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Bildungsgefälle Stadt—Land

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Das österreichische Schulgesetz sieht für jedes Kind, gleich wo es im Bundesgebiet wohnt, was seine Eltern sind, die gleiche Grundausbildung vor. Freilich treten hier stillschweigend die örtlichen Gegebenheiten in Wirksamkeit, und wenn auch das eine Bildungsziel für alle Schüler gilt, so entscheidet allzuoft der Wohnort der Eltern die Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder (auf acht Maturanten der Stadt Wien fällt prozentuell nur einer in der Oststeiermark 1).

Eine Grenze ist freilich geblieben und noch gewachsen: das Bildungs-(möglichkeiten)gefälle besteht heute zwischen Stadt und Land und wartet einer annehmbaren Lösung. Es beginnt bei der niederorganisierten Volksschule, wo der Lehrer unter wesentlich erschwerten Bedingungen und mit weniger Mitteln den Kindern den gleichen Unterricht bieten soll, wie ihn sein Kollege an der Stadtschule erteilt, setzt sich fort mit den Möglichkeiten des Besuches einer höheren Schule und endet schließlich in der Begrenztheit der außerschulischen Jugendpflege und der Erwachsenenbildung.

Arme Gemeinden — kümmerliche Schulen

E3 ist in den letzten Jahrzehnten Im Schulbereich sehr viel geschehen; vielfach ist die Initiative von den Gemeinden ausgegangen. Unter großen Opfern wurden neue Schulen gebaut (mehr als ein Drittel des gesamten Schulbestandes wurde neu errichtet). Trotzdem oder auch vor allem darum muß die Forderung erhoben werden, daß der Schulbau und die Einrichtung der Schule nicht allein Aufgabe der Gemeinde sein kann. Die Intensivierung und Verbesserung des Unterrichtes (mehr und bessere Klassenräume, Turnsäle, Handarbeitsräume, Lehrmittel) verlangt auch bei uns Überlegungen, wie beigetragen werden kann, dem erwähnten Gefälle entgegenzuwirken. Moderne Verkehrsmittel und gute Straßen lassen uns heute Hindernisse überwinden, vor denen unsere Eltern und Großeltern zurücktreten mußten; Zentral- oder Gemeinschaftsschulen sind bei uns erprobt (Hauptschulen auf dem Lande), und es ist keine Frage, daß in einer gut eingerichteten Schule eine bessere pädagogische Arbeit geleistet werden kann als unter kümmerlichen Voraussetzungen.

Der anwachsende bedrohliche Lehrermangel gefährdet nicht nur die postitive Verwirklichung des Schulgesetzes 1962, ein geordneter und erfolgversprechender Unterricht (von Erziehung ganz abzusehen) ist fraglich, wenn nun Schulen ohne Lehrer dastehen, Klassen zusammengelegt werden müssen und die Lehrer durch Uberstunden überlastet sind. Erfahrungsgemäß leiden die ländlichen Schulen mehr unter diesen Gegebenheiten.

Wenn wir für die Unterstufe der Volksschule die Forderung nach einer Heimatschule mit „Nestwärme“ vertreten, so muß doch für die Oberstufe, die Hauptschule und den Polytechnischen Lehrgang die Forderung nach den bestmöglichen Bedingungen für die Unterrichtserteilung gestellt werden. Die Schulabgänger unserer ländlichen Schulen müssen sich im Berufswettkampf neben ihren Kameraden aus der Stadt bewähren, daher ist es recht und billig, ihnen die gleiche Ausbildung zu sichern.

Hauptschulen für alle

Die Forderung nach den bestmöglichen Voraussetzungen für einen gedeihlichen Unterricht dürfen vor allem die Hauptschulen erheben; es ist so — oder wird doch in absehbarer Zeit so —, daß jedes normale Kind die Hauptschule besuchen kann und, durch den Aufbau der höheren Schulen auf dem Lande ermöglicht, auch in eine höhere Schule übertreten kann. Ein nicht geringer Anteil der Hauptschulgänger sucht auch heute schon den Zugang zur höheren Schule. Die Aufgabe der Hauptschule hat sich gewandelt. Leider haben sich die Einrichtungen unserer Schulen nicht mit den gestellten Anforderungen gewandelt. Die zweizügig geführte Hauptschule wird auch auf dem Lande die auf der Grundstufe aufbauende Schulform werden.

Damit im Zusammenhang steht die Frage des Schülertransportes. Neben einzelnen privaten Versuchen übernehmen Postomnibusse und Bundesbahnzüge die Fahrschüler. Überfüllte Wagen, Lärm, schlechte Beeinflussung, Klagen über das Benehmen der Schüler, hohe Fahrtkosten sind die Begleitumstände der Schulfahrt.

