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Notruf: Zuwenig Lehrer!

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Über die Gründe und notwendigen Maßnahmen gegen den Lehrermangel.

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Über die Gründe und notwendigen Maßnahmen gegen den Lehrermangel.

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Die Anpassungsschwierigkeiten, denen die Schule der Gegenwart als Folge der fortschreitenden gesellschaftlichen Dynamik vielfach ausgesetzt ist, werden in einer übertriebenen Vereinfachung als "Bildungskatastrophe" bezeichnet. Es ist bedenklich, zur Kennzeichnung der Lage der Schule das kaum mehr steigerungsfähige Wort "Katastrophe" zu verwenden und dadurch das Problem als Zeitungssensation zu behandeln: Anderseits befindet sich aber die Schule unverkennbar in einem Umbruch - ohne Chance eines unmittelbaren und wirklichen Neubaues.

Wenn von der Schule die Rede ist, meint man vielfach, sie mit Gebäuden und Gesetzwerken gleichsetzen zu können. Die Schule ist aber mehr: Im Sinne einer betriebswirtschaftlichen Einteilung können wir Schulen den Dienstleistungsbetrieben zurechnen. Betrieb, die in erster Linie Dienste darzubieten haben, sind aber in ihrer Qualität, in ihrem "Firmenwert", vom Wert jener Personen bestimmt, welche die Dienste leisten; im Fall der Schule also von den Lehrern. Ausleseschulen können sogar in Kellerlöchern untergebracht werden, während anderseits Schulpaläste, in denen ungeeignete Lehrkräfte unterrichten, den Rang von Kümmerschulen haben.

Im Verhältnis von Schulausstattung und Lehrer ist heute der Lehrer der Minimumfaktor, an den sich die sachliche Kapazität anpassen muß: Die Leistungen einer Schule sind in erster Linie nicht von Gebäuden, sondern von der Anzahl der verfügbaren Lehrer bestimmt: Der Lehrermangel kann zu Störungen in unserer Gesellschaft, zu einer bildungsmäßigen "Unterentwicklung" und auch zu einer materiellen Unterversorgung führen.

Sorgenvoller Blick in die Zukunft

Nach einer Ermittlung der UNESCO gibt es auf der Welt derzeit 416 Millionen Schüler im Alter von 7 bis 19 Jahren, das sind aber nur 43 Prozent der jungen Menschen dieser Altersgruppe! Wie wird es nun sein, wenn die Pflicht- schulgrenzen hinaufgesetzt werden und alle jungen Menschen einmal eine Schule besuchen können? Nicht die Größe des Sozialproduktes oder ein herrenständisches Vorrecht wird dann die Vollendung der Bildungsgesellschaft unmöglich machen, sondern der Mangel an Lehrern! Mit vollem Recht wird daher in der „Ordnung“ (Paderborn 464) ein Kapitel eines Aufsatzes, der sich mit dem Lehrernachwuchs beschäftigt, mit „Bildungsnotstand durch Lehrermangel“ überschrieben.

In der deutschen Bundesrepublik nimmt man schon für das Jahr 1970 einen Fehlbestand von 70.000 bis 80.000 Lehrern an, und das bei Klassen bis 70 Schüler! Vor allem fehlen männliche Lehrkräfte, so daß man vermutet, es werde in Hinkunft der Unterricht an den Grundschulen überhaupt nur noch durch weibliche Lehrkräfte, deren Dienstzeit unter jener der Männer liegt, erteilt werden können (oder durch umgeschulte Hausfrauen, wie in einem deutschen Bundesland).

Theotterbertz („Rheinischer Merkur“, 9. Oktober 1964) schätzt, daß in der Bundesrepublik je Jahr eine Lücke von 20.000 Lehrern entstehen wird, so daß die Forderung, bei Beginn des pädagogischen Studiums das Abitur nachzuweisen, fallengelassen werden muß.

Der soziale Hintergrund

Welche Gründe hat der Lehrermangel?

