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Ganzheitliche Lehrerbildung

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In die von der „Furche“ Nr. 15 angeregte große Diskussion über die österreichische Lehrerbildung greift heute das gewichtige Wort des Chefs der Unterrichtsverwaltung ein. Gleichzeitig schien es uns der Sache dienlich zu sein, auch einmal die Gegenstimme zu hören: Stadtschulratspräsident Dr. Leopold Zechner hat anschließend das Wort „Zur Frage der Ausbildung der Volksschullehrer“. Die Veröffentlichungen beschließt Dr. Heinrich Peter mit dem bedeutsamen Thema „Bilden wir zu viele Lehrer aus?“.Die „Furche“.

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In die von der „Furche“ Nr. 15 angeregte große Diskussion über die österreichische Lehrerbildung greift heute das gewichtige Wort des Chefs der Unterrichtsverwaltung ein. Gleichzeitig schien es uns der Sache dienlich zu sein, auch einmal die Gegenstimme zu hören: Stadtschulratspräsident Dr. Leopold Zechner hat anschließend das Wort „Zur Frage der Ausbildung der Volksschullehrer“. Die Veröffentlichungen beschließt Dr. Heinrich Peter mit dem bedeutsamen Thema „Bilden wir zu viele Lehrer aus?“.Die „Furche“.

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Unter den großen Problemen, die mit unserer Schulgesetzgebung verbunden sind, steht das der Lehrerbildung im Vordergrund.

Mit einprägsamer Klarheit spiegelt sich in der Entwicklung der österreichischen Lehrerbildung der Werdegang unserer öffentlichen Volksschule, also jener Einrichtung, auf der das gesamte Bildungswesen beruht und deren Niveau zugleich das allgemeinste Maß der österreichischen Volksbildung ist.

Von den sechswöchigen „Präparandenkursen" zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia führte der Weg zuerst zu einer halbjährigen, dann im Laufe des 19. Jahrhunderts zur ein- und zur zweijährigen Ausbildung der Volksschullehrer.

Im Jahre 1869 wurde die vierjährige Lehrer- bzw. Lehrerinnenbildungsanstalt als berufsbildende Schule geschaffen. Das war ein bedeutsamer Schritt. Er geschah zugleich mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht vom 6. bis zum 14. Lebensjahre — ja, er war die Voraussetzung dafür. Man darf heute sagen, daß die Lehrerbildungsanstalt eine der erfolgreichsten Schultypen des 19. Jahrhunderts war. Wir verdanken ihr — und es war ein Glück, daß von Anfang an staatliche und private Anstalten in gesundem Wettbewerb ihrer Aufgabe oblagen — den österreichischen Volksschullehrer, der mit guten Gründen ein Volkslehrer genannt werden darf; wir danken den Leistungen der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten die völlige Ueberwindung des Analphabetentums, die in Oesterreich früher als in den meisten europäischen Ländern erreicht wurde, und wir haben durch sie jenen Standard der grundlegenden Volksbildung bekommen, auf dem alle weiterführenden Schulen aufbauen können und der bis in die jüngste Zeit ein recht befriedigender war.

Mit den wachsenden Aufgaben der Volksund Bürgerschulen hat später auch die Lehrerbildungsanstalt neue Ziele übernehmen müssen. Ihr Anstieg zu einer mittleren Lehranstalt ist schon um die Jahrhundertwende deutlich sichtbar. Manche pädagogische Tagungen vor dem ersten Weltkrieg verlangen bereits die Ausgestaltung der vierjährigen Lehrerbildung. Versuche mit einer Unterteilung des Studienganges und mit seiner Ausdehnung auf sechs Jahre setzten ein, die mit den Namen der bedeutendsten österreichischen Pädagogen Rudolf H o r n i c h und Heinrich Giese verbunden sind.

Durch Kriegs- bzw. Nachkriegsjahre unterbrochen, gingen diese Bemühungen in den letzten Jahrzehnten weiter. Sie betrafen besonders die Einbeziehung von Fremdsprachen in den Bildungsgang der Volksschullehrer und die Verbesserung der schulpraktischen Einführung. Damit ergab sich auch die volle Bewertung als mittlere Lehranstalt und eine bedingte Hochschulberechtigung der Absolventen. Durch das Lehrerbildungsgesetz vom Jahre 1937 wurde diese Entwicklung dahin geführt, daß die bisherigen Bildungsanstalteh zu sechsjährigen Lehrerakademien ausgestaltet werden sollten; doch kam diese Neuordnung durch die bekannten Ereignisse des Jahres 1938 nicht mehr zur Durchführung.

