6684959-1962_12_05.jpg
Digital In Arbeit

Eltern und Lehrer - Gegner?

Werbung
Werbung
Werbung

Die ÖVP fand also nach 1945 ein Industrialisierungskonzept der Sozialisten vor. Sie hätte die Chance gehabt, die Idee der Sozialisten in eine umfassende gesellschaftspolitische Konzeption unter Einbeziehung der Agrar-und Gewerbefrage zu entwerfen und die abstrakten sozialistischen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Ihr Fehler war, daß sie so spät dem Problem nahetrat und ihr keine Zeit mehr blieb, die ganze Frage gründlich zu überlegen und durchzudenken. Die Landtagswahl 1959 stand vor der Tür. Die Angst war sehr groß, die SPÖ könnte die Mehrheit erreichen und dadurch den Landeshauptmann erhalten. Was man zunächst brauchte, war ein wirksames Wahlprogramm, mit dem man auch einen Teil der Stimmen der Pendler erhalten konnte. Also versprach sie in ihrem Wahlprogramm eine Industrialisierung, die auf Initiative der ÖVP 10.000 neue Arbeitsplätze im Burgenland schaffen werde. Wie diese Industrialisierung im einzelnen aussehen und welche Auswirkungen sie zeitigen werde, darüber dürfte man sich im voraus keine Gedanken gemacht haben. Die Industrialisierung, die nun unter der Patronanz der Regierungsparteien stolz vom Stapel läuft, ist wenig durchdacht. Volkswirtschaftliche und soziologische Theoretiker hätten mehr gefragt werden müssen. Ablehnung, Verzögerung und Ideologisierung der Frage in der Ersten Republik und falsche Realisierung in den letzten Jahren haben trotz des Geburtenreichturns dazu beigetragen, daß in den letzten zehn Jahren mehr als 20.000 Menschen aus dem Burgenland abgewandert sind. Und die

Pendler schnüren weiterhin Jahr für Jahr ihre Ranzen.

Schon in der Ersten Republik hätten Bund und Land die Entwicklung des Grenzlandes zum wirtschaftlichen Negativraum erkennen müssen, wenn es zu keiner organischen Industrialisierung kommt. Vage und unbestimmt war diese Erkenntnis in der Sozialdemokratie vorhanden. Daß sie Partei nach 1945 sich ebensowenig zu klaren Vorstellungen und zu einer sinnvollen Durchführung durchringen konnte, die der ursprünglichen Intention entsprach, nämlich Arbeitsplätze für Wanderarbeiter zu schaffen, beleuchtet schlagartig die geistige und politische Situation dieser Partei. Jahrzehntelang forderte sie mit Vehemenz

die Industrialisierung, und als der Zeitpunkt dafür gekommen war, konnte sie nicht sagen, wie das nun vor sich gehen soll. Dasselbe passierte der Partei, als es vor einigen Jahren doch zu einer modifizierten Bodenreform kam. Seit dem Anschluß des Burgenlandes an Österreich im Jahre 1921 betrieb die SPÖ die Bodenreform. Durch ihre ideologische Enge wurde aus der ganzen positiven Aktion der ÖVP eine simple ..Bodenverteilung“ nach dem Proporz der Koalitionsparteien. Aus völlig unverständlichen Gründen stimmten die Agrarpolitiker der ÖVP dieser anachroni-

stischen Maßnahme zu und priesen sie noch als einen großen Erfolg für die Landwirtschaft. Nur zu einem geringen Teil hat die sogenannte „Stille Bodenreform“ zur Besitzfestigung und Strukturverbesserung rentabler bäuerlicher Betriebe mitgeholfen. Heute liegt schon sö mancher Boden, den die Wanderarbeiter und Arbeiterbauern im Zuge der Bodenreform erhalten haben, brach. ,

Nicht vergessen: den Süden!