Der wichtigste Grund scheint die Vollbeschäftigung vor allem auf Jenen Teilarbeitsmärkten zu sein, aus denen die Lehrer früher gekommen sind. Dem Angebot an offenen Stellen für Lehrer stehen erheblich anziehendere andere Anbote gegenüber. Ehedem konnten die Angehörigen verschiedener akademischer Berufe ihr Wissen kaum besser als im Lehrberuf verwerten (Mathematiker, Physiker, Chemiker, Neuphilologen). Heute ist es leicht möglich, mit dem erworbenen Wissen in anderen Berufsssparten, vor allem in der sogenannten „Privatwirtschaft“, unterzukommen. Die Anfangsbezüge in der Privatwirtschaft liegen erheblich über denen junger Staatsbeamter. Daß das bei den Lebensbezügen nicht so ist, wird anfänglich nicht beachtet. Die Verwissenschaftlichung unseres öffentlichen Lebens und die Intellektualisierung der Produktionsprozesse macht ständig neue Arbeitsbereiche für junge Akademiker frei,

die ehedem ihr Wissen nur im Unterricht verwerten konnten. In der Ersten Republik war der Lehrberuf auch da und dort eine Art Zuflucht für Akademiker, die für die Wirtschaft ausgebildet worden waren, dort aber keine passende Stelle finden konnten (Techniker, Diplomkaufleute). Warum soll aber heute ein Diplomingenieur in den Staatsdienst mit einem Anfangsgehalt gehen, der in der Nähe des Facharbeiterlohnes liegt, und dies nach zwölf bis vierzehn Studiensemestern?

Der Lehrberuf ist ferner heute nicht mehr so sozial anziehend und gesellschaftlich geachtet wie früher. Nicht wenige — auch Akademiker — sehen im Lehrer wieder den „Schulmeister“, den „armen Teufel“, der wie eh und je, obwohl doch kein Schulgeld bezahlt wird, „von den Kindern lebt“. Diese Annahme wird noch dadurch verstärkt, daß manche Lehrer in einer peinlichen Weise ihre Geldsorgen in der Klasse — sehr zu deren Gaudium — ausbreiten.

In der Sehnsucht nach mehr Achtung fliehen daher nicht wenige Menschen, die für den Lehrberuf ausgebildet worden sind, nach „oben“, in Berufe, die mehr an Standessinnbildern haben oder zu haben scheinen als Kreide, Zirkel und eine ohnedies heute stark an- gezweifelte Autorität.

„Verziehung" im Elternhaus

Nicht wenig Schuld am Lehrermangel von heute und morgen tragen jene Eltern, die eine Schulabneigung bei ihren Kindern durch eine unsachliche Kritik des Lehrerverhaltens fördern. Das gilt auch für die Eltern aus den „besseren Ständen“. Die Würde des Lehrers wird oft schon im Elternhaus abgebaut. Was sich dann in der Schule ereignet, ist nur eine Folge des Eltern Verhaltens: die vielen Disziplinlosigkeiten in der Schule, noch mehr der lautlose Aufstand der Schüler gegen die Lehrer, der zur Beziehungslosigkeit führt, zur Beschränkung des Verhältnisses von Lehrer und Schüler auf Prüfungskontakte. Für manche Lehrer wird die Unterrichtsstunde auf diese Weise zur Qual. Welcher Schüler wollte Gleiches einmal selbst als Lehrer durch Jahrzehnte mitmachen?

So manche Vorgesetzte sollten dem Lehrer mehr Freiheit geben. Die Schule wird in der Gegenwart viel zuviel verwaltet. Der Lehrer hat daher nicht immer das Gefühl, in erster Linie Lehrer, sondern eher das Vollzugsorgan von Wünschen zu sein, die mit der Erfüllung seiner eigentlichen Lehrerpflichten wenig zu tun haben. Wie viele Lehrer wissen beispielsweise ein Lied über die unterschiedlichen „Wochen“ zu singen, deren sachliche Notwendigkeit keineswegs in allen Fällen nachgewiesen werden kann. Wenn ‘es heute Gegenstände gibt, bei denen . als Folge von pädagogisch nicht immer erforderlichen Unterbrechungen des Unterrichts an die 50 Prozent der vorgesehenen Unterrichtszeit ausfällt, kann das bedenkliche Bemühen nur gefördert werden, die Schulzeiten weiter zu erhöhen und gleichzeitig den Lehrer zum Dauerspielleiter von „Gruppenszenen“ zu machen.

