Elisabeth Gehrer - ©  APA-Photo: Robert Jaeger

Elisabeth Gehrer: Bildung - der Rohstoff des 21. Jahrhunderts

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Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) spricht im FURCHE-Interview über das, was eine gute Schule ausmacht.

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Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) spricht im FURCHE-Interview über das, was eine gute Schule ausmacht.

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Bildung und Ausbildung mit Qualität sind allen Eltern für ihre Kinder ein wichtiges Anliegen. Aber wie läßt sich die Qualität einer Schule bewerten, kontrollieren, entwickeln? Woran erkennt man eine gute Schule? In der Volksschule kommt es, wie man heute weiß, besonders auf die Klassenlehrkraft an, später auf ein Bündel verschiedener Faktoren. Dazu ein Gespräch mit der Unterrichtsministerin.

DIE FURCHE: Was ist eine gute Schule?

Elisabeth Gehrer: Eine gute Schule ist eine Schule, in der die gesamte Persönlichkeit des jungen Menschen gebildet wird, wo grundlegendes Wissen, Schlüsselkompetenzen, musisch-kreative Bildung, Wertehaltungen vermittelt werden. In einer guten Schule ist ein positives Klima notwendig: daß man sich Erfolg erwartet und nicht den Mißerfolg der Schüler in den Vordergrund stellt. Weitere Merkmale der guten Schule sind echte Schulpartnerschaft, eine Schulleitung, wo man merkt, daß es sie gibt, und ein kooperatives Klima in der Lehrerschaft. Notwendig ist es auch noch, daß Schule und Bildung sich immer an neuen Herausforderungen orientieren. Die Bildung ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Bildung, Wissen und Können sind die Grundlage für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes und damit auch die Basis für die Schaffung und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Meine Aufgabe ist es, diese wichtigen Dinge voranzutreiben.

DIE FURCHE: Wie kontrollieren und sichern Sie die Qualität der Schulen?

Gehrer: Wir haben in den letzten Jahren verstärkte Schritte zur Autonomie gemacht, im Lehrplanbereich, im Bereich des Budgets. Schulen können in einem gewissen Rahmen ihre Ziele selber festlegen. Bei mehr Autonomie brauche ich aber auch eine verbesserte Art der Kontrolle und der Evaluierung. Daß einmal im Jahr ein Inspektor kommt und sich etwas anschaut, das ist out, das ist kein moderner Kontrollmechanismus. Ausgehend von den Entwicklungen in der Wirtschaft wurden bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre an berufsbildenden Schulen Qualitätsevaluierungen vorgenommen. Dabei hat sich herausgestellt, daß die wirtschaftlichen Methoden zu aufwendig sind. Deshalb habe ich eine Expertenkommission beauftragt, Möglichkeiten der Qualitätssicherung für Schulen auszuarbeiten.

DIE FURCHE: Wie kann man erreichen, daß dabei alle mittun?

Gehrer: Der Schulleiter hat in Zukunft als Manager der Schule gerade im pädagogischen Bereich eine bedeutend größere Aufgabe. Deshalb gibt es derzeit auch die Diskussion, ob man Direktoren nicht von den vielen Verwaltungsarbeiten entlasten sollte. Es gibt verschiedene Methoden zur Erfassung von eventuellen Defiziten, aber auch von positiven Punkten an einer Schule, dazu gehört ein Feedback. Natürlich ist auch die Entscheidung der Eltern, Kinder in eine bestimmte Schule zu schicken, ein Feedback. Ein Lehrer erhält, wenn er offen ist, in jeder Unterrichtsstunde ein Feedback. Führungspersonen wie Lehrer, aber auch Politiker, sollten imstande sein, ein Feedback anzunehmen und nicht immer Erklärungen suchen, daß das eigentlich gar nicht so ist, wie es aus dem Feedback herauskommt.

