren Talar an (der sich seit der Zeit der großen Maria Theresia ebensowenig gewandelt hat wie viele akademische Zustände) und lassen die Reform der Hochschule in der untersten Lade ihres Katheders weiter verstauben.

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