Ungelöst ist das Problem des Dorflehrers. Wir wissen nicht, ob nach Errichtung der Pädagogischen Akademien die Absolventen nach vier hochschulähnlichen Studiensemestern in der erforderlichen Anzahl auf Posten auch in Einöddörfer gehen werden. Wenn aber das Problem des Dorflehrers nicht gelöst wird, kommt es zur geistigen Verkümmerung des Dorfes, das dann im schlimmsten Sinn des Wortes Provinz wird. Wer begreift das stille Heldentum der Lehrer an den einklassigen Schulen; wer weiß, wieviel die Gesellschaft diesen Lehrern verdankt, die bei geringer Bezahlung auch noch auf jenen bescheidenen Wohlstand verzichten, den ihnen und ihren Angehörigen eine Stelle in der Stadt oder in ihrer Nähe bietet? Man sollte mehr als bisher diesen Helden an der vordersten Front des Bildungswesens die erforderliche Reverenz erweisen.

In Politik und Gesellschaft

Auch die Politik kümmert sich wenig oder kaum um die Lehrer. Wie viele Lehrer sind heute an verantwortlicher Stelle in der Verwaltung der Geschäfte der Gesellschaft, wie viele Lehrer wurden seinerzeit für würdig befunden, an den Schulgesetzen, die sie schließlich auszuführen haben, mitzuwirken?

Eine rühmliche Ausnahme ist die letzte Bewerberliste der ÖVP für die Wahlen zum Wiener Gemeinderat, die nicht weniger als 15 Personen aus dem Lehrerstand aufgewiesen hat.

Die Gemeindestuben sind heute weitgehend nur mehr der Austragungsort von ökonomisch bestimmten Interessengegensätzen. Warum wird von den Parteien nicht versucht, mehr Lehrer zu Mandataren zu machen und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, sachverständig in Fragen der Kulturpolitik tätig zu sein? Kein Bäckermeister würde es sich gefallen lassen, wollte ihm ein Philologe belehrende Hinweise in der Frage von Backrezepten geben. Auf der anderen Seite wird aber auf die Schule über Gesetzgebungsakte von Nichtfachleuten in einer nicht vertretbaren Weise Einfluß genommen.

Wie wenig selbst die Gesellschaft den Lehrer einschätzt, zeigt sich in der Graduierung der Lehrer an höheren Schulen. Wenn ein Lehramtskandidat die Hochschule verläßt, erhält er nicht einmal einen Titel. Formell ist er der Herr X und führt gleichsam den Titel eines Diurnisten, er heißt nämlich Vertragslehrer, wenn ihn auch gütige Schüler als „Professor“ ansprechen.

Eine dauernde Aufgabe

Schulreform ist eine dauernde Aufgabe jeder Gesellschaft. Heute heißt Schulreform in erster Linie Sicherung eines ausreichenden Lehrernachwuchses: Die Nachfrage an Lehrern wird vor allem durch das neunte Schuljahr und die reduzierten Klassenfrequenzen steigen. Man kann selbstverständlich durch Mehrdienstleistungen Überbrückungshilfen, aber keine Dauerlösung schaffen.

Es ist durchaus möglich, daß sich eine zeitgerechte Durchführung der Schulgesetze schließlich nicht wegen Geldmangels, sondern wegen des Fehlens der notwendigen Anzahl von Lehrern als schwer möglich erweisen wird.

Nun ist der Lehrerbedarf von morgen nicht der Struktur der Lehrerschaft von heute zu entnehmen: Es gibt schrumpfende Schulzweige, Fächer, deren Bedeutungsgewicht offenkundig abnimmt, und anderseits Fächer, die heute kaum noch auf Hochschulebene gelehrt werden, morgen aber auch im Katalog der Gegenstände der höheren Schulen seinen Platz finden müssen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, daß der Schulforschung in Österreich mehr Mittel als bisher zur Verfügung gestellt werden. Erst die Taten der Schulforschung machen es möglich, zu einer Schulplanung zu kommen, während heute vielfach noch der Einfluß von pressure groups die Organisation des Schulwesens, vor allem die Errichtung neuer Schulen, in einem ungebührlichen Ausmaß bestimmt.

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