Es gehört dazu, daß man gemeinsame Spielregeln ausmacht, eine neue Kultur des Miteinander-Umgehens. Daneben gibt es die Wissenskultur, die Absicherung des Wissens, und dann die ganze Verwaltungskultur. Zur Absicherung des Wissens gibt es zahlreiche internationale Verfahren, bei denen Österreich mitmacht, zum Beispiel bei einem Projekt, wo im Jahr 2000 weltweit die Lesefähigkeit der 15jährigen überprüft wird.

Für Qualitätsentwicklung ist auch notwendig, daß der Lehrer zu einem Teammenschen wird. In den USA habe ich Lehrer aus Österreich besucht, die dort arbeiten. Da sind die Schultüren alle offen, der Lehrer fühlt sich keineswegs gestört, wenn der Direktor vorbeigeht und hineinschaut. Unsere Lehrer haben dort drüben sehr angenehm bemerkt, daß sie sofort aufgenommen worden sind, der Teamgeist steht dort bedeutend mehr im Vordergrund als bei uns.

DIE FURCHE: Aber überall wird das nicht sofort funktionieren. Müssen bei weniger geeigneten Lehrern nicht auch Sanktionen denkbar sein?

Gehrer: Wir haben insofern einen Fortschritt erzielt, als bei der Ausbildung für das Lehramt angehende Lehrer ein Praktikum an Schulen machen, von Betreuungslehrern betreut werden und selber sehen, ob sie als Lehrer geeignet sind. Später ist es natürlich auch notwendig, immer wieder die Qualität zu überprüfen. Ich glaube, es ist ein legitimer Anspruch von Eltern, daß ihre Kinder den bestmöglichen Unterricht genießen. Dazu muß ich aber auch den Lehrern die Möglichkeit der Weiterentwicklung geben. Ich halte eine verpflichtende jährliche Lehrerweiterbildung für etwas sehr Wichtiges. Ich weiß, die Gewerkschaft ist dagegen, aber man muß sich heute in jedem Beruf weiterbilden, und wenn man nur die neue Rechtschreibung lernen muß. Wenn ein Direktor ein besonderes Defizit sieht, so gibt es die Möglichkeit, daß man dem Lehrer sagt, daß er eine bestimmte Weiterbildung zu machen hat. Wenn jemand totale Defizite hat, dann muß es auch die Möglichkeit geben, aus dem Lehrberuf auszusteigen, nur dazu brauchen wir ein neues System im Sozialbereich, auch bessere Bedingungen für jene, die aus der Wirtschaft bei uns einsteigen wollen.

DIE FURCHE: Wo sehen Sie besondere Erfolge der jüngeren Bildungspolitik?

Gehrer: Die Schwerpunktsetzung der Engländer, als sie den EU-Vorsitz hatten, haben wir erweitert um den Titel "Bildung ist mehr". Da haben wir die gesamte Persönlichkeitsbildung eingebracht, und ich habe seit vier Jahren einen Schwerpunkt im kreativ-musischen Bereich gesetzt, weil klar erwiesen ist: Wer im kreativ-musischen Bereich gut ausgebildet ist, bringt auch im kognitiven Bereich bessere Leistungen. Wichtig ist auch die berufliche Bildung. Man muß ganz klar sehen, daß es in Österreich durch die Lehrlingsausbildung, durch die berufsbildenden Schulen gelungen ist, daß wir die zweitniedrigste Jugendarbeitslosigkeit innerhalb der EU haben.

DIE FURCHE: Was muß die gute Schule lehren? Sollten nicht über Wissensvermittlung und Beherrschung der Kulturtechniken hinaus Flexibilität, Umgang mit Konflikten, Lebensbewältigung, Leistungsbereitschaft ganz oben stehen?