Als das Unterrichtsministerium im Jahre 1945 unser Schulwesen auf baute, mußte auch die Lehrerbildung wiederhergestellt werden. Das geschah zunächst in jenem Rahmen, der außer Diskussion stand. Daher wurden die Bildungsanstalten als fünfjährige Schulen, aber nunmehr mit obligatem Fremdsprachunterricht und mit erweiterter schulpraktischer Ausbildung errichtet. Diese erneuerte österreichische Lehrerbildung hat die schweren Aufgaben der Nachkriegszeit gemeistert und sogar den großen Fortschritt der vollen Hochschulberechtigung für ihre Abgänger erreicht. Doch es konnte diese Form nur eine provisorische Lösung sein. Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuordnung wurde durch die entstehende pädagogische Zwangslage immer mehr unterstrichen. Daher standen auch die Fragen der Lehrerbildung bei den bisherigen Erörterungen über neue Schulgesetze an wichtiger Stelle.

Klar zeigt es sich, daß die Erweiterung des fünfjährigen Bildungsganges auf sechs Jahre unerläßlich ist; dabei soll das Studium so gegliedert werden, daß die beiden letzten Jahre in besonderer Weise der Berufsbildung gewidmet sind. Aber nun gehen die Wünsche und Meinungen über das Maß und den Umfang dieser Gliederung weit auseinander — so weit, daß von mancher Seite verlangt wird, die Berufsbildung müsse ausschließlich auf die beiden letzten Jahre beschränkt werden, wäre also nicht mehr die Grundlage des gesamten Bildungsganges. Damit würde die zweijährige Oberstufe zu einer selbständigen Einrichtung, für die eine mehr oder weniger hochschulmäßige Gestaltung verlangt wird. Natürlich wären dann die ersten vier Jahrgänge ihres berufsbildenden Charakters entkleidet und müßten zu einer durch jede andere Form der Allgemeinbildung ersetzbaren „Zubringer- schule" werden, die nach ihrer organisatorischen Trennung von den Jahren der Berufsbildung kaum etwas anderes als eine fragwürdige neue Type der Obermittelschule darstellte. Daß eine solche „geköpfte" Anstalt keine berufsethischen Formkräfte mehr entwickeln könnte, ist wohl einleuchtend.

Demgegenüber ist doch sehr zu bedenken, daß die Gesamtdauer und der frühzeitige Beginn der Studienbahn zweifellos einen Vorzug der Volksschullehrerbildung bedeuten. Die Einstellung auf ein Berufsziel hat der geistigen Haltung der Studierenden und dem gesamten Studiengang — auch der Arbeit in den allgemeinbildenden Gegenständen — das gegeben, was man mit einem glücklich gewählten Wort seine „Transparenz" genannt hat. Man spricht auch mit Recht von einem „pädagogischen Klima", das ein Charakteristikum der Lehrerbildungsanstalten ist und persönlichkeitsbildende Wirkung hat. Auf diese Werte dürfen wir nicht verzichten und es soll sich auch nicht der unerfreuliche Fall wiederholen, daß durch eine „Reform" zwar beachtliche Neuerungen aufgegriffen werden, aber auch sichere bisherige Errungenschaften verlorengehen, so daß im Gesamtergebnis eher ein Verlust als ein Gewinn vorliegt. Oesterreich hat in den letzten 35 Jahren manches nicht ganz geglückte pädagogische Experiment erlebt, wir wollen aus solchen Erfahrungen lernen. Es zeigt uns aber’ auch der von Tag zu Tag größer werdende Erziehungsnotstand die schwere Verantwortlichkeit, die nun kein gewagtes Experimentieren mehr erlaubt!

Was daher in unserer Lehrerbildung an zweifellosen Vorzügen vorhanden ist, das muß erhalten bleiben. Dazu gehört die frühzeitige Erfassung jener jungen Menschen, die eine Neigung zum Lehrberuf bekunden, dazu gehört ferner die pädagogische Durchdringung des ganzen Bildungsganges und seine bereits unter einem Zielgedanken stehende Form mit der besonderen Auswahl und Betonung der Unterrichtsgegenstände, so zum Beispiel der musischen Fächer.

Doch ist es richtig, daß die Allgemeinbildung, die unsere künftigen Lehrer und Lehrerinnen in einer ihnen angemessenen Form erwerben müssen, die eigentliche Berufsbildung nicht erdrücken darf. Die Aufgaben des Lehrers von heute erfordern eine gründliche psychologische, didaktische und methodische Vorbereitung. Sie ist eben der Hauptgrund für die Erweiterung der Lehrerbildung auf sechs Jahre und soll daher am Ende der Studienbahn allein das Interesse der Lehramtsanwärter beanspruchen können. Sie ist auch ein Gebot der geistigen Oekonomie und Hygiene gegenüber dem jetzigen Zustand mit seiner Ueberforderung der jungen Menschen, die Lehrer und Lehrerinnen werden wollen. Es muß und wird aber möglich sein, zu einer neuen Form ihrer Ausbildung zu kommen, die den ganzheitlichen Charakter bei fortschreitender Trennung der a 11- l gemeinen von der eigentlich beruf- I liehen Bildung zu wahren vermag.

