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Student sein in der Konjunktur

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Die Studenten sind 1918 und 1945 sehr verschieden aus dem Feld zurückgekommen. Die große Begeisterung der Maturanten des August 1914, die bei Jaroslawice und Przemyslany im Feuer der russischen Maschinengewehre und später am Isonzo im Blut erstickt wurde, machte einer nüchternen Reife Platz. Diese Studenten wirkten älter, als es die Gleichaltrigen früherer Zeiten waren. Schon als Offiziere auf verantwortungsvollen Posten, drückten sie 1919 noch einmal die Schulbank, um ihr Studium zu vollenden. Man denke etwa an Raab, Dollfuß, Gleiß- ner, E. K. Winter. Ähnlich war es 1945, nur mit dem Unterschied, daß manche erst nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft heimkehren konnten. Der große deutsche Kulturphilosoph und Pädagoge Eduard Spranger hat in einer 1951 erschienenen Schrift iiįer dje fünf St|jįęntęngenCTątioqen .1900 bis 1949 berichtet, die er als Hochschullehrer ausgebildet hat: „Niemals hat eine Generation unter tragischeren Umständen studiert als die von 1946 bis 1949. Schon in äußerer Hinsicht: sie war mittellos, mangelhaft ernährt, gesundheitlich gefährdet, schlecht untergebracht, oft völlig heimatlos. Sie hatte auf der Schule wenig oder nichts gelernt. Sie hatte das schrecklichste Schicksal gehabt, einen Krieg zu führen, an dessen Sinn sie wenigstens zum Schluß in keiner Beziehung mehr glauben konnte. Sie hatte zum Teil schon einmal ungewöhnliche Macht besessen, und fand sich nun sogar entrechtet. Jetzt aber ereignete sich genau das Umgekehrte wie 1919. Wurde damals der älteren Generation an allem, aber auch an allem, schuld gegeben, so brachten jetzt die Studierenden den Lehrern ein Vertrauen entgegen, das von diesen nur in ganz seltenen Fällen als verdient empfunden werden konnte. Das verpflichtete nicht nur zur Dankbarkeit. Natürlich wollten und mußten diese um die besten Jugendjahre gebrachten Heimkehrer an schnelles Vor- wärtskommen denken. Sie wollten aber auch etwas lernen. Und dieser Lerneifer richtete sich keineswegs nur auf das Fachwissen. Sie suchten ernsthaft nach einem metaphysischen Halt des Lebens, teils religiös, teils philosophisch, teils auf beiden Wegen.“

Und Prof. Spranger, dessen Beobachtungen zweifellos auch auf die österreichischen Kriegsstudenten zutreffen, schließt: „Wenn ich aus der Erfahrung von 40 Jahren am Ende dieser Wanderung bekenne, daß die studierende Jugend von 1945 bis 1949 die ernsteste und beste war, der ich je begegnet bin, so stehe ich mit meinem Urteil nicht allein. Von fast allen Universitäten und von fast allen Studienfächern habe ich das gleiche Urteil gehört - meist in der präzisen Fassung „Wenig Wissen, aber edelste menschliche Substanz“.

Wachablöse

Nun hat die Kriegsgeneration schon längst ihr Studium vollendet und steht mitten im Leben, ist überall zu finden. Seit zehn Jahren kommen die jungen Studenten, frisch aus der gymnasialen Zucht entlassen, mit anderer innerer Haltung zur Alma mater als die Kriegsteilnehmer. In frühester Jugend hatten sie im Bombenhagel, auf der Flucht und in den Jahren des Hungers die Not des Lebens kennen und erfahren gelernt, wie man sich ihrer erwehrt. Sie wurden dadurch zu sachlichem Denken erzogen, sind im Zeitalter des Motors auch abwägender und berechnender. Umwälzungen und Zusammenbruch machten sie hellhörig. Bei der Berufswahl entscheidet nicht so sehr die Neigung, als die Aussicht auf eine sichere Position. Man kalkuliert die Nutzeffekte sorgsam ein und denkt schon im ersten Semester an die Endexamina. Sie sind als Kinder der Verfolgten in dieser oder jener Richtung „gebrannte Kinder“, denen das Elternhaus eine kräftige Portion Skepsis mitgegeben hat. Daher ist in ihrem Denken für irreale Sehnsüchte kein Raum. Die Studenten sind allerdings nur Teil einer ganzen jungen Generation, nur läßt sich an ihnen deutlich erkennen, was an den schon werkenden Altersgenossen so auffällig ist.