Gehrer: Man braucht ein gutes Grundlagenwissen, man braucht die sichere Beherrschung der Kulturtechnik. Nicht die Fülle macht es aus, sondern das gute Grundlagenwissen. Auch in der Volksschule werden Computer zum Einsatz kommen. Auch eine allgemeine humanistische Bildung ist ganz wichtig. Darüber hinaus müssen aber Schlüsselkompetenzen in der Schule vermittelt werden: Teamarbeit, Gesprächsführung, Konfliktlösung, Präsentationsmethoden.

Um sicherzustellen, daß das in der Schule gemacht wird, haben wir die Lehrplanarbeit 1999 begonnen, die Lehrpläne in Kern- und Erweiterungsbereiche eingeteilt. Der Kernbereich ist die Wissensgrundlage. Darüber hinaus gibt es Erweiterungsbereiche, der Lehrer kann differenzieren: Den schwächeren Schülern läßt er mehr Zeit, den besseren kann er besondere Aufgaben stellen. Im Lehrplan 1999 wird auch festgehalten, daß fächerübergreifende Arbeit zum Unterricht gehört. Diese Schlüsselqualifikationen lernt man nicht durch Reden, die lernt man durch Tun. Die österreichischen Schulen liegen in der Verwirklichung von EU-Projekten an der Spitze, wir holen mehr Gelder von der EU für Projektförderung heraus als wir anteilsmäßig für den Schulbereich in die EU hineinzahlen.

DIE FURCHE: Wenn Sie gerade für ihr Kind eine Schule suchten und zu einem "Tag der offenen Tür" kämen - worauf würden Sie besonders achten?

Gehrer: Ich würde besonders darauf achten, was mir Eltern erzählen, die schon Kinder dort haben, und wie der Umgang zwischen Lehrer und Direktor, zwischen Lehrer und Schüler ist. Ich glaube, daß das Klima der Schule ganz wesentlich davon geprägt wird, wie die Lehrer miteinander umgehen, was für ein Teamgeist ist. Wir haben eine Untersuchung aus Deutschland, da hat man gefragt, was das Wichtige ist in der Ausbildung. Es wurden lauter altmodische Tugenden genannt: Pünktlichkeit, Höflichkeit, gute Umgangsformen, Teamarbeit und so weiter. Die Sorge, daß die Schüler zu wenig wissen, die war ganz hinten. Ich würde auch besonders darauf achten, ob der musisch-kreative Bereich berücksichtigt wird.

DIE FURCHE: Wesentlich sind doch tüchtige Lehrer. Junglehrer finden heute meist erst nach Wartezeiten eine Stelle. Wenden sich da nicht oft gute Leute anderen Berufen zu und gehen damit der Schule verloren? Kann man dagegen nichts tun?

Gehrer: Die Schwierigkeit in dem Bereich besteht, daß man Bedarf und Nachfrage nicht so kombinieren kann, daß es immer zu 100 Prozent paßt. Aufgrund der starken Fluktuation im Lehrerbereich, auch weil es ein sehr weiblicher Beruf ist, wird es immer das Phänomen geben, daß nach einer gewissen Zeit, wenn die Schule läuft, plötzlich wieder Stellen frei sind. Ich weiß aber, daß gute Leute gerne wieder in die Schule zurückzukommen. Ich lehne eine totale Verplanung des Ausbildungswesens für Lehrer ab, aber ich sehe meine Aufgabe darin, immer wieder die jungen Leute zu informieren, in welchem Bereich sie gute Chancen haben, in welchem nicht.

DIE FURCHE: Gehört zu Ihrem Bemühen um eine gute Schule auch Ihr Vorstoß in Sachen Drogentests, den manche heftig kritisiert haben?

Gehrer: Kritik gibt es immer. Die Schule ist ein Betrieb, wo wir 120.000 Lehrerinnen und Lehrer haben, 1,2 Millionen Schüler und dementsprechend viele Eltern und Großeltern, die sich alle mit der Schule beschäftigen. Daß man hier eine gemeinsame Meinung findet, ist unmöglich. Ich halte es für notwendig, daß Kinder von Lehrern unterrichtet werden müssen, die keine Drogen nehmen.

