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„Vergeßt ihn nicht!“

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In einer Betrachtung über die politische und kulturelle Entwicklung im Dorfe wurde in der „Furche“ mit Recht bedauert, daß die Zahl der Lehrer immer geringer wird, welche kultureller Mittelpunkt und Motor der ländlichen Lebensgemeinschaft waren.

An dieser beklagenswerten Entwicklung ist nicht allein der Lehrer schuld. Vielmehr wollte jedes herrschende System und in der Demokratie jede Partei sich vor allem des Lehrers versichern. Das hat dazu geführt, daß dieser Personenkreis um seiner Existenz willen allzuoft sein Fähnlein nach dem Wind hängen mußte. Selbst das hat viele und erst recht natürlich die Gesinnungstreuen nicht davor bewahrt, ein- bis dreimal zwangsweise für kürzere oder längere Zeit aus dem Beruf zu scheiden. Bei jedem Regimewechsel war der Lerrrer ein bevorzugter Prügelknabe, und die Schule mußte es büßen. Ein gebranntes Kind scheut bekanntlich das Feuer.

Dazu kommt, daß die Zahl jener Dörfer, die politisch einheitlich ausgerichtet sind, immer geringer wird. Politischer Aktivismus in parteimäßig gemischten Landgemeinden bringt den Lehrer zwangsläufig in Gegensatz zu einem Teil der Elternschaft. Dies ist rein sachlich nicht wünschenswert. Im Gegensatz zur Stadt, wo der Lehrer mit dem Verlassen des Schulgebäudes in der Masse untertaucht, bleibt'er auf dem Dorfe auch heute noch in seinem ganzen Privatleben der „Herr Lehrer“. In dem Augenblick, wo die „andern“ zur Herrschaft gelangen, kann er außerdem noch mit persönlichen Angriffen, beruflichen und wirtschaftlichen Schädigungen rechnen.

Die wirtschaftliche Lage der Schulleiter — diese hatten sich vorzugsweise außerschulisch betätigt — wurde entscheidend verschlechtert. Nicht nur daß sein Einkommen wie das aller Lehrer keinen Vergleich mit den Einkünften früherer Zeiten bzw. ihrer Kaufkraft aushält, haben auch die Gemeinden, vielfach unter einem wirklichkeitsfremden Druck der Landesregierung, alle früheren Bonitäten, wie freie Heizung, Wohnung und Beleuchtung, gestrichen, ohne zu bedenken, daß zum Beispiel eine Schulwohnung bezüglich des Lärmes, im Hinblick auf Schmutz und Krankheitskeime, des typischen Schulgeruches, der Pflicht zur Räumung beim Ausscheiden aus dem Dienst, der Gegebenheit ihrer Größe usw. tief unter jeder normalen Gemeinde-' mietwohnung steht. Selten nur noch wird

die Wohnung auf Gemeindekosten beim Lehrerwechsel instand gesetzt. Während in den Bauernhäusern elektrische Wasserpumpe und Badezimmer ihren Einzug hielten, sind die Sohuldienstwohnungen heute vielfach veraltet.

Allein aus diesem Titel hat der Oberlehrer von heute an die 4000 S jährlich mehr zu leisten. Diese Begünstigungen aber waren unausgesprochen die Gegengabe dafür, daß der Lehrer überall führend mit dabei war.

Die Lehrer und Leiter verbleiben ferner heute bei weitem nicht mehr so lange auf einem Posten wie in früherer Zeit. Der

