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In der Sackgasse?

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Rund ein Viertel aller Österreicher hat täglich mit der Schule zu tun, wenn man nur Schüler und Lehrer rechnet. Von den Eltern der Schüler ganz zu schweigen. Zwar wurde — Weil eben eine derartig große Bevölkerungsgruppe davon betroffen ist — auf der politischen Bühne der „Vorrang für Bildung“ proklamiert, im politischen Alltag rangiert die Schulpolitik jedoch unter „ferner liefen“. Die spektakuläreren Themen — wie Inflation, ORF, Steuerreform — werden mit großem Elan und Einsatz behandelt, das Umweltschutzdenken wird bereits auf die Zeit nach der Jahrtausendwende ausgerichtet. Von der Schule aber wird vornehmlich geschwiegen.

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Rund ein Viertel aller Österreicher hat täglich mit der Schule zu tun, wenn man nur Schüler und Lehrer rechnet. Von den Eltern der Schüler ganz zu schweigen. Zwar wurde — Weil eben eine derartig große Bevölkerungsgruppe davon betroffen ist — auf der politischen Bühne der „Vorrang für Bildung“ proklamiert, im politischen Alltag rangiert die Schulpolitik jedoch unter „ferner liefen“. Die spektakuläreren Themen — wie Inflation, ORF, Steuerreform — werden mit großem Elan und Einsatz behandelt, das Umweltschutzdenken wird bereits auf die Zeit nach der Jahrtausendwende ausgerichtet. Von der Schule aber wird vornehmlich geschwiegen.

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Der Grund dafür? Wohl der, daß man in eine Sackgasse geraten ist. Und das will man nach einem Jahr der Schulversuche nicht einbekennen.

Das Problem, das heute Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam bewegt, ist die Verunsicherung. Ein Schüler, der 1971 als Abc-Schütze begönnen hat, wird wahrscheinlich 1982 maturieren. Im Rahmen der Schulversuche ist dieser Zeitraum von zwölf Jahren dem Experiment gewidmet. Und nehmen wir an, daß zu diesem Zeitpunkt ein Urteil darüber möglich ist, ob das Experiment gut oder schlecht war, gleichgültig: bis der erste Schüler einer reformierten Schule mit der Matura hinter sich das Schultor schließt, schreiben wir 1993.

Die Ausbildung einer ganzen Generation junger Österreicher liegt heute im Dunkeln. Können sich unter diesen Umständen heute Eltern und Schüler für diesen oder jenen Schultyp entscheiden, wenn unbekannt ist, was am Ende herauskommt? Oder kann sich jemand freudig zum Lehrberuf entschließen, wenn er seine späteren Berufschancen nicht abschätzen kann?

Der Aufbruch zu einer veränderten Gesellschaft, wie er da und dort mit einem Schulsystem herbeigeführt werden soll, hat schon begonnen: die „heilige Kuh“ heißt Gesamtschule. Wer heute vor den Ni-vellierungstendenzen der Gesamtschule warnt, wird zum Gegner der Chancengleichheit in der Bildung gestempelt. Die schwedische Myrdal-Gesellschaft ist aber in der Schule schon näher als viele es wahrhaben wollen. Nicht nach den guten Schülern richtet man sich, sondern nach den weniger guten — eine Nivellierung nach unten. In der Gesamtschule, so wird argumentiert, werden solche Begabungen durch Leistungsgruppen besonders gefördert. Warum aber sollen diese Schüler nicht gleich gesondert unterrichtet werden, etwa in einer höheren Schule? Weil aus gesellschaftpolitischen Überlegungen heraus die Ni-vellierung nach unten der Nivellierung nach oben vorgezogen wird.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: An der Gesamtschule sollen Hauptschullehrer und Mittelschulprofessoren gemeinsam unterrichten. Ergo: alle wollen die gleiche Bezahlung — in diesem Fall eine materielle Nivellierung nach oben. Der Lehrer mit Hochschulbildung wird aber daran kaum ein Interesse haben, wozu hat er studiert? Wer aber so nicht unterrichten will, wird arbeitslos. Denn die Schule, an der er unterrichten könnte, gibt etwa knapp der Hälfte des Professorenstandes Platz.

Und: welcher Staat kann mit ruhigem Gewissen für einen Berufsstand werben, dem er morgen die Existenzgrundlage entzieht? Entziehen will?

Erschreckende Kurzsichtigkeit kennzeichnet heute die österreichische Schulpolitik. Die laufenden Schulversuche machen dauernd von sich reden, natürlich mit Erfolgsmeldungen. Wie fundiert solche Nachrichten aber sind, läßt sich daran abschätzen, daß es in Österreich nicht annähernd genug wissenschaftlich geschultes Personal gibt, das die Zuverlässigkeit, Vergleichbarkeit und den Aussagewert der Experimente hieb- und stichfest prüfen kann.

Aber nicht nur in der Schulreform, auch im Schulalltag glänzt Österreich heute durch Kleinkariertheit:

Offenbar eine unmittelbare Folge einer durch nichts mehr zu überbietenden Gefälligkeitspolitik.

• Noch vor Schulbeginn gab der Bundeskanzler seine Absicht bekannt, auf die „Baubremse“ zu steigen, selbstverständlich auch für den Schulbau. Unterrichtsminister Sino-watz behauptete jedoch, daß das unwahr sei.

• Das Bautenministerium schickt seit geraumer Zeit Anbote mit dem Hinweis zurück, daß „zu einem neuen Termin, der nach dem 1. Jänner 1973 liegen wird“, neuerlich eingereicht werden kann. Unterrichtsminister Sinowatz behauptet noch immer, daß es eine Schulbaubremse nicht gebe.

• Das Budget 1973 sieht für den Schulbau Mittel vor, die gegenüber dem Vorjahr um 30 Prozent gekürzt wurden, die Steigerung der Baupreise nicht eingerechnet. Unterrichtsminister Sinowatz bestreitet noch immer eine Einschränkung des Schulbaus.

Aber 5000 Schüler fanden, trotz bestandener Aufnahmsprüfung, heuer keinen Platz an den berufsbildenden höheren Schulen. Ein Fünftel aller Mittelschulklassen ist überbelegt. Die Schulen platzen aus allen Nähten. Den Ausweg aus dieser Misere sieht das Unterrichtsministerium jetzt im Wechselunterricht.

Dazu kommen noch: 15 Millionen Schilling Schulden der Schulen — Stand 1. November — für Strom, Beheizung und Reisespesen; und 1,2 Millionen für noch nicht ausgelieferte Schulbücher für das heurige Schuljahr.

Ist das der „Vorrang“ für die Schule?

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