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Eine Radau-Clique ist unterwegs

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Ein turbulenter Wochenanfang, ein turbulentes Wochenende in zwei europäischen Städten: Transparente, Steine gegen Häuser, Knüppel der Polizei gegen Demonstranten. Grund der Aufregung: der Kaiser des Iran kam nach Wien, sich hier einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Und er flog von Wien nach Zürich, von wo er sich zu seiner Familie begeben wollte, die in der Schweiz Winterferien macht. Nun, man mag über das Regime des Schah denken wie man will. Bin Privatmann, ein Tourist kam in zwei europäische Fremdenverkehrsländer. Es ist keine Frage, daß die Volksfrontdemonstration von Wien absolut Minderheitencharakter innerhalb der Studentenschaft aufwies. Die Linksstudenten vom VSStö hatten (abgesprochen oder einseitig-bewußt) eine Demonstration der KPÖ, die groß in der „VolkssUimme“ angekündigt war und sich gegen Vietnam richtete, zu ihrer Schah-Revolte benützt Zwischen dem Hotel „Imperial“ und der Oparnkreuzung kam es zur Koalition, und niemand konnte mehr klar trennen, wer wo gegen was demonstrierte. In Zürich war die „Revolution“ geigen den Schah fast ausschließlich von der Jungen Linken getragen — aber es schlössen sich dort die professionellen Friedensfreunde, Ostermaschiierar und Atomwaffengegner an. (Obwohl Persien seit Jahren Frieden bewahrt, keine übermäßige Rüstung besitzt und schon gar nicht ein Atomwaffenarsenal hat.)

Es geht, steht man diese Minirevolutionen im richtigen Licht, nicht um Hystenie, übertriebene Sorge für das Establishment oder ungestörten Bürgerfrieden; es geht um etwas ganz anderes: eine winzige militante Gruppe zieht quer durch Europa, Sektenpredigern gleich, alber mit dem revolutionären Pathos von Computerstürmen, die in aufgeklärten Technokraten Kulturrevolution nach dem Muster von unterentwik-kelten Baueirnvölkern spielen wollen. Das Phänomen erlebte seine Frühgeburt in einer heißen Nacht vor der Berliner Oper, wo ein Student von einem Polizisten abgeschossen wurde; dieser Student, Benno Ohnesorg, gehörte zu jener Schar von Aufsässigen, die gegen den Schah und Färah Diba demonstrierten. Der Tod des Berliner Jungphilosophen führte zur Solidarisierung eines Großteils der Berliner Studenten gegen die Knüppelpolizei der Front-staidt. Um so mehr auch in der Bundesrepublik der Knüppel gestörten Bürgerfrieden restaurierte, desto aufsässiger wurde eine wachsende Schaff unzufriedener Soziologie-Politologie-Studenten, deren Anstel-hinigschanoen im Bürgerdeutschland schlecht sind. Heute wissen wir, daß die revolutionären Kleingruppen ursprünglich Geld aus Ost-Berlin bezogen haben.

Und wir wissen auch, daß unter den Augen der Grenzbeamten ein reger Wechsel über den Rhein im Frühjahr 1968 bestand. Die Folge: der Deutsche Cohn-Bendit politisierte eine linke Studentenminderheit in Namterre und später in Paris, ließ sich von der Polizei verprügeln und vom Rektor religieren, um die Solidarisierung der sowieso links anfälligen studentischen Intelligenz zu erreichen. Die Revolutionierung blieb nicht aus, Frankreich rutschte an den Rand des Chaos. Haute registrieren wir, daß an fast allen Hochschulen Europas und der USA Kleinstgruppen bestehen, die überall die gleiche Taktik verfolgen. Sie emanzipieren sich von der Forderung der studentischen Mehrheit nach akademischer Reform, lassen sich auf der Straße mit dem überall konformen Polizistenterror ein, gelangen über die dienstbeflissenen Massenmedien in das Bewußtsein der breiten Masse und hoffen, dadurch eine Umfunktionierung der Gesellschaft einzuleiten. Doch sie erzeugen nur das Gegenteil: in ganz Europa wehrt sich der Arbeiter, und mit ihm auch die Arbeiterparteien, gegen die aufdringliche proletarische Einheit; weite Gruppen der Bevölkerung finden kein Unterscheidungsmerkmal und sind pauschal gegen diese Studenten, ,ydie auf Kosten des Staates leben und nichts arbeiten“ (ein Wiener Taxler nach der Schah-Demonstration).

Diese Junge Linke redet zwar von Demokratisierung, muß sich aber bei Wahlgängen immer ihre geradezu lächerliche Minderheit zeigen lassen und wird aus diesem Erlebnis nicht nur anti-autortitär, sondern auch anti-demokratisch, wie die Ergebnisse und die Vorfälle der letzten Hochschulwahl in Österreich überdeutlich zeigen. So ist die Zeit endgültig gekommen, die internationale Clique zu demaskieren. Jean-Paul Sartres Behauptung, die Protestler seien „Teil einer großen internationalen Bewegung“, hat sich keinesfalls bestätigt. Denn diese Bewegung ist bereits zum Ghetto geworden.

Um so erstaunlicher ist die noch immer vorhandene Vielfallt, mit der ihr Zuträger, Dumme und Scharlatane auf die rachitischen Beine helfen. Die Massenmedien — gleichgültig welcher Farbe — freuen sich der Sensation gestörter Alltäglichkeit und reproduzieren tausendfach jede Provokation. An den Hochschulen lassen sich selbst Studenten-funktionäre der Mitte zu Links-Wanderungen verleiten. Und Links-Katholiken verwechseln modern mitdenkend, reformfreudig mit pro-vokativ.

So ist die neue Grüppohen-Linke keine Internationale einer ernsthaften Revolution, sondern eine Internationale der Dummheit und der Sensation — ihre Sympathisanten sind wie jene, die nach Lenins Ausspruch den Strick selbst drehen, an dem sie aufgehängt werden. So ist es an der Zeit, dem europäischen Faschingisscherz, der über li'beralisierte Grenzen von Staat zu Staalt zieht, ein Ende zu machen: Also Ausnutzung aller straf- und verwaltungsgesetzlichen Möglichkeiten, Relegation von den Hochschulen, Einreiseverbote und Stipendienentzug. Nicht aus Ängstlichkeit vor vorübergehend gestörtem Bürgerfrieden, sondern aus Verantwortung des modernen Intellektuellen: Der pseudo-akademischen Präpo-denz das rote Fell abzuziehen. Dann kann auch der Knüppel getrost im Sack verbleiben.

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