Ähnlich liegt der Erfolg . mit der Industrialisierung. Alle neuangesiedelten Betriebe beschäftigen mit wenigen Ausnahmen männliche Arbeitskräfte. Für diese Betriebe übernimmt das Land Millionenbeträge von Haftungen, die das Landesbudget schwef belasten. Hauptsächlich handelt es sich um reine Zwergbetriebe oder einfache Betriebsabteilungen, die ins Bürgenland verlegt werden. Entwicklungsfähigkeit, Standort, Kapazität, Arbeitsmarkt und Kreditwürdigkeit mußte von einem Gremium von Fachleuten genau geprüft werden. Eine Totalvei lagefung in sich geschlossener Betriebszweige eines Unternehmens müßte angestrebt werden, sollen die ganzen Bemühungen von Erfolg begleitet sein. Freilich kann ein solcher Plan nicht ohne Entwicklungshilfe des Bundes in Angriff genommen werden. Darüber hinaus hat eine Industrialisierung im Burgenland auf lange Sicht einen Wert, wenn die Industriezweige organisch gemischt sind und auch im südlichen Burgenland Fuß fassen. Das entscheidende Problem bleibt auch dann noch die Verwirklichung eines gesellschaftspolitischen Gesamtkonzepts.

Man hört nicht selten heute die Stimmen derer, die von einem Mißverstehen im Erziehungsraum, von Unstimmigkeiten, von gegenseitigem Mißtrauen und oft sogar von Ablehnung und Feindschaft zwischen Eltern und Lehrern sprechen. Wenn man auch annehmen kann, daß vieles übertrieben wird und daß sich Eltern und Lehrer im großen und ganzen gut verstehen, so geht man doch nicht irr, wenn man behauptet, daß die Begegnung zwischen den Erziehungspartnern heute wohl notwendiger, leider aber vielfach auch schwieriger geworden ist.

Zunächst einmal spricht man davon, daß die Erziehungskraft, die nicht nur zur Arbeit in der Schulstube, sondern auch zum Zueinanderfinden zwischen Eltern und Lehrern notwendig ist, heute bei beiden Erziehern abgenommen hat. Die Eltern zeiht man gerne einer mangelnden Erziehungsund AufopfeTungsbereitschaft, und von den Lehrern sagt man, sie hätten nicht nur an äußerer, sondern auch an innerer und echter Autorität eingebüßt. Man spricht von einem Schwund der Erziehungsautorität. In der Familie führt man ihn besonders auf den Ausfall des Vaters zurück; man sägt, der Mann komme in der Familie seiner Prägeaufgabe nicht mehr nach und werde so zum echten Erziehen unfähig. Dadurch seien wohl die Kinder und die Jugendlichen selbstsicherer geworden, sie sprächen ihre Eltern gleichsam als „Partner“ an, anderseits würden sie durch diesen Autoritätsverlust aber auch häufig dazu verleitet, dann, wenn sie selbst in der Schule Konflikte haben, ihre Eltern ziu gemeinsamen Verschwörten bei einem Angriff auf Schule und Lehrerschaft zu gewinnen. — Auch das Verhältnis der Schüler zum Lehrer ist partnerschaftlicher geworden. Der Lehrer tritt heute mehr als früher in' den Hintergrund, er läßt manchmal die Kinder mitberaten, mitbestimmen, mitplanen, denn er weiß, daß schließlich alle Bildung Selbstbildung ist. Weil er aber so ganz anders ist, als noch die Eltern ihren Lehrer in Erinnerung haben, der von einem Katheder herunter streng auf Zucht und Ordnung sah und bei dem die Kinder häufig zu kuschen hatten, darum verstehen ihn auch manche nicht mehr, sje sehen ihn ah vollkommen autoritätsloses Wesen an und sind unzufrieden mit ihm. Man darf ihnen das auch nicht übelnehmen; es hat sich leider bis heute niemand die Mühe genommen, sie dahin aufzuklären, daß über der strengen, züchtigenden Autorität noch die freie, partnerschaftliche steht.