Rasch „fertig werden“

Mit Heftigkeit wehren sich die Studenten gegen die Vorwürfe der Trägheit und Interesselosigkeit. Mit Recht verweisen sie auf den angeschwollenen Lern- und Prüfungsstoff, auf die wirtschaftliche Bedrängnis. Nur bei großer Sparsamkeit könne man die Semester durchhalten. „Können Sie sich vorstellen“, sagte einer, „was es heißt, in einer Welt zu studieren, die erfaßt ist von einem sinnverwirrenden Wirbel eines kommerziellen Aufschwungs? In einer Welt, deren Maßstäbe Geld, Erfolg, Bequemlichkeit, Ansehen sind, deren Leitwort .Nützlichkeit' ist? Wissen Sie, was es heißt, Student zu sein in einer so merkantilen Atmosphäre, der alles Geistige suspekt, alles Kulturelle gleichgültig ist?“

Was Wunder, daß die Studenten daher ein mögliches Auslandsstipendium nicht in Anspruch nehmen, daß das

„Wandern“ von einer Universität zur anderen, das früher die Regel war, außer Mode kommt. Es wird auf einen Auslandsaufenthalt verzichtet, weil man ihn ja doch später im Beruf nachholen kann, hauptsächlich aber, weil man fürchtet, das ohnehin schon lange Studium noch länger auszudehnen. Dem Plus eines Auslandsstudiums steht also der zeitliche Verlust, die Nichtanerkennung der anderswo verbrachten Semester gegenüber. Ein Werkstudent verlöre seine Beschäftigung, ein anderer die Bude.

Doch das Wirkliche dieser neuen Gegenwart scheint nach H. Heigert die Gesellschaft zu sein, die keinen Anspruch mehr an die Jugend hat. Sie provoziert nicht mehr, sie verlangt wenig, sie zwingt kaum noch zur Heuchelei. Die Geschichte, die Fortfolge der Generation, so postuliert er si? abgebrochen. So Kommt es ja auch, daß ehe. schrecklichen Geschehnisse der jüngsten "Vergangenheit, die Konzentrationslager, den Jungen so gleichgültig sind, wie etwa die Hexenverbrennungen des Mittelalters. „Was wollen Sie von den Studenten“, klagte ein Ordinarius, „sie leben in einer Gesellschaft, in der sich geistig nichts mehr rührt.“

Die Widerstandslosigkeit findet ihr Gegenstück in der technischen Umgebung. Es ist alles machbar, herstellbar, große Energien werden nicht verzehrt, um große Ziele in die Tat umzusetzen. Hierzu gehört auch der junge Lehrling, der genug Stellenangebote bekommt und überall gelockt wird, und dem man damit das Grunderlebnis der Jugend genommen hat, mit seiner jungen Kraft eine Bresche in die Welt zu schlagen, zu rebellieren und sich sein Lebensrecht zu ertrotzen. Jeder ist ein „Kandidat der Vollbeschäftigungspsychologie“ (E. Schulz), denn jeder kennt das früher unbekannte Erlebnis, gesucht und umworben zu sein. An den Technischen Hochschulen stehen schon Stellenangebote für die höheren Semester angeschlagen. Bemerkenswert ist: die soziale Angst vor der anderen Klasse hat sich gelöst, das gilt für oben und für unten. Man arbeitet heute aus Not oder aus Snobismus oder um ein Wohlstandsdefizit zu decken, jedenfalls ist die Berufswelt nicht fremd.

Freilich, in kleinen Gruppen begegnet man wieder und wieder der Freude an der Diskussion. Indes, der Konformist hat es bequemer, der Mitläufer leichter. Das haben die Eltern gesagt. Darin unterscheidet sich der junge Akademiker fast nicht von den anderen. Niemand wird den turbulenten, Maß und Geist der Universitas zerstörenden Auseinandersetzungen der Jahre zwischen den beiden Kriegen nachtrauern, in denen, bewußt oder unbewußt, die Wege vorbereitet wurden, die zur Feldherrnhalle und später nach Stalingrad führten. „Die Studentenschaft", rief Heigert aus, „die gibt’s nicht mehr.“ Es gibt zu denken, daß Meldungen von aktiven, politisch interessierten Studenten aus den sogenannten unterentwickelten Ländern kommen. Gewiß, auch bei uns gibt es sie noch, die eigene Wege gehen. Lassen wir sie nicht in der Masse untergehen.

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