Mehr Zusammenarbeit

Im Bereich der Pflichtschule werden die Sorgen erziehlicher und unterrichtlicher Art dem Bezirks-schulinspektor als Verpflichtung auferlegt. Hier könnte ein pädagogischer Beirat dem Bezirfcsschul-inspektor manche Arbelt abnehmen; vielmehr gilt diese Forderung nach einem „Bildungskooperativ“ für die außerschulischen und volksbildnerischen Bildungsbelange in einem Bezirk. Nur in planender Zusammenschau und einer Miteinanderarbeit aller fähigen Führungskräfte könnte auf lange Sicht das Bildungsgefälle Stadt — Land ausgeglichen werden. Das ist freilich eine harte Forderung für viele „eingleisige“ Obmänner und Funktionäre unserer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Einrichtungen. Es wäre durchaus möglich, gleiche Einrichtungen der Schule, der außerschulischen Jugenderziehung und der Volksbildung zur Verfügung zu stellen. Mit diesen Forderungen ist freilich nicht der Wunsch ausgesprochen nach mehr Dirigismus und mehr Lenkung von oben, sondern nach mehr Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Damit würde keine Nivellierung aller Bestrebungen eintreten, sondern neue Wirklichkeiten würden sich erschließen. Benützte Büchereien können auch auf dem Lande Realität sein (siehe Dänemark, Schweden, Finnland); Theater- und Konzertbesuch setzt Säle und Verkehrsmöglichkeiten voraus; vor allem der ländlichen Jugend, die außerdem auch schulärztlich schlecht betreut ist, ist eine gute sportliche Erziehung ein Bedürfnis.

Gleiche Rechte

Zusammenfassend erscheinen also folgende Forderungen dringlich:

• Das Recht auf gleiche Ausbildung verlangt, Wege und Mittel zu suchen, auch dem Landkind gleiche Ausbildungsvoraussetzungen zu schaffen wie jedem anderen Kind.

• Deshalb kann der Schulneubau und die Einrichtung der Schulen nicht allein Aufgabe der Gemeinden sein; Planung und Koordinierung aller wirkenden Kräfte sollen gesucht werden; den finanzschwachen Gemeinden muß geholfen werden.

• Der Lehrermangel darf nicht in erster Linie die Landschule treffen. Lehrermangel und Klassenzusammenlegungen dürfen nicht die Bemühungen der Schule zunichte machen.

• Die Bildungseinrichtungen auf dem Lande sind zu ordnen. So schwer Zusammenarbeit auch fallen sollte, sie ist heute notwendig, weil es nicht sinnvoll ist, daß in einer Krise (Menschheit im Wettlauf zwischen Untergang und Erziehung) ein Gegeneinander, wenn auch guter Meinungen, den allgemeinen Erfolg verhindert.

• Um so viele Vorhaben durchführen zu können, müssen die notwendigen finanziellen Mittel dazu gesichert werden. Ein neues System der Gemeindenbesteuerung, das ländliche Gemeinden in die Lage versetzt, ihren kulturpflegerischen Aufgaben nachzukommen, scheint notwendig zu sein.

Freiheit

Eine große Belastung für das Verhältnis Priester-Arbeiter bildet allerdings die im allgemeinen Bewußtsein immer noch stark vorhandene Gleichsetzung von Kirche und „Schwarz“. Das bricht immer wieder durch, trotz aller Klarstellungen von selten der Hierarchie, trotz allem Heraushalten der Priester aus der Tagespolitik, trotz dem Bemühen vieler Seelsorger, tatsächlich so über den Parteien zu stehen, wie es ihre Autgabe ist, wenn sie ihre seelsorgerische Botschaft allen bringen möchten. Ob es gelingen wird, die Kirche vom Odium der Parteihörigkeit endgültig zu befreien, ob es gelingen wird, die Priester vom Verdacht zu reinigen, letztlich doch heimliche Diener einer Partei zu sein, der viele Arbeiter nicht angehören, das wird für das zukünftige Verhältnis der Arbeiter zur Kirche und zu den Priestern von grober Bedeutung sein. Dabei sollten alle helfen, die als Getaufte und Gefirmte ein Interesse am Geschick der Kirch haben. Es genügt nicht, wenn die Priester für sich alles unternehmen, um einer scheinbaren Bindung an eine politische Partei oder eine ihrer Organisafionen zu entgehen. Man wird schließlich von Christen, die sich einer politischen Idee verschrieben haben und für eine Partei arbeiten, fordern müssen, daß sie von sich aus alles unterlassen, was ihr vor ihrem eigenen Gewissen verantwortetes politisches Handeln mit der Kirche Identifiziert hat. Wer heute in Osterreich als Christ in einer Partei oder einer politischen Organisafion tätig ist, darf die Kirche nicht für sich in Beschlag nehmen. Er muh gerade wegen seines Christseins darauf verzichten, die Kirche und ihre Priester nur irgendwie in Zusammenhang mit seinem politischen Handeln zu bringen, auch wenn es seiner Partei oder seiner Organisation aus taktischen Gründen nützen würde. Er wäre sonst nicht vom Verdacht freizusprechen, dafj ihm sein politisches Bekenntnis über sein religiöses Bekenntnis geht.

(Kaplan Haimut Orlafc: „Seelsorger In der Walt dar Arbalt')

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