"Die neue Schule' gibt es nicht"

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Im Februar 2003 wurde er von Elisabeth Gehrer zum Leiter der "Zukunftskommission" berufen, die Schulreformen erarbeiten sollte. Heute, nach Präsentation des zweiten "Schulpakets", ist Günter Haiders Bilanz ernüchternd. Im furche-Interview übt er harsche Kritik an der Ministerin.

Die Furche: Die Bildungsministerin wird wegen der Situation an den Unis heftig kritisiert. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen hat sie zuletzt wegen "Realitätsverweigerung" sogar zum Rücktritt aufgefordert. Ist Elisabeth Gehrers Sensibilität für die Probleme im Schulbereich größer?

Günter Haider: Die Situation ist deswegen brisant, weil unsere junge Generation vor großen Herausforderungen steht: Sie muss mehr lernen, mehr leisten, kreativer sein. Und wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit sie eine Zukunft hat. Da kann man nicht herumlavieren und schönreden, da muss etwas passieren.

Die Furche: Sie haben den Eindruck, das Ministerium laviere herum?

Haider: Ja. Es geht einfach nichts weiter. Was wir brauchen, sind rasche, klare Schritte zu einer Modernisierung des Schulwesens und der Universitäten. Doch was passiert? An den Schulen wird gespart, die Lehrer werden weniger, die Förderung wird weniger, an den Unis wird uns das Geld gestrichen, unsere Lektoren bekommen weniger bezahlt und so weiter. Das läuft komplett in die falsche Richtung. Die Frau Minister Gehrer macht einfach nicht mehr den Eindruck, als könnte sie die Motivation aufbringen, um diese große Aufgabe zu bewältigen.

Die Furche: Bei der Präsentation des Schulpakets ii (siehe Kasten) hat Gehrer aber betont, schon 22 der 33 Vorschläge der Zukunftskommission umgesetzt zu haben...

Haider: Das ist reine Fiktion. Im ersten Schulpaket war eine einzige Maßnahme der Zukunftskommission enthalten, nämlich die Tagesbetreuung - und die ist genau nicht so gemacht worden, wie wir vorgeschlagen haben. Es gibt keine regionale Koordination und kein Recht auf Betreuung - sondern erst die Möglichkeit ab 15 Kindern. Und im zweiten Schulpaket ist nur unser Vorschlag von der Unterrichtsgarantie enthalten - und die ist in der Praxis noch gar nicht vorbereitet. Man kann ja nicht einfach den Schulen sagen: Ihr dürft den Unterricht nicht mehr entfallen lassen! Dazu muss man den Schulen Ressourcen geben, eine regionale Koordination vornehmen und "Springer" bereitstellen. Die Schulen lassen ja nicht aus Jux und Tollerei die Stunden ausfallen, sondern weil die Ressourcen so knapp sind. Und das ist alles im Schulpaket ii.

Die Furche: Es gibt darin aber auch den Plan, die 51 Pädagogischen Akademien in acht Pädagogische Hochschulen umzuwandeln...

Haider: Hier kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass es sich um einen Etikettenschwindel handelt. Die Akademien bekommen eben einen neuen Namen, und alle dreijährigen Studien werden Bakkalaureats-Studien - aber es wird kein Anschluss zum Masterstudium möglich, wie wir gefordert haben: Mit dem Titel "Bacc. Päd." kann man an der Uni nichts anfangen. Wir haben auch eine Kooperation zwischen den Akademien und den Unis gefordert. Was aber jetzt passiert, ist nur eine Verparteipolitisierung der Hochschulen: Man verschafft sich Einfluss, indem man Parteifreunde vom Ministerium und dem jeweiligen Landesschulrat in den Hochschulrat schickt.

Die Furche: Was halten Sie vom Plan, den Schuldirektoren künftig mehr Mitsprache bei der Lehrerauswahl zu ermöglichen?

Haider: Wenn die Schulen wirklich autonom und verantwortlich sein sollen für das, was sie tun, dann kann man ihnen sicher nicht einfach Leute zuteilen: Ein Unternehmer sucht sich seine Leute auch selber aus - und kann sie kündigen. In Wirklichkeit geht es darum, diesen Bereich kräftig zu modernisieren. Viele Schulleiter sagen: Es wäre mir schon recht, wenn ich den einen oder anderen Lehrer in absehbarer Zeit loswerden könnte, denn der ist einfach ungeeignet.

Die Furche: Sie glauben nicht, dass damit der Willkür der Direktoren Tür und Tor geöffnet wäre?

Haider: Der Direktor soll das ja nicht allein entscheiden. Wir haben vorgeschlagen, dass es an jeder Schule eine Art Personalkomission geben soll, in der Direktor, Lehrervertreter, Elternvertreter und Schülervertreter sitzen. Außerdem hätte ein solcher Schritt eine lange Vorlaufzeit: Wenn die Beurteilung eines Lehrers negativ ausfällt, gibt es eine Beratung und Fortbildungsverpflichtung. Im nächsten Jahr wird dann wieder nachgeschaut. Das ist kein Hire-and-Fire-Modell! Aber wir haben uns eben in erster Linie um die Schüler zu kümmern. Jetzt habe ich den Eindruck, dass man sich vor allem um die Lehrer kümmert.

