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Äpfel und Birnen

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Chancengleichheit, Gesamtschule, Schulversuch, Kontrollschule, Lehrermangel, Schulraumnot und ähnliche Vokabel verunsichern zu Schulbeginn wieder einmal besorgte Eltern — und nicht nur diese.

Derzeit gibt es in Österreich etwa eineinhalb Millionen Schulkinder; davon werden zirka 100.000 von 3000 Lehrkräften im Schulversuch unterrichtet. Diese Verunsicherung müßte nicht sein, denn sie ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß über Schulversuche und Schulreform zuwenig bekannt ist und die Österreicher daher dem gesamten Komplex eher skeptisch gegenüberstehen. Grund für diese Informationslücke, die auch vom Ministerium offensichtlich nicht geschlossen werden will, ist wohl, daß es an klaren Formulierungen der Zielvorstellungen fehlt, daß der § 2 des Schul-organisationsgesetzes, der diese grundsätzlichen Ziele enthalten sollte, wieder einmal abgeändert werden soll; und dadurch entsteht der Eindruck, daß in Österreich weiter ins Blaue hinein experimentiert wird.

Immerhin, die Schulversuche stehen heute — wenn man das Vorversuchsjahr hinzuzählt — im vierten Jahr und die positiven Ergebnisse sind eher mager:

•die Einführung des Fremdsprachenunterrichts in der dritten und vierten Schulstufe (Volksschule) hat sich bewährt;

•ebenso die vorschulische Erziehung;

•der Versuch, bei den zehn- bis vierzehnjährigen Schülern die additive Gesamtschule einzuführen, berechtigt zu echtem Optimismus. Das Kennzeichen der additiven Gesamtschule ist es nämlich, Hauptschule und allgemeinbildende höhere Schule (AHS oder „Mittelschule“) zwar klassenmäßig getrennt, aber unter gemeinsamer Verwaltung und Schulleitung zu führen, wodurch die Übertrittsmöglichkeiten erleichtert werden und die „Durchlässigkeit“ gesteigert wird.

Anders bei der vielzitierten integrierten Gesamtschule, wo als einziges Kriterium der Klassenzugehörigkeit das Alter ausschlaggebend ist; ungeachtet verschieden hoher Intelligenzgrade, Entwicklungsstufen oder Leistungserbringung werden sämtliche Kinder eines Jahrgangs gleichsam „unter einem Hut“ unterrichtet. Gerade hier hat vehemente Kritik eingesetzt — mit dem Argument, daß unter dem Deckmäntelchen der Chancengleichheit eigentlich nichts anderes als Gleichmacherei betrieben werden soll.

In die gleiche Kerbe paßt auch die Abschaffung der Aufnahmsprüfungen in höheren Schulen unter Minister Gratz. Vordergründiges Argument war (und ist), daß durch solche und ähnliche Maßnahmen die soziale Unterprivilegierung beseitigt werden soll; eine Unterprivilegierung, die es im Österreich des Jahres 1973 wohl nicht mehr gibt. Was es heute — leider — noch gibt, ist allerdings die geographische Unterprivilegierung, die im wesentlichen durch den Kontrast Stadt (bzw. Ballungsraum) — Land manifestiert wird.

Doch wie sieht eine Zwischenbilanz der Schulversuche aus? Dem Vernehmen nach sollen die Erfolge der Versuchsschulen beachtlich sein und die Ergebnisse über denen der „Kontrollschulen“ (Schulen mit herkömmlichem Lehrbetrieb) liegen; doch das Bild trügt: serdöserwedse kann nämlich ein Vergleich Kontrollschulen—Versuchsschulen gar nicht angestellt werden, da für Versuchsschulen — bezeichnenderweise — bessere Chancen bestehen:

•Versuchsschulen verfügen zumeist über kleine Klassen, während in Kontrollschulen von den Lehrern bedeutend größere Klassen betreut werden müssen.

•Versuchsschulen werden durchweg mit Lehrkräften geführt, die sich für ihre Aufgabe in SpezialSchulungen gründlich vorbereitet haben (während an den sogenannten Kontrollschulen infolge Lehrermangels rund 25 Prozent ungeprüfte Lehrer unterrichten).

•Die Versuchsschulen verfügen

über edne ausgezeichnete Ausstattung an Lehrmaterial, Übungssälen (für Physik, Chemie usw.), haben Raum (insbesondere größere Klassenzimmer) zur Verfügung und ähnliches. In zahlreichen Kontrollschulen gibt es diese Vorteile nicht, es muß improvisiert werden, entsprechende Räumlichkeiten und Ausstattung mit Lehrmaterial sind nicht vorhanden, und statt einer Note findet sich immer häufiger der lakonische Vermerk: „Wurde nicht unterrichtet“ im Zeugnis, weil sogar Pflichtgegenstände oftmals nicht mehr unterrichtet werden können.

Durch die Bevorzugung der Versuchsschulen geht die Vergleichsbasis verloren; wer dennoch vergleicht, der vergleicht Äpfel und Birnen.

Ein weiteres Manko, das bereits weite Kreise der Lehrkörper verärgert hat, ist die mangelnde wissenschaftliche Kontrolle und Überwachung der Schulversuche. Bei einer entsprechenden wissenschaftlichen Bearbeitung der Sachfragen (etwa durch die derzeit noch nicht einsatzfähige Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt) könnten echte Ergebnisse erzielt werden.

Kritik wird auch dahingehend laut, daß zwar am organisatorischen Aufbau des Schulwesens gebastelt wird, dabei aber die innere Schulreform (Lehrpläne, Zielvorstellungen) nicht oder nur sehr sporadisch zum Zug kommt.

Was bleibt, ist die Verunsdcherung, an der vor allem die Politiker (und zwar aller Parteien) schuld sind, da sie ihre Verantwortung im Bereich der Bildungspolitik nicht wahrgenommen haben. Kleinbürgerliche wie proletarische Vorstellungen haben das Bildungsideal zum Fetisch erkoren; mehr Bildung bedeutet mehr Renommee, mehr Prestige, mehr gesellschaftliches Ansehen. Der Ruf nach mehr Bildung ist daher publikumswirksam und somit parteitaktisch vorteilhaft.

In der blinden Bildungshatz bleiben dann auch wesentliche Aspekte auf der Strecke. Nicht nur, daß Bildungswillen und Bildungsleistung in einer realistischen Relation gesehen werden müssen, so fehlt es vor allem an einer klaren Formulierung von Bildungszielen und einer realistischen Bildungspolitik. Im Dunstkreis dieser unibewältigten Bildungseinstellung muß der Ruf nach Chancengleichheit als hohle Phrase, der ins-geheime Wunsch nach mehr Prestige als wahres Motiv erscheinen.

Akademisches Proletariat

Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme hat in einem ORF-Report fast die gleichen Worte verwendet wie Österreichs Unterrichtsminister Sinowatz: daß nämlich eine höhere Bildung an sich schon Selbstzweck habe und keinen Anspruch auf entsprechende Verwendung (= eine finanziell bessere Stellung) begründe.

Das Fazit dieser verfehlten Entwicklung:

•Die Mittelschule wurde zum Prestigesymbol ersten Ranges; die Abschaffung der Aufnahmsprüfung beschleunigte diese Entwicklung so stark, daß man in den letzten Jahren mit „Auslesetests“ Schüler von den AHS aussperren mußte, da die Kapazitäten bereits mehr als überbeansprucht sind.

•Das bedingt, daß Kinder, die eigentlich den ersten Klassenzug der Hauptschule besuchen sollten, sich in der Mittelschule abquälen müssen, den Stoff nicht adäquat verarbeiten können und sich — im täglichen Leistungsdruck mit ihren „besseren“ Mitschülern unglücklich fühlen. Die Eltern versuchen, solche Handikaps durch teure Nachhilfestunden zu korrigieren; Krücken, die letztlich allzuoft ein Ausscheiden aus der AHS nicht verhindern können. Derzeit beträgt die Ausfallsquote im Zeitraum der ersten Klasse bis zur Matura schon 50 Prozent! Und das, obwohl generell eine Senkung der Anforderungen festgestellt werden kann.

•Kinder, die im zweiten Klassenzug der Hauptschule besser aufgehoben wären, besuchen den ersten Klassenzug, wodurch im zweiten Klassenzug oft Kinder unterrichtet werden, die richtigerweise eine Sonderschule besuchen sollten.

•75 Prozent der Maturanten besuchen nach der Matura die Hochschule. Unreflektiert wird das Prestigedenken und die Renommiersucht auf die Spitze getrieben. Studieneinrichtungen, für die objektiv kein oder wenig Bedarf an graduierten Akademikern besteht (z. B. Juristen) werden überbelegt; andere Fächer (z. B. technische Richtungen) zeigen einen Mangel an Absolventen. Ein „Doktor“ ist nach wie vor mehr „wert“ als ein Diplomingenieur.

Das sind keine Kassandrarufe, denn ausländische Beispiele, denen in Österreich so gern nachgeeifert wird (z. B. Schweden, Frankreich und in letzter Zeit auch die Bundesrepublik Deutschland), melden schwindelerregende „Uberproduktion“ von Akademikern, die dann edne ihrer Ausbildung adäquate Beschäftigung nicht finden können. Der promovierte Tankwart oder Taxilenker ist in diesen Ländern bereits zur alltäglichen Erscheinung geworden.

Hier schließt sich der Kreis: das Unbehagen, die Verunsicherung der Bevölkerung ist perfekt. Die „Studierten“ können sich dann nämlich oftmals nicht mehr einen „simplen“ Handwerker leisten und selbst die Löhne für Hilfsarbeiter klettern unbeirrt weiter in astronomische Höhen.

Um Irrtümer zu vermeiden: nicht der Arbeiter wird um seinen Lohn beneidet, sondern der bedauert, der Dank einer verfehlten Bildungsideologie dem Fetisch erlegen ist und einen Beruf ausübt, in dem er sich nicht verwirklichen kann und nach einem teuren und langen Bildungsweg ratlos resigniert.

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