Es hat vor kurzem auch der Vizekanzler gesagt, daß im Zuge von Liberalisierungen, Aufmachen der Grenzen, zu erwarten ist, daß verstärkt Drogen in Österreich auftreten werden. Ich habe die interministerielle Drogenkommission, die vom Justizministerium geleitet wird, gebeten, mir zu sagen, wie ich sicherstellen kann, daß junge Lehrer, die wir anstellen, keine Drogen nehmen. Es kann auch sein, daß der eine schriftliche Erklärung abgibt, und daß wenn irgendwie ein Verdacht auftaucht, sofort Überprüfungen möglich sind. Genauso ist es mit Alkohol. Wenn ein Lehrer wirklich alkoholsüchtig ist, dann muß der Direktor etwas tun, das geht nicht anders. Dazu ist mir die Ausbildung der Jugend zu kostbar und auch die Persönlichkeit der jungen Menschen. Wer mit der Jugend zusammenarbeitet, muß clean sein. Ich muß mich darauf verlassen können, daß die Lehrerinnen und Lehrer keine Drogen nehmen, das ist man den Eltern schuldig. Diese Diskussion ist jetzt aufgrund von verschiedenen Vorfällen aufgebrochen, auch aufgrund von zwei Drogenfällen in Wien, wo die Betroffenen aber sofort außer Dienst gestellt worden sind. Ich glaube schon, daß wir in der Schule Erziehungsmittel brauchen, sicher nicht Rohrstaberl oder In-die-Ecke-Stellen, keine psychischen Demütigungen, aber es muß Grenzen geben, und Konsequenzen, wenn man die Grenzen überschreitet.

DIE FURCHE: Stichwort Erziehungsmittel - wie werden Sie hier weiter vorgehen?

Gehrer: Es ist bereits in verschiedenen Schulen erprobt worden, daß man Erziehungsvereinbarungen macht, wo man mit den Eltern ganz genau festlegt, was man sich von den Schülern erwartet, was man sich von den Eltern erwartet. Die Eltern bekommen dafür auch eine Bestätigung, was sie sich von der Schule erwarten können. Wenn jemand mutwillig etwas beschädigt, muß es wieder gut gemacht werden, wenn jemand mutwillig den Unterricht stört, muß es mit ihm und mit den Eltern besprochen werden. Wir haben jetzt Fachleute gebeten, uns aufzuzeigen: Was sind mögliche Erziehungsmittel, was sind mögliche Erziehungsvereinbarungen?

Es gibt schon rechtliche Möglichkeiten: Verwarnung, Versetzung in eine andere Klasse oder einmal jemanden zeitweilig daheim zu lassen, nur glaube ich, wir brauchen darüber hinaus moderne Erziehungsmittel. Die Zeit, wo man gesagt hat, Jugendliche müssen ohne jedwede Beschränkung aufwachsen, hat sich wieder geändert. Auch in den Erziehungswissenschaften setzt sich die Erkenntnis durch, daß ich auch in der Schule schon Spielregeln brauche, damit ich mich überhaupt im Leben, wo es viele Spielregeln gibt, zurechtfinde. Wir werden verschiedene Modelle von modernen Erziehungsmitteln vorstellen und werden die Diskussion in aller Breite führen.

Von einer Schule weiß ich, daß dort nie die Turngeräte zurückgestellt worden sind, daß die Turngeräte auch kaputt gemacht worden sind. Das hat mir die Schülervertreterin erzählt. Sie hat in der Schulgemeinschaft eingebracht, daß der Turnsaal ordentlich aufgeräumt werden muß, auch die Lehrer müssen sich daran halten. Wer die Regeln nicht einhält, muß jetzt zehn Schilling in eine Kassa zahlen. Es geht nicht darum, Strafen einzuführen, es geht um freiwillige Vereinbarungen. Ich glaube, das ist notwendig.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

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