Die Furche: Besonders "kümmernswürdig" sind Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache. Im Schulpaket ii ist vorgesehen, diese Kinder für bis zu elf Stunden aus dem Regelunterricht zu nehmen und in Kleingruppen zu fördern.

Haider: Alle Fachleute raten dringend davon ab, diese Kinder separat zu unterrichten. Die türkischen oder ex-jugoslawischen Kinder sollen ja gerade nicht untereinander bleiben, sondern von den deutschsprachigen Kindern lernen. Die Fachleute fordern deshalb ein verpflichtendes Vorschuljahr. Auch der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer geht in diese Richtung, wenn er die Volksschule stärken will. Schon jetzt sind ja 90 Prozent aller Fünfjährigen im Kindergarten. Das Problem sind die anderen zehn Prozent. Übrigens müsste man auch die Kindergärtnerinnen besser schulen. Es gibt ja keinen Grund, sie nicht mit den Grundschullehrerinnen an den Pädagogischen Hochschulen auszubilden. Hier höre ich immer nur das Geld-Argument: Nichts darf etwas kosten - aber man soll die Bildung verbessern! So ein Blödsinn! Wir könnten die frei werdenden Ressourcen durch die sinkenden Schülerzahlen in mehr Lehrerposten für dieses Vorschuljahr verwenden - und tun es nicht. Da tut einem das Herz weh.

Die Furche: Wobei die Ministerin betont, dass das Schulbudget seit 1995 um 24 Prozent gestiegen sei...

Haider: Ja, in absoluten Zahlen. Aber international ist es üblich, die Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt zu messen. Und hier ist es weniger geworden.

Die Furche: Ein Schritt, der Investitionen erfordern würde, wäre die Einführung eines Gesamtschulsystems. In Ihrem Zwischenbericht haben Sie große Sympathien dafür anklingen lassen, doch im Endbericht heißt es, dass die "kulturellen Voraussetzungen" fehlen...

Haider: So etwas wie eine Gesamtschule einzuführen, bedeutet einen enormen Kulturbruch. Dazu bedarf es einer gewissen Zustimmung unter den betroffenen Eltern und Lehrern. Und die kann man vorderhand nicht sehen. Trotzdem ist es notwendig, die gesamte Schulzeit anzusehen und die Grundkompetenzen anzuheben: Die sind ja laut pisa unsere Schwächen. Nur dadurch können wir auch eine Lösung für das Polytechnikum finden, wo es Repetentenquoten von 25 Prozent gibt. Für eine solche Strukturreform muss man Eltern und Lehrern aber erklären, was Sache ist und welche Vorteile es bringt - und nicht hunderttausende Euro für eine Kampagne über "Die neue Schule" hinauspulvern, die es nicht gibt.

Die Furche: Das ist ein ziemlich zermürbtes Fazit Ihrer Tätigkeit für das Ministerium...

Haider: Unsere Aufgabe war es, die Fakten auf den Tisch zu legen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen anzubieten. Und das haben wir ausführlich gemacht. Unsere Arbeit ist getan. Jetzt warten wir darauf, dass die Politik das umsetzt - zumindest zum Teil. Da kann man aber außer schönen Plakaten und Beteuerungen wenig finden. Manchmal hat man den Eindruck: Alles, was ein bisschen komplexer ist, ist der Frau Minister überhaupt nicht recht. Aber manche Dinge sind einfach komplex. Die Experten haben eh versucht, die Vorschläge einigermaßen verständlich aufzubereiten: Aber offenbar fehlt der Wille, sie auch zu verstehen.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Schmale Päckchen für "klasse:zukunft"

Sie sind als tragende Säulen der "Neuen Schule" gedacht: Jenes "Schulpaket I", das im Juli dieses Jahres - ein Monat nach Aufhebung der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze - beschlossen wurde und dessen Inhalte der Öffentlichkeit zur Zeit in großformatigen Plakaten vermittelt werden. Und das "Schulpaket II", das Bildungsministerin Elisabeth Gehrer Mittwoch vergangener Woche präsentierte - vor ihrem Gang zur Nationalrats-Sondersitzung über ihre Bildungspolitik. Sechs weitere sollen noch folgen.

Mit dem zweiten, zwölf Millionen Euro teuren Päckchen seien laut Gehrer "22 der 33 Maßnahmen, die von der Zukunftskommission empfohlen wurden, erfüllt". Eine Aussage, die Günter Haider, Leiter des Projektzentrums für Vergleichende Bildungsforschung (zvb) an der Universität Salzburg, Österreich-Koordinator der internationalen Bildungsvergleichstudie pisa und Leiter der fünfköpfigen "Zukunftskommission", nicht gelten lässt. Sowohl die Inhalte des ersten Schulpakets (Tagesbetreuung, 5-Tage-Woche, frühe Sprachförderung, Initiative "Lesen fördern", bedarfsgerechter Förderunterricht, Leadership Academy für Schulleiter, Bildungsstandards) als auch jene des zweiten Pakets (Umwandlung der Pädagogischen Akademien in Pädagogische Hochschulen, Sprachförderung an Volksschulen, mehr Begabtenförderung, Unterrichtsgarantie, Mitbestimmung bei Lehrerauswahl, besserer Mitteleinsatz für Kleinschulen und Einrichtung eines Bundesinstituts für Bildungsforschung) seien nicht ausreichend. "Die wichtigsten Reformen - Verbesserung des Unterrichts und Qualitätsentwicklung - kommen alle erst zum Schluss."

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