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Zuwenig Landlehrer!

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Bedeutung und Nöte des Pflichtschullehrerstandes wurden in dieser Artikelserie hervorgehoben, und es ist ein erfreuliches Zeichen, daß dieses immer „heißer“ werdende Eisen diesmal von der Kulturpresse in weitem Rahmen aufgegriffen wird. Es sei mir erlaubt, aus meinem Erfahrungskreis — zwanzig Jahre Direktor einer Landhauptschule — der Aufforderung zur Wortmeldung nachzukommen und den Titel in „Zuwenig Landlehrer“ zu variieren. Denn hier drückt der Schuh am meisten.

Von den 600 verfügbaren Lehrern in Wien hörte man vor kurzem sogar im Rundfunk. Mit „Landlehrer“ möchte ich alle Lehrkräfte der Pflichtschulen bezeichnen, die nicht in Städten, Großsiedlungen und deren Umgebung wohnen, für die es schon mit Rücksicht auf Entfernung oder Witterung, wirtschaftlich wie verkehrsmäßig schwierig ist, am kulturellen Leben einer Stadt teilzunehmen.

Das ist alles nicht unbekannt geblieben, und für eine strebsame, studierende, männliche Jugend ist der Lehrberuf auf dem Lande kaum mehr begehrenswert, wenn man nicht zusätzliche Anreize zu bieten weiß. Die neue Lehrerakademie und die derzeitige Regelung der Hoch-schulstipendien wirken sich bei allem sehr begrüßenswerten Fortschritt nicht für den Nachwuchs an Landlehrern aus. Wie viele der besten Lehrkräfte von heute hätten nicht die zwei Jahre dazugegeben, die ein Hochschulstudium länger dauert als die neue Ausbildung zum Volksschullehrer, hätten dabei alle Vorteile genossen, die für einen aufgeschlossenen jungen Menschen einmal das Hochschulstudium und die Berührung mit der Welt der Wissenschaft und der Kunst haben? Aller Fleiß, alle autodidaktische Wissensaneignung kann den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, und die Vorbereitung auf die Hauptschulprüfungen neben dem Lehrberuf ist keine geringe Belastung. Sicher wären obendrein die meisten in den Genuß der neuen Hochschulstipendien gekommen.

Hochschulstudium oder nicht, von der „Provinz“ aus gesehen ist es ja oft ein soziales Problem. Viel wertvoller Nachwuchs vom Lande geht verloren, da der Kostenaufwand für die, welche nach der Pflichtschule oder gar schon früher zum Studium von zu Hause fort müssen, für viele Eltern einfach untragbar ist. Weil sich aber die Gesamtkosten bis Ende der Lehrerausbildung und der akademischen Bildung schon weit genähert haben, anderseits die Berufe der Berufsbildenden höheren Schulen in kürzerer Zeit erreichbar, erstrebenswerter, weil aussichtsreicher erscheinen, wird von begabten, strebsamen Jungen für den Landlehrer nur mehr sehr wenig übrigbleiben: besondere Neigung, starke Landverbundenheit sind nötig. Bei Mädchen kommt es noch eher vor, daß sie in der Lehrerin ein wünschenswertes Berufsziel erblicken. Und es wird auch ein Gutteil gerne auf dem Lande verbleiben. Von den Abiturienten Jahrgängen ist auch nur insofern etwas zu erwarten, als die Betreffenden schon von zu Hause aus mit dem Lande eng verwurzelt sind, und dieser Prozentsatz dürfte nicht allzu hoch sein.

Immer wieder erlebt man, wenn für die Schüler der 4. Hauptschulklasse die Zeit der Berufswahl kommt, daß besonders Mädchen, die an Charakter, Begabung wie Fleiß alle Voraussetzungen mitbrächten, den Wunsch äußern, Lehrerin zu werden, dies aber an den sozialen Verhältnissen scheitert. Die Stipendien für den Studienbeginn und alle erreichbaren Zuwendungen öffentlicher Institutionen reichen bei weitem nicht aus, wenn man Schüler in ein Internat geben muß. Es ist den Eltern kaum zumutbar, für so lange Zeit sich in allem größte Beschränktheit aufzuerlegen, vielleicht zusätzlich über Gebühr zu arbeiten oder demütigende private Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Bei mehreren Kindern wird das Studium der einen sogar zu einer einseitigen Bevorzugung aller anderen. Man kann in der Stadt kaum ermessen, wieviel Opfer für die Eltern so ein Studium bedeutet.

Das ist der Kernpunkt meines Anliegens und der Grund, warum ich zur Feder griff, um es eindringlich genug zu sagen: Ein Mädchen, auf dem Lande daheim, durch Familie und Jugend damit aufs engste verbunden, wird zum größten Teil wieder gerne dorthin zurückkehren. Die Erfahrungen des ersten diesbezüglichen Erlebnisses, der Wien-Wochen, sprechen dafür. Bei Mädchen ist auch viel weniger als bei Buben die Verlockung zum akademischen Studium vorhanden. Sie erleben gewöhnlich eine schon völlig zufriedenstellende Hebung der sozialen Stellung, und auch einkommenmäßig sieht es anders aus als bei den männlichen Kollegen. Auch die Heiratsaussichten — warum sollte man nicht auch offen dies erwähnen? — sind nicht die schlechtesten. Das Studium ist in mehrfacher Hinsicht nicht vergebens. Ehen mit Berufskollegen sind nicht selten und gerade bei Landlehrern eine glückliche Lösung, einen Kameraden gleichrangiger geistiger Interessen zu haben und, wie heute schon als selbstverständlich angenommen, ein zusätzlicher Verdienst für die Anschaffungen in den ersten Jahren und unter Umständen auch weiterhin. Was für die Junglehrerin aus städtischer Umwelt ein nicht unwesentlicher Mitgrund ist, nicht auf das Land zu gehen, fällt bei solchen, die dort vertraut sind, meistens weg.

