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„Berliner Modell“ als Ursache?

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Die Eindrücke sind verwirrend, und die Eindrücke von Kommentatoren sind von entsprechender Vielfalt. Enttäuschung ist oft nicht zu übersehen— galt doch gerade die Freie Universität, an deren Gründung Studenten maßgeblich beteiligt waren, lange Zeit als ein Musterfall für die ideale Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, in der auch den Studenten ein allgemeines Mitspracherecht eingeräumt worden war.

Diese Beteiligung der Studenten — auch von der Technischen Univer-tttät Berlin praktiziert und gern als „Berliner Modell“ gerühmt — dürfte freilich auch eine der Ursachen am studentischen Unbehagen sein. Die studentische Selbstverwaltung — Studentenparlament, Studentenkonvent und allgemeiner Studentenausschuß (AStA) — entsenden zwei Sprecher in den Akademischen Senat und jeweils einen Vertreter in die Versammlung der Fakultät. Die Basis studentischer Mitbestimmung ist entsprechend schmal, denn das studentische Votum hat bei Abstimmungen geringes Gewicht. Das war kaum von Bedeutung, solange Professoren und Studenten in den ersten Nachkriegs jähren gemeinsame Sorgen unc — in den Berlin umgebenden sowje-tisierten Hochschulen — einen gemeinsamen Gegner hatten. All da, hat sich gewandelt. Die Studenten die sich gern als „Avantgarde de: Nation“ betrachten, haben eigen Vorstellungen von der Stellung de: Universität in der Politik entwik kelt. Mit der staatlichen Konsolidie rung der Bundesrepublik und mi dem Ende der unmittelbaren Auseinandersetzung mit sowjetisiertei Universitäten durch den Mauerbai im Jahre 1961 änderte sich aber aucl die Haltung der Professoren: ihn Wissenschafts- und Unterrichtspraxis schloß sich wieder den überkommenen Formen an; der Massenbetrieb in der Lehre tat ein übriges, um Professoren und Studenter einander zu entfremden. Nicht zuletzt Berliner Studenten waren es die im Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) neue Gedanker zur Hochschulreform formulierten Doch die Vorschläge und Denkschriften blieben meist ohne Echo unc verschafften den Studenten auf dies« Weise Anlaß zu umfassendem Verdacht gegen die Gesellschaftsordnung im allgemeinen: „Establishment“ wurde mehr und mehr zui höhnischen Bezeichnung.

Demokratisierung?

Gleichzeitig gewann ein Studentenverband Auftrieb, der im politischen Leben außerhalb der Universität eine bittere Schlappe erlitter hatte: 1960 trennte sich die SPI wegen unüberwindlicher Differenzei von ihrer Studentenorganisation dem Sozialistischen Deutschen Stu dentenbund (SDS). Sein Scheiten am „Establishment“ verschaffte ihm in der Studentenschaft ein gewisses Ansehen; sein Eifer, auch weiterhin in der Hochschule gestaltend mitzuwirken, verschaffte ihm beträchtlichen Respekt. Im gleichen Jahre noch legte der SDS eine Denkschrift „Hochschule und Demokratie“ vor, die seither zum Fundament beinahe aller studentischen Argumente zum Thema Hochschulreform geworden ist. Auch der jüngere Sozialdemokratische Hochschulbund zehrt in seiner hochschulpolitischen Argumentation noch immer von diesem Gedankenmodell, in dessen Mittelpunkt die „Demokratisierung der Universität“ steht. Daß dieser Begriff unter Berliner Studenten inzwischen zum Schlagwort geworden ist, das von durchaus unterschiedlichen Deutungen erfüllt wird, bestätigt nur den verbreiteten Unmut über den gegenwärtigen Zustand der Universität in der Bundesrepublik, im besonderen in West-Berlin. Das „Berliner Modell“ erweist sich als folgenschweres Experiment.

Ein weiterer Gesichtspunkt trägt dazu bei, das Büd der Studenten von Berlin zu komplizieren: Es ist seit den Jahren der Universitätsgründung weit pluralistischer geworden. Das politische Spektrum reicht von den — früher an der Universität verbotenen — eher konservativen Burschenschaften und Korps bis zu einer „Kommune“, die im Banne Maos steht und sich neben anarchistischen Happenings durch libertine Sexualbräuche hervortut. Die Korporationen sind im Zusammenhang mit dem „heißen Sommer“ dieses Jahres nicht hervorgetreten; anderseits hat sich niemand vom grober Unfug der Kommunarden distanziert. „Die Studenten“, wie es meist verallgemeinernd heißt, präsentieren sich als durchaus solidarische Gruppe und als Widerpart des „Establishments“ in Universität und Stadt.

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