Als den zweiten Grund des Miß-

verständnisses nennt man die große räumliche Trennung. Heute sind viele Eltern Pendler, das heißt, sie arbeiten nicht in ihrem Heimatort, aber auch die Schüler sind oft Pendler, sie besuchen eine Schule, die außerhalb ihres Wohnortes liegt, und selbst manche Lehrer sind Pendler, sie wohnen nicht in ihrem Schulort. Die Möglichkeit, daß sie einander zufällig treffen, is;- dadurch sehr gering geworden. Nun beruht aber, alles Mißverständnis zwischen Eltern und Lehrern sehr häufig auf einem Mangel an natürlichem Kontakt, den kein Mittel, wie etwa das Berichtsheft, die Schülerhefte, die Klassenzeitung oder der Elternbrief, ersetzen kann. Kleine Mißverständnisse, die durch ein kurzes aufklärendes Gespräch zwischen den Erziehungspartnern aus der Welt geschafft werden könnten, wachsen so oft an und verstärken die Ablehnung

und Feindschaft. Man müßte mehr als bisher die Nachteile der räumlichen Trennung überwinden, mehr als bisher nach Wegen suchen, die wirklich zueinander führen, man müßte sich mehr als bisher bemühen, einander kennenzulernen und in einer offenen Aussprache die Vereinheitlichung des Erziehungsweges, die gegenseitige Aufklärung und Hilfe anstreben.

Gegenseitige Überforderung

Als den dritten Grund für das Mißverständnis zwischen Eltern und Lehrern nennt man die falsche Erwartungshaltung und die Überforderung auf beiden Seiten. Es muß gesagt werden, daß die Eltern häufig von den Lehrern etwas ganz anderes erwarten, als diese geben können. Sie erwarten nicht, daß der Lehrer dem Kind bei seiner Selbstbildung beistehe und ihm einen Weg dafür weise, sondern daß er es fit mache für den Lebens- und Erwerbskampf und darüber hinaus, daß er ihm den Aufstieg in eine höhere

Schule und später in einen,gehobenen Posten ermögliche, ganz gleich, ob es dazu geeignet ist'öder nicht. So werden häufig Lehrer und Schüler überfordert, auf beide wird ein ungesunder und unangepaßter Druck ausgeübt. Es wäre die Aufgabe des Lehrers, den Eltern dabei zu helfen, das Maß ihres Kindes kennenzulernen und es dann in diesem Maß zu beanspruchen. Freilich müßten die Eltern dazu auch eine willige Aufgeschlossenheit mitbringen. Sie müßten von sich aus versuchen, dem Maß ihres Kindes gerecht zu werden, es weder zu überfordern noch zu unterfordern. Wir wissen, daß heute auch mancher Lehrer 'die Eltern stark überfordert: Es ist ein Unding, wenn schon in. Elementarklassen die Mitarbeit der Eltern bei den Hausaufgaben als unbedingt notwendig vorausgesetzt wird, wenn man den Eltern oft zusätzliche Ausgaben für Bücher^ besondere Aktionen und Lehrmittel aufbürdet, die jnan zuwenig begründet, wenn man sie allzu stark in Anspruch nimmt, obwohl man weiß, daß Vater und. Mutter in Arbeit stehen (ob das nun für das Kind günstig ist oder nicht.').

Den anderen respektieren!

Eine weitere Konfliktursache ist die gegenseitige Anmaßung und Einmischung. Gerade in der Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus muß man auch immer wieder betonen, daß die Erziehungspartner nicht nur zueinander streben sollen, sondern daß beide auch den nötigen. Abstand voneinander wahren und die eigenständigen Aufgaben des anderen respektieren müssen. Heute wird das' oft viel zuwenig berücksichtigt. Ich glaube, viele Eltern halten es mit Reiht für eine Anmaßung und Einmischung, wenn sich der Lehrer allzu stark um die körperliche Pflege des' Kindes kümmert, die sie doch für ihre eigene Pflicht halten, wenn er ihm das Haarschneiden anschafft, wenn er ihre häuslichen Erziehungsmethoden kritisiert, wenn eT sich in die Intimsphäre des Kindes eindrängt. Genauso werden manche Lehrer aber auch dadurch verstimmt, wenn sich die Eltern oft eine Kritik am Schulunterricht anmaßen, obwohl sie sich vorher gar nicht die Mühe nehmen, tiefer in das Wesen und in die Kunst dieser Schularbeit einzudringen. Hat er nicht recht-, wenn er, wenigstens was seinen Unterricht betrifft, von', den Eltern als „pädagogischer Sachverständiger“ anerkannt werden will? Freilich wird er der Hilfe und des Rates der Eltern auch für diese Schularbeit bedürfen. Aber wenn man sie ihm aufdrängen will, dann-wird er verstimmt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung