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Volksschullehrer - Volkslehrer

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Die Entwicklung von „Angebot und Nachfrage“ in jenen großen Berufsgruppen, die einer öffentlichen Aufgabe dienen, ist von allgemeinem Interesse, weil sich in Bewegungen dieser Art auch immer zugleich die geistige Einstellung des Volkes zu wesentlichen Daseinsfragen spiegelt.

Zweifellos ist der Lehrberuf, dem in Oesterreich etwa 30.000 Menschen angehören, eine soziologisch wichtige Gruppe, deren Entwicklung weit über den Standesbereich hinaus Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Fragen, wie jene nach dem Altersaufbau der Lehrerschaft, nach der Geschlechterproportion, nach der Beliebtheit des Berufes, gehen daher nicht bloß die Schulbehörden und die Standesvereinigungen an. Ihre Beantwortung entscheidet ja über das „Gesicht“ der österreichischen Lehrerschaft, wozu dann noch als ganz wesentlich die gesinnungsmäßige Einstellung der Lehrerschaft kommt. Wenn wir hier nur an den Lehrer im engeren Sinn denken, also an den Volks- und Hauptschullehrer, so handelt es sich dabei um die größte Gruppe der Berufspädagogen, die ein gutes Stück der Verantwortung für die Geistesbildung von mehr als 700.000 österreichischen Kindern trägt.

Linter diesem Gesichtspunkt sind nun, am Ende eines Schuljahres, manche Feststellungen über die österreichische Lehrerschaft von heute bemerkenswert.

Zum Unterschied von vielen anderen Staaten gab es in Oesterreich bis heuer keinen wirklichen Mangel an Volksschullehrerrr. Wohl aber nimmt auch unser Land an einer seit den beiden Weltkriegen fortschreitenden V e r-weiblichung des Lehrberufes teil. Diese ist allerdings innerhalb des Bundesstaates verschieden weit gediehen; während zum Beispiel im Burgenland und in Vorarlberg noch immer der männliche Volksschullehrer überwiegt, sind in der Steiermark und in Wien die Lehrerinnen dominierend.

Aber auch der L e h r e r b e d a r f ist von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden, wobei natürlich die Bevölkerungsbewegung entscheidet. Der rapide Rückgang der Schülerzahl in Wien hat zum Beispiel das schulmäßige Gewicht der Bundeshauptstadt sehr stark verringert, und so ist natürlich auch ihr Lehrerbedarf nur gering. In den westlichen Bundesländern dagegen macht die wachsende Geburtenrate immer mehr Volksschullehrer nötig, und so sind heuer einige Länder mit dem eigenen Lehrernachwuchs nicht mehr ausgekommen. Sie mußten Junglehrer aus den östlichen Bundesländern an sich ziehen, was in begrenztem Umfange ganz erfreuliche pädagogische und psychologische Wirkungen hat.

Daß somit heuer bereits ein relativer Lehrermangel bestand, hat aber nicht nur in dieser Entwicklung seine Ursache, sondern — für die männlichen Lehrkräfte — auch in der Einführung der Wehrpflicht, wodurch ein ganzer Maturajahrgang von Junglehrern aus dem Nachwuchskontingent herausfiel. Aber auch der Bedarf unserer Wirtschaft an jungen Menschen mit höherer Schulbildung wirkt sich aus. Es ist Tatsache, daß die österreichischen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten ein Schultypus sind, der gut für die Berufsausübung vorbereitet (darum zieht das Ausland die österreichischen Junglehrer so gerne an sich!), aber auch sonst eine vielseitige Bildung vermittelt. Das weiß man heute in weiten Kreisen, und daher winken den Abgängern dieser Anstalten manche günstige Angebote, was sich dann in der Berufsentscheidung der jungen Menschen da und dort bereits fühlbar auszuwirken begann.

Das aber könnte eine Fehlentwicklung einleiten. Die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten sind berufsbildende Schulen; ihre Aufgabe und Daseinsberechtigung besteht in der Heranbildung von Lehrern und Lehrerinnen für das Pflichtschulwesen. Die große Masse ihrer Abgänger muß sich dieser Betätigung als Lebensaufgabe zuwenden — nicht durch Zwang, wohl aber aus der erworbenen geistigen Einstellung heraus, aus der Freude an einem schönen Beruf der Menschenführung, aus dem Verständnis dafür, wie sehr Volk und Vaterland den guten Volksschullehrer als Volkslehrer brauchen!

So war es vielleicht ein Glück, daß der Lehrermangel in Verbindung mit gewissen Abwanderungserscheinungen unsere Lehrerbildungsanstalten in diesem Schuljahr zu einer ernsten Besinnung, zu einer noch bewußteren Einstellung auf die Lehrerbildung gezwungen haben, die von den verantwortlichen Stellen mit Nachdruck gefördert wurde. Maßgebend haben dabei auch die Auswirkungen einer gerade in diesem Jahr vollzogenen Lehrplanrevision und die Intensivierung neuer Mittel der Berufserziehung (Landschulpraxis, Bildungsreisen) mitgewirkt. So können wir jetzt, nach den Reifeprüfungen und der ersten Berufswahl der Maturanten, von einem guten Erfolg sprechen: Die größte Zahl der Abgänger unserer Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten wird — abgesehen vom Wehrdienst — im nächsten Jahre in die Volksschulen einströmen. Der vorübergehende „Engpaß“ im Lehrberuf dürfte damit überwunden sein. Dafür liegen schon ganz konkrete Beweise vor. So haben zum Beispiel an der Bundes-Lehrer- und -Lehrerinnenbildungsanstalt in Feldkirch, Vorarlberg, heuer 46 Studierende die Reifeprüfung abgelegt, davon elf mit Auszeichnung. Aber nur zwei dieser Abgänger wollen sich dem Hochschulstudium zuwenden (was bei Sonderbegabungen durchaus wünschenswert ist), alle anderen widmen sich dem Lehrberuf. Damit ist der Lehrerbedarf Vorarlbergs für das nächste Schuljahr voü eedeckt.