Grund dafür liegt in der großen sozialen Verschiedenheit der einzelnen Dienstorte und Dienstwohnungen. Von der Schule mit Wasserleitung und Badezimmer gibt es alle Abstufungen bis zur schrecklich rückständigen Schule mit kleinen, feuchten Räumen, die gesundheitlichen Schaden zufügen, in der man das Wasser hunderte Meter weit holen und das Klosett der Schulkinder benützen muß. Dazu kommt die gewandelte Verkehrslage. Dies alles wirkt sich nicht nur auf das mehr oder minder angenehme Leben, sondern sehr entscheidend auf den Geldbeutel aus. Setzt man sich hin und addiert die daraus entstehenden finanziellen Mehrbelastungen, so ergeben sich im Laufe der Jahre gewaltige Summen. Diese Verschiedenheiten werden heute weder durch eine entsprechend gestaffelte Ortszulage noch durch Mehrleistungen der Gemeinden ausgeglichen. Man hat vergessen, welch Segen ein guter Lehrer ist, der lange auf dem Dorfe verbleibt und hier seine zweite Heimat findet. Die Folge davon ist ein gewisses, verständliches Wandern, um entsprechend seinen Dienstjahren bessere Posten zu bekommen. Es kommt unter Umständen zu der sozialen Groteske, daß man dann endlich in einem günstig gelegenen Ort sitzt, wenn die nnwi-

ziellen Vorteile infolge des größeren. Endgehalts kaum noch wiegen und die Kinder — sofern man welche hatte — längst groß und verheiratet sind.

Um einigermaßen finanziell bestehen zu können, werden heute zwei Wege beschritten, die beide einer größeren kulturellen Betätigung im Dorfe feindlich sind.

Die größere Anzahl der Lehrer heiratet nur eine mitverdienende Frau. Die Folge davon ist kein, höchstens ein Kind. Um doch bei aller Arbeit etwas „vom Leben zu haben“, motorisiert man sich und flieht aus der Enge des Dorfes in die weite, große Welt. Die erschütternde Abkehr vom Kind ist bei der Lehrerschaft, die doch von den Kindern lebt, überaus hoch. Man sollte darüber einmal amtliche statistische Zahlen herausgeben. Die Lehrerfamilie mit mehreren Kindern schlug natürlicherweise tiefere Wurzeln im Dorf. Da man dadurch ohnehin gebunden war, spielte es schon aus diesem Grunde keine Rolle, am Wochenende als Volksbildner und Pfleger des Gesanges, an Sonn-und Feiertagen als Organist oder als Referent der bäuerlichen Organisationen sich zu betätigen.

Das kinderlose Lehrerehepaar denkt hier grundsätzlich anders und will sich keinesfalls nach Dienst festlegen.

Der Lehrer wird auch nicht mehr von der Dorfgemeinschaft umsorgt. Der Bauer und Hauer ist vielfach hart geworden. Früher gab es manches umsonst oder sehr billig. Heute kauft man am wohlfeilsten auf den städtischen Märkten. Bei Gemeinschaftsaktionen, insbesondere in Notzeiten, ob es nun Wildverkauf, billiges Heizmaterial, Obstaktionen, Notschlaohtungen und ähnliches sind, wurde früher der Lehrer zuerst bedacht, heute rangiert er als letzter oder wird überhaupt vergessen. Das Land ist heute für ihn teurer als die Stadt. Ein Sprich-wort sagt, daß die Liebe durch den Magen geht, auf alle Fälle ist sie eine gegenseitige Tugend.

Lehrer, die als alleinige Verdiener zugleich Väter mehrerer Kinder sind — langsam eine ausgesprochene Seltenheit —, haben ihre freien Stunden bitter für einen Nebenverdienst nötig, wollen sie einigermaßen für ihre Familie sorgen. Dies um so mehr, als nicht wenige durch die „Umbrüche“ und Kriegsereignisse einen Substanzverlust ihrer bescheidenen Habe zu verzeichnen haben. So mancher Lehrer verdingte sich einen Großteil seiner Ferien als Holzknecht, Hilfsmaurer, Bücheragent, Fremdenführer und Bauernknecht. Von jenen Menschen, die für ihre Kinderbejahung dadurch bestraft werden, daß sie einen zwei-bis fünfmal niedrigeren Lebensstandard haben als die kinderlosen, doppelverdienenden Kollegen, kann man schwer jenen Idealismus für die anderen verlangen, der allerhand Geld und Zeit kostet.

Die starke V e r w e i b 1 i c h u n g des Lehrstandes darf nicht übersehen werden. Früher setzte sich die Masse der Lehrerinnen aus jenen Frauen zusammen, die keine Ehe eingingen und denen der Lehrberuf nicht nur Existenzgrundlage, sondern auch ausschließlicher Lebensinhalt, Berufung, war. Heute stellt das Hauptkontingent die verheiratete Frau, die bei aller Pflichterfüllung ihr Herz doch zwischen zwei Lebensbereichen teilen muß, die jedenfalls keine Zeit und auch keine Lust hat, sich noch außerschulisch zu betätigen.

Auch auf dem Lande sind die einzigen Kinder an die Tagesordnung gekommen und der Abgott ihrer Eltern geworden. Ihnen wird alles gewährt und sie erfahren keine

Grenzen. Ueberau der- Mittelpunkt, lernen sie nicht im täglichen das Teilenmüssen mit den Geschwistern. Ein eminent unsoziales Geschlecht droht heranzuwachsen, für das Bruder und Schwester keine erlebten Begriffe sind. Die erste „feindliche“ Welt ist nun die Schule.5 Hier soll der kleine Autokrat folgen lernen und.den Willen zur Pflichterfüllung bekommen. Klappt es nicht, gibt es schlechte Noten, und Strafen, dann findet die Klage des Kin-! des daheim ein williges Ohr, es wird vor dem Kinde auf die Lehrkraft geschimpft und vielleicht sogar eine Intervention unternommen. Eine „Dachtel“ kann heute dem Lehrer

seinen Posten kosten, während uns früher in der Regel die Eltern darum gebeten hätten.

Primär ist das Dorf anders geworden und erst durch und mit ihm der Lehrer, Das Dorf hat seine Stellung zum Kind geändert, damit auch zur Schule und zur Lehrerfamilie. Beide büßen nun ihre Untreue zur gesunden Natürlichkeit.

Trotzdem gibt es auch heute noch Lehrer, die fähig und bereit sind, als Organisten, Leiter von Gesangchören und Volkstanzgruppen, durch Beratung der Jugend, als Sportwarte und Wanderführer, nicht zuletzt in der Volksbildung und in den bäuerlichen Organisationen fachlich und politisch mitzuarbeiten. Den vielen, die trotz aller Nachteile mitten in dieser Arbeit stehen, sollte man jede Unterstützung zuteil werden lassen. Vor allem müßte dies auch in ihrer beruflichen Beurteilung gewertet werden. Andere stehen auf toten Geleisen. Ihre Kraft wäre ehestens flottzumachen.

Auf der anderen Seite gibt es auch Orte, die sich noch solche Lehrer wünschen, deren Votum jedoch ungehört verhallt. Hier müßte Abhilfe geschaffen werden.

Eine grundlegende Bekämpfung des Uebels kann nur gleichzeitig von der geistigen und materiellen Seiteher erfolgen. Während das Dorf einen wirtschaftlichen Aufstieg erlebte, verarmte sein Lehrer. Es muß wieder möglich werden, daß der Lehrberuf soviel trägt, daß der Vater aus seiner bezahlten Tätigkeit in der Schule Frau und Kinder standesgemäß erhalten kann. Dieser Mann wird auch wieder die Freude und Kraft aufbringen, die Kultur des Dorfes nachhaltig zu beeinflussen.

Dorf und Lehrer müssen sich vom Materialismus befreien, den eine christliche Gewohnheit hur noch dürftig verdeckt. Wir wollen mehr an den ewigen Quellen trinken, die uns dauernde Werte, tiefste Lebenserfüllung schenken. Der Nenner aller modernen Schwierigkeiten ist die Abkehr von der natürlichen, gesunden Lebensbejahung. Der Geburtenrückgang hat nicht nur eine bevölkerungspolitische, sondern auch eine pädagogische, soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Bedeutung. Nur über Kinder führt der Weg ins „Himmelreich“ einer erneuerten, harmonischen, glücklichen LebensgemeinschaftdesDorfes.

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