Manche Pioniere der österreichischen Lehrerbildung haben uns dazu den Weg gewiesen, , und die modernen Formen des Epochalunter-richtes, ganz besonders aber ein Schulversuch . mit der „Blockbildung der Unterrichtsfächer", r den die Unterrichtsverwaltung in den letzten Jahren an der Bundeslehrerinnenbildungs- , anstalt Wiener Neustadt durchgeführt hat, . zeigen die einzuschlagende Richtung.

Wir stellen uns eine ganzheitliche Lehrer- 5 bildung in sechsjährigem Aufbau so vor, daß e die ersten vier Jahre eine der Obermittel-schule gleichwertige aber nicht gleichartige, sondern eben auf den Lehrberuf eingestellte Allgemeinbildung in den „Wissensfächern" e geben. Diese werden — mit Ausnahme der Fremdsprachen — nach dem vierten Jahrgang mit einer Abschlußprüfung unter den Bedingungen der Matura zu Ende geführt. Studierende, die in diesem Zeitpunkt ihre Berufsabsicht geändert haben oder denen man es nahelegt, könnten mit diesem Abschlußzeugnis entsprechende Berufe ergreifen oder ein Hochschulstudium unter der Voraussetzung beginnen, daß sie nach einem weiteren Jahre das Latinum ablegen und damit zur vollen Hochschulreife gelangen. Der normale Studiengang hätte vom Beginn des fünften Jahres an die eigentliche Lehrerausbildung zu leisten, würde aber in Querverbindung zu ihr die Fremdsprachen — und zwar besonders durch pädagogische Lektüre — weiterführen. Nach dem fünften Studienjahr wäre die Reifeprüfung aus den Fremdsprachen abzulegen und damit, wie jetzt nach fünf Jahren Lehrerbildungsanstalt, die volle Hochschulreife gegeben. Wieder würde sich nun die allfällige Möglichkeit einer anderen Berufswahl für einzelne Abgänger eröffnen, so das Studium für das Lehramt an Mittelschulen, der Erzieherberuf und ähnliches. Nach dieser zweiten Stufe der Reifeprüfung wäre nun das sechste Studienjahr ausschließlich der pädagogischen und methodischen Bildung vorbehalten, die durch eine ausgiebige Praxis und durch die Pflege der musischen Bildungsfächer ihre Ergänzung fände.

Nach dem sechsten Studienjahr könnte unter diesen Voraussetzungen bereits die Lehramtsprüfung für Volksschulen abgelegt werden, die an die Stelle der jetzigen Lehrbefähigungsprüfung zu treten hätte. Als weiterführende Dienstprüfung, die eine Voraussetzung für alle leitenden Stellen des Lehrberufes bedeutete, wäre nach einigen Jahren der Schulpraxis eine administrative und schulkundliche Leiterprüfung vorzusehen.

Dies ist in großen Zügen das Konzept einer wohl mit Recht „ganzheitlich" genannten österreichischen Lehrerbildung.

Sie kann allen wesentlichen pädagogischen Forderungen entsprechen und einen echten Fortschritt ohne Bruch mit der Entwicklung und ohne Verlust vorhandener Qualitäten bringen.

Ein Aufbau unserer Lehrerbildung nach diesem Plan wäre nicht mehr von der bloß intellektualistischen Betrachtungsweise des 19. Jahrhunderts inspiriert, sondern er sähe die Aufgabe darin, unserer Volksschule solche Lehrer und Lehrerinnen heranzubilden, die auch den erweiterten volkserzieherischen Funktionen zu genügen vermögen. Und es scheint uns schließlich, daß eine ganzheitliche Lehrerbildung in ihren sechs Jahren mit der Konzentration der beiden ineinandergreifenden Ziele sehr wohl die Synthese jener beiden Anliegen geben kann, um die es in den bisherigen Diskussionen zu dieser Frage ging — wenn man sie auf der Ebene des reinen Interesses an der österreichischen Volksbildung und Jugenderziehung lösen will.

Wir könnten wahrhaftig eine pädagogische Tat setzen, wenn wir eine solche ganzheitliche Form einer erweiterten österreichischen Lehrerbildung nun auch legislativ in den Neuaufbau unseres staatlichen und kulturellen Lebens ‘diineinstellten.

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