Aehnliche positive Nachrichten liegen von verschiedenen Stellen vor, selbst' aus Wien, wo die Aussichten für die Verwendung im öffentlichen Schuldienst gering sind. Aber eine Reihe pädagogischer Dienste ist auch hier genug aufnahmefähig.

So zeigt sich nun, daß jene Alarmnachrichten, die einen großen Lehrermangel ankündigten, ebenso unrichtig sind wie es jener Zweckpessimismus war, mit dem vor Jahren die „völlige Aussichtslosigkeit“ im Lehrberuf behauptet wurde. — Damals war es übrigens das Verdienst der „Furche“, gezeigt zu haben, daß wir nicht „zu viele Lehrer ausbilden“. Heute dürfen wir feststellen, daß Oesterreich, zum Unterschied von anderen Ländern, auch nicht zu wenige Lehrer für seine Volksschulen ausbildet!

Wie aber wird wohl' die weitere Entwicklung verlaufen? Diese Frage ist eine solche nach dem Ansehen und der Anziehungskraft des Lehrerberufes in den breiten Bevölkerungskreisen, denn nur aus ihnen kann und soll sich der Stand der Volksschullehrer immer wieder ergänzen.

Alljährlich, wenn sich zum Schulschluß Tausende von Schulmündigen bzw. deren Eltern entscheiden, wenn berufsbildende Schulen gewählt werden, entfällt eine bestimmte Quote dieser jungen Menschen auf die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten bzw. auf die ihnen verwandten und oft mit ihnen verbundenen Zweige der Ausbildung zur Arbeitslehrerin, zur Kindergärtnerin. Dabei ergeben sich natürlich aus der verschiedenen Stärke der Entlassungsjahrgänge manche Schwankungen, aber immer ist die Zahl der Mädchen sehr groß, die sich für den Beruf der Lehrerin entscheiden, der ja der weiblichen Eigenart besonders zusagt. So kann auch immer eine gute Auswahl getroffen werden, denn die Neigung allein tut es nicht; dieses gar nicht leichte Studium setzt eine Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten voraus.

Weniger befriedigend war nun seit Jahren die Nachwuchslage für die Lehrer bildungsanstal-ten, weil die Anziehungskraft der technischen Berufe und ihre günstigen Aussichten einen fühlbaren Einfluß auf die zum Weiferstudium entschlossenen Knaben ausübte. Und so hatte man sich fast damit abgefunden, daß der Lehrberuf einer unaufhaltsamen Verweiblichung unterliege, wie sie zum Beispiel in den USA längst vollzogen ist. Aber eine solche Einseitigkeit wäre aus vielen pädagogischen Gründen nicht wünschenswert, und sie ist es schon gar nicht für unser Land mit seinem Hochgebirgsanteil, wo an den kleinen Landschulen der Volksschullehrer nie ganz durch die Frau ersetzt werden kann — auch wegen der vielen anderen Funktionen, die gerade diese Lehrer im Dienste des öffentlichen Wohles und des kulturellen Lebens ausüben. So wuchs in den letzten Jahren das Bestreben, den Zustrom geeigneter junger Burschen an unsere Lehrerbildungsanstalten zu verstärken. Schulbehörden und Lehrerbildner, aber auch einsichtige Kreise der Lehrerschaft selbst, haben sich um eine gesunde' Entwicklung des Berufsnachwuchses bemüht; ihnen allen erbringt der Schulschluß 1958 einen Erfolgsnachweis, denn die Anmeldungen in die Lehrerbildungsanstalten sind heuer zahlreicher als seit Jahren. Eine gute Auslese wird möglich sein. Die Gründe für diese erfreuliche Entwicklung aber liegen tiefer und reichen über die Studienberatung und die Einflußnahme der Lehrer weit hinaus.

Aber noch viel tiefer reicht gewiß in diesem Zusammenhang der neu erwachende Sinn für den Wert der Familie, für das Kind. Wer diese Lebensfragen des Volksganzen bejaht, der bejaht auch Schule und Lehrberuf. Wir wissen alle, daß Oesterreich im nächsten Jahrzehnt endlich wieder mit einer wachsenden Schülerzahl zu rechnen hat. Und wir wissen weiter, was uns für diese neue Jugendgeneration im Wettstreit der Nationen eine gute Schulbildung bedeuten muß. Es mag sehr wohl sein, daß ein solches Erspüren der Zukunft — oft mehr geahnt als klar erkannt — auch die Einschätzung des Lehrberufes mitbestimmt und daher auch die Hinwendung zu ihm.

Gerade das Studium an den Lehrerbildungsanstalten hat vielfach die Funktion einer echten Begabtenförderung erfüllt und wird diese volkserzieherische Aufgabe in Zukunft noch mehr wahrzunehmen haben, da der Weg durch sie nun in keinem Sinn mehr in eine Sackgasse führt. Noch sind manche Wünsche für ihre Ausgestaltung offen. Dennoch konnte und kann — wie hier zu zeigen war — unserer Volksschule immer wieder der erforderliche Junglehrernachwuchs zur Verfügung gestellt werden, und dies um so besser, je mehr die Allgemeinheit auf die Entwicklung dieses Berufes blickt, dem nach Ludwig Battista „die Durchbildung des ganzen Volkes zur Aufgabe gestellt ist“.

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