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Schmalhans im Schulwesen?

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Minister Sinowatz hat nun selbst ausgesprochen, was seine Kritiker seit Jahren meinten: Er sprach von „falschem Prestigedenken im Zusammenhang mit den allgemeinbildenden höheren Schulen“, von zu viel Energie, die man in die Gymnasien gepumpt habe. Nun würden alle — auch die Gymnasien — Opfer bringen müssen.

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Minister Sinowatz hat nun selbst ausgesprochen, was seine Kritiker seit Jahren meinten: Er sprach von „falschem Prestigedenken im Zusammenhang mit den allgemeinbildenden höheren Schulen“, von zu viel Energie, die man in die Gymnasien gepumpt habe. Nun würden alle — auch die Gymnasien — Opfer bringen müssen.

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In einem Interview mit .der „Presse“ stellte der Minister in Abrede, mit diesen Formulierungen gesellschaftspolitische Motive zu verfolgen. Was aber anderes war einst der Grund für die massive Bildungswerbung der SPÖ „Mehr Kinder in die höhere Schule“? Als Unterrichtsminister Piffl Mitte der sechziger Jahre daranging, auf der Basis der Schulgesetze auch die höheren Schu-

len neu zu formen, zwang dieser — offen als gesellschaftspolitisch markierte — Massenanstunm dazu, die Qualität der Quantität zu opfern. Nicht die Fähigkeiten, die Begabung, der Leistungswille sollten mehr als Kriterium für den Zugang zur höheren Schule gelten, sondern die Statistik. Das Phantom absoluter und relativer Maturantenzahlen, ihre Zergliederung nach — längst fragwürdig

gewordenen — Schichten regierte. Die Frage, wie mit dieser quantitativen Überforderung der Schule und in der Folge ebenso der Lehrer wie der Steuerzahler tatsächlich die bestmögliche Bildung und Ausbildung geboten werden sollte, die ja angeblich das Ziel war — diese Frage wurde vom Tisch gewischt.

Jetzt, da angesichts der eingeleiteten Entwicklung einerseits, der Sparappelle des Bundeskanzlers und des Finanaministers anderseits, allen Beteiligten die kritische Situation bewußt wird, spricht der Minister — als Folge der erforderlichen Opfer — nur von den Schwierigkeiten, die die Lehramtskandidaten der kommenden Jahre vorfinden könnten. Sicherlich — sie trifft es unmittelbar. Daß die erfolgreiche Werbung für die Pädagogischen Akademien wie für die Lehramtsstiudien auf den Universitäten so bald zu einem Überangebot führen würden, konnte vielleicht nicht vorausgeahnt, vorausberechnet werden — wie problematisch Prognosen, noch dazu mit den mangelhaften Unterlagen der endseebziger-und frühen siebziger Jahre sind, hat sich hier deutlich erwiesen.

Aber der Geldmangel im Schulwesen trifft ja nicht nur die künftigen Lehramtskandidaten. Ein gigantisches Scbulversuchswerk ist im Laufen, mit dem experimentiert werden soll, welche Formen der Schule von morgen optimal entsprächen. Dieser — einhellig eingeschlagene — Weg sollte vor Enttäuschungen, vor Fehlentwicklungen schützen, die unvermeidlich gewesen wären, hätte man unausgegorene, unausprobierte

Ideen übernommen und dem gewachsenen Schulwesen unorganisch aufgepropft.

Vielleicht ist auch hier etwas zu viel des Guten getan worden. Der Minister bezifferte im Frühjahr die zusätzlichen Kosten der Schulversuche mit 150 Millionen Schilling, von denen etwa zwei Drittel auf den Personaletat, vor allem die Zuschläge und Mehrdienstleisturagen entfal-

len, der Rest auf den Sachaufwand. Nun wäre es sicherlich eine Milchmädchenrechnung, wollten etwa die Sprecher der nun verunsicherten Lehramtskandidaten kalkulieren, 150 Millionen entsprächen 1000 Dienstposten; also Schluß mit den Experimenten, tausend Lehrer mehr und wir brauchen keine Reform (obwohl so manches Unbehagen, dem man mit der Reform an den Leib gehen will, eben durch die hohen Schülerzahlen, und diese wieder durch die knappen Lehrerstände verursacht wird).