Sieben Jahre Lehrerausbildung. Eine lange Zeit, eine bittere Zeit nicht nur für Eltern, die es sich mit aller Mühe absparen und noch mehr für solche, die größtenteils auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Was kostet es, ein Kind zum Studium fortzugeben? Als konkretes Beispiel einen normalen Monatsbeitrag für Internat und Studium an einem musisch-pädagogischen Realgymnasium: 900 Schilling! Dabei bleibt es aber nicht: Ausstattung für das Internat, Fahrtkosten und alles andere, was die Glücklicheren auch noch brauchen, die aus familiärer Geborgenheit täglich im Wohnort oder in der Nähe die Schule besuchen können. Es geben das Land, die Gemeinden, die Gewerkschaften und viele andere Mäzene, aber, wenn man genau hinschaut, wie viele monatliche Hunderter sind notwendig, und das sieben lange Jahre ...

Man weiß öffentlich gewöhnlich nicht, wieviel privat getan wird, um manchen Braven und Begabten das Studium zu ermöglichen. Soll dies heute noch immer notwendig sein?

Alle bisherigen Förderungsmaßnahmen für das Studium, so begrüßenswert sie sind, gehen für einen genügenden Nachwuchs guter Landlehrer daneben, wenn nicht von der Pflichtschule weg wirklich ausreichende Stipendien gegeben werden. Man kann ja die Bedingungen für die Auswahl streng genug setzen. Das Stipendium kann an die Zusicherung geknüpft werden, unter normalen Umständen eine bestimmte Anzahl von Jahren im öffentlichen Pflichtschuldienst zu verbleiben. Und, wenn dies nicht eine soziale Härte bedeutet, könnte man einen Teil des Stipendiums nicht als eine Art Vorschuß auf spätere Dienstbezüge erwägen, die dann in kleinen Raten abgestattet werden?

Nur so, durch ausreichende Stipendien, kann man die geistige Reserve, die am Lande vorhanden ist, auch dem Nachwuchs an Landlehrern nutzbar machen.

Männlichen Lehrkräften wird man besondere Anreize geben müssen, um aufs Land zu gehen und dort zu bleiben, besonders den begabten und eifrigen. Da wird die Bildungszulagen nicht ausreichen, wenn sie sich je nach Begabungsrichtung weiterbilden wollen. Sie werden aber auch ihr Arbeitsfeld nicht mit der Schule begrenzen. Es ist allgemein wenig bekannt, wie viele Idealisten es gerade unter der Landlehrerschaft noch gibt, die als vielseitige Kulturträger über die Schule hinaus viel Zeit, Kraft und Mühe aufwenden, wenig bedankt, nicht entlohnt, oft als selbstverständlich hingenommen, weil es sozusagen „zum Lehrer gehört“. Wäre es nicht an der Zeit, einen Weg zu finden, in Zusammenwirken von höchsten schulischen und kulturellen Instanzen, daß diese Leistungen „an der vordersten Front des Bildungswesens“ gebührende Anerkennung finden, damit die Arbeitsfreude nicht erlahme und diese Landlehrer auch ihre Nachfolger finden und zur Verstädterung und Vermassung des Lebens ein gesundes, notwendiges Gegengewicht erhalten bleibe. Ist der Gedanke zu abwegig, für dauernden leitenden Einsatz in den örtlichen Gemeinschaften zur Musikpflege einen Modus zu finden, der nicht unberechtigt als „Mehr-diestleistung“ im Sinne der neuen Schulgesetze gewertet werden könnte?

Begrüßenswerte Ansätze im Sinne obiger Ausführungen liest man in Presseberichten der letzten Zeit: Der Präsident des oberösterreichischen Landesschulrates fordert in der Debatte über das Budget 1965 für den Besuch musisch-pädagogischer Realgymnasien vermehrte Stipendienmittel. Der dritte Landtagspräsident rühmt in der gleichen Sitzung die Leistungen der musikalischen Vereinigungen im Dienste der Volksbildung. Kurz vor Weihnachten wurde im Katholischen Volkshdl-dungsheim Oberösterreichs eine ge-meindekundliche Wochenendtagung gehalten, in der Probleme der Landschule erörtert wurden, vor allem „die Erhaltung einer leistungsfähigen Lehrerschaft in den Landgemeinden“. Im Bericht heißt es: „Die Erhaltung guter Lehrkräfte auf dem Lande stellt ein Paradoxon dar: Die steigenden Bildungsnotwendigkeiten erfordern tüchtige Lehrer, während die materiellen und geistigen Existenzmöglichkeiten für Lehrer auf dem Lande sinken. — Höhere Lebenshaltungskosten und weite Entfernung von Kulturzentren werden nicht abgegolten.“

(Die vorausgegangenen Diskussionsbeiträge finden sich in den Nummern 45, 47, 50/1964 und 1/1965 der furche“.)

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