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Ende einer Diskussion!

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Das große Schulgesetz des Jahres 1962, das als letztes lebensfähiges Kind der Koalition angesehen wurde, droht unter dem Einfluß einer nicht gerade bildungsfreundlichen österreichischen Gesellschaft, die sich gegen das 9. Schuljahr an den allgemeinbildenden höheren Schulen wendet, zu mißraten.

Für geistige Argumente sind diese Gegner leider nicht zu haben. Für sie zählt wohl einzig und allein die Tatsache, daß die künftigen Maturanten ein Jahr später in das Berufsleben eintreten. Es werden alle möglichen Hilfskonstruktionen zur Verdeckung des eigentlichen Argumentes verwendet. So beruft man sich heute in Diskussionen auf die große Zahl von Maturanten, die im Jahre 1975 nach den Berechnungen des Unterrichtsministeriums benötigt werden, und glaubt, einen Erfolg dadurch zu erreichen, daß man einfach ein vorgesehenes Ausbildungsziel abändert, um den numerischen Bedarf pro forma zu erfüllen.

Besonders beliebt ist das Argument mit den Staatsfinanzen. Obwohl die Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt im Jahr 1966 in Kenntnis der bevorstehenden großen Aufgaben der Ausbildung und Forschung einen Vorrang eingeräumt hat (zu dem sich die Sozialisten in der Koalition bekanntlich nie bereit gefunden haben), glauben gewisse Kreise, durch die Behauptung der Unerfüllbarkeit der Schulgesetze Argumente für eine Demontage des Bildungswesens zu gewinnen. Es ist tatsächlich nicht einzusehen, warum einmal beschlossene Schulgesetze, die dem Bund und den Ländern verschiedene Aufgaben stellen, weniger ernst als Wirtschafts- oder Sozialgesetze genommen werden sollen.

Aber um die finanzielle Bedeckung geht es überhaupt nicht. Sicher sind gewisse Klassenräume noch nicht gebaut, aber durch Anmietung von Räumlichkeiten läßt sich dieser Engpaß ohne weiteres beheben. Eine Praxis, die übrigens erfolgreich gehandhabt wird. Man kann aber in einer freien Demokratie nicht den Studenten die Aufnahme des Lehramtsstudiums kommandieren. So ergibt sich die Tatsache, daß zwar genügend Dienstposten, aber nicht genügend Lehrer für die höheren Schulen zur Verfügung stehen. Doch auch diese Situation, die zweifellos ernst zu nehmen ist, berechtigt keineswegs zur Forderung noch Abschaffung des 9. Schuljahres, sie kann bestenfalls Begründung für einen Aufschub der Realisierung vom Schuljahr 1971 72 auf ein späteres genommen werden. Bis zum Jahre 1971 72 dürfte es im Hinblick auf die vorhandenen Dienstposten bei einigermaßen beweglicher Verhandlungsführung doch möglich sein, die Gewerkschaft zu überzeugen, daß die Einstellung von nur teilweise geprüften Lehrern wichtiger als die Abschaffung eines ganzen Schuljahres ist, das einen dauernden Verlust des Ausbildungsniveaus der österreichischen Maturanten auf lange Sicht mit sich brächte. Durch die Einstellung von Hilfskräften und durch die Verwendung von Hauptschullehrern an der Unterstufe der höheren Schulen müßte es möglich sein, auch den personellen Engpaß zu überwinden.

Durch die Einführung der Klassenschülerhöchstzahl 36 mit 1. September 1968 hat sich ein Mehrbedarf von 1100 bis 1200 Mittelschullehrern für die höheren

Schulen ergeben. Die Einführung des 9. Schuljahres im Schuljahr 1971 72 hingegen benötigt zum Vergleich nur 657 neue Lehrkräfte. Dieses Beispiel zeigt, wie unsachlich die Diskussion über die Abschaffung dieses 9. Jahres in Österreich derzeit geführt wird.

Man sollte mit dieser Schuldiskus

sion endlich Schluß machen. Ergibt sich doch die kuriose Situation, daß die Diskussion um ein Schuljahr geführt wird, das überhaupt noch nicht erprobt werden konnte. Die Aussagen über den Wert oder Unwert dieses Jahres gewinnen im Licht dieser Tatsache vielleicht noch mehr den Charakter der Emotion.

Präsident Johnson hat das Jahr 1970 zum Jahr der Erziehung deklariert, und der österreichische Unterrichtsminister hat diesen Vorschlag bereits aufgegriffen und ihn begrüßt. Es wäre wohl ein makabrer „österreichischer“ Beitrag, wenn gerade in diesem Jahr das Ausbildungsniveau den höheren Schulen gesenkt würde. Es gibt im Falle der absoluten Unmöglichkeit der Realisierung des

9, Jahres natürlich noch den Weg, die Einführung um einige Jahre zu verschieben. Ob bei den auf Jahre hinaus angespannten Staatsfinanzen damit allerdings eine echte Verbesserung eintritt, ' uß dahingestellt bleiben. Viel wichtiger wäre es, Verhandlungen aller beteiligten Kreise über eine echte Dynamisierung des

Bildungswesens in Österreich anzustreben. Nur so wird es möglich sein, die 1962 noch nicht bekannten pädagogischen Neuerungen im österreichischen Schulwesen erfolgreich anzuwenden. Man wird endlich einmal auch im Unterrichtsministerium den Blick freimachen müssen für die Gesamtentwicklung des Bildungswesens von der Volksschule bis zur Hochschule und wird von der Praxis abgehen müssen, das Schulwesen nur zerlegt in „Ministerial-Sektio- nen“ zu betrachten. Wenn es nämlich heute einen echten Engpaß an Lehrern gibt, so ist dies wohl in erster Linie auf die Tatsache zurückzuführen, daß noch immer das Ausbildungsgesetz für das Lehramt an den höheren Schulen fehlt.

Heute gibt es beinahe so viele Vorschläge, als es „Experten“ auf dem Schulgebiet gibt. Der ÖAAB verlangt auf seinem Bundestag in Innsbruck die Einführung einer Reifeprüfung ohne Hochschulreife nach der 7. oder 8. Klasse. Das Kummer-Institut

empfiehlt den Abgang der in das Berufsleben eintretenden Maturanten nach der 7. Klasse und den Ausbau der 8. und 9. Klasse zu einem vorbereitenden Hochschullehrgang; die Aktien 20 der Bundesparteileitung hat schon als erste die Einführung einer kleinen Matura nach der 6. oder 7. Klasse für die Leute

empfohlen, die in das Berufsleben eintreten wollen. Nur die Sozialisten haben noch keinen brauchbaren Vorschlag für eine grundsätzliche Diskussion unterbreitet. So intensiv man die Schule der Zukunft aber diskutieren sollte, so klar müßte es anderseits sein, daß erst die praktische Erprobung von Vorschlägen endgültig Auskunft über ihre Zweckmäßigkeit geben kann. In die höhere Schule muß zunächst wieder Ruhe einkehren, und man muß die Lehrer und die Schüler ungestört arbeiten lassen. Erst dann, wenn sich herausstellt, daß die Reform des Jahres 1962 unzweckmäßig oder unvollständig war, sollte man zu tiefgreifenderen Änderungen schreiten.

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