Schulversuche können nur dann zum Erfolg führen, wenn sie unter vergleichbaren Umständen durchgeführt werden, wenn ihre Ergebnisse auf die tägliche Schulpraxis, ohne Sonderdotationen, ohne Zuschläge — und vor allem ohne die besondere Motivierung der experimentierbegeisterten Lehrer — voll übersetzt werden können. Würde nicht durch das Einpendeln auf ein vergleichbares Niveau auch so manches — ohne Verluste — einsparen?

Wie paßt es ferner zu den Sparan-kündigungen, wenn unmittelbar vorher — angeblich auch aus dem Mund des Ministers — zusätzliche Freigegenstände angekündigt werden, mit denen das Bildungsangebot der höheren Schule erweitert werden soll? Hat da nicht wieder einmal der Pressesprecher zu viel des Guten getan? Wenn es schon jetzt nicht möglich ist, zu groß gewordene Sprachgruppen zu teilen, wenn die bisher üblichen Freigegenstände, Arbeitsgemeinschaften und ähnliche zusätzlichen Angebote nicht verwirklicht werden können, weil entweder keine Lehrer da sind oder, wenn es welche gibt, sie nicht angestellt werden können, scheint dies eine sehr verfehlte Propaganda taktik.

Daß ein Ausbau der berufsbildenden Schulen aller Kategorien notwendig ist, nicht nur vom Bedarf der Wirtschaft her, sondern auch, um den Massenansturm aufs Gymnasium und in der Folge auf die Universität zu bremsen, ohne zu restriktiven Maßnahmen greifen zu müssen, ist längst allgemein anerkannt. Auch diese Erkenntnis reicht in die Ära Piffl zurück, ohne daß dadurch die großen Leistungen der Bildungspolitik unter der SPÖ-Regierung gerade auf diesem Gebiet in Frage gestellt

werden sollen. Die Schulversuche in disem Sektor haben erst vor relativ kurzer Zeit eingesetzt, sie sind erst in diesen Tagen nach dem Inkrafttreten der fünften Novelle zum Schulorganisationsgesetz legalisiert worden. Hier ließe sich wohl noch manches adaptieren, womit Wildwuchs mit allen seinen Kosten vermieden werden könnte. Gerade hier aber mit Hinweis auf notwendige Sparmaßnahmen allzu arg ins Fleisch zu schneiden, bevor man noch richtig begonnen hat, wäre gefährlich.

Vor allem aber dürfte mm nicht das Eingeständnis, man müsse sparen, daau benützt wenden, daß gerade im größten, S<bulbaQliungszen-tnum der Republik im Scbulver-suchsbereich dort gespart wird, wo die Experimente nicht nach dem Geschmack der örtlichen Verantwortlichen verlaufen, um jene Modelle besonders zu forcieren, die den ideologischen Vorstellungen besser entsprechen.

Wenn etwa am seihen Tag, an dem der Unterrichtsminister in der „Presse“ von Opfern spricht, die gebracht werden müssen^ in der Hausillustrierten des Wiener Rathauses ein detaillierter Bericht über die Wiener Schulversuche erscheint, dann gibt es zum Denken Anlaß, wenn es dort heißt: „Vorschule, Gesamtschule, Ganztaigsschule, das sind nur drei, wenn auch die wichtigsten und somit bekanntesten, von fast einem halben Hundert Schulversuchen, die gegenwärtig in Wien durchgeführt werden.“

Vorschule, Gesamtschule und Ganztagsschule sind aber auch gerade jene drei, die politisch am stärksten umstritten sind. Sie sind die Lieblingakinder des Stadtschulrats-präsidenten Schnell. Wenn es der Sinn — oder auch nur der unausgesprochene Nebenzweck — der Spar-ankündigiung sein sollte, sie zu oktroyieren, ahne die Ergebnisse der Schulverauche, den Abschluß der Diskussion abzuwarten, und daneben jene Formen der Experimente abzuwürgen, die Alternativen für sie setztn sollten, dann wird man wieder einmal darauf hinweisen müssen, daß Änderungen im Schulwesen der Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedürfen.

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