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Fünf-Tage-Woche und politische Bildung: Die Anti-Rot-Front formiert sich

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Über den Köpfen der roten Bildungsexperten scheint sich zur Zeit eine recht ausgiebige Schlechtwetterfront zusammenzubrauen. Auslösendes Moment: die Diskussion um den samstägigen Ladenschluß an Österreichs Schulen. Erstmals seit vielen Jahren formieren sich auf dem Gebiet der Bildungspolitik Sozialismus-Gegner, darunter die beiden Oppositionsparteien sowie verschiedene Familienorganisationen, insbesondere der katholische Familienverband. Erste Vier- Augen-Gespräche zwischen Friedrich Peter und Josef Taus lassen bereits vermuten: im Wahljahr 1979 wird die Bildungspolitik neben anderen Themen im Mittelpunkt der Wahlkampfauseinandersetzungen stehen.

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Über den Köpfen der roten Bildungsexperten scheint sich zur Zeit eine recht ausgiebige Schlechtwetterfront zusammenzubrauen. Auslösendes Moment: die Diskussion um den samstägigen Ladenschluß an Österreichs Schulen. Erstmals seit vielen Jahren formieren sich auf dem Gebiet der Bildungspolitik Sozialismus-Gegner, darunter die beiden Oppositionsparteien sowie verschiedene Familienorganisationen, insbesondere der katholische Familienverband. Erste Vier- Augen-Gespräche zwischen Friedrich Peter und Josef Taus lassen bereits vermuten: im Wahljahr 1979 wird die Bildungspolitik neben anderen Themen im Mittelpunkt der Wahlkampfauseinandersetzungen stehen.

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Die Diskussion um die Fünf-Tage- Woche an den Schulen hat in der vergangenen Woche FPÖ-Chef Friedrich Peter mit einem ziemlich eindeutigen „Ja” neu angeheizt. Das Argument des Freiheitlichen: die Fünf- Tage-Woche an den Schulen soll wieder die Familien mehr in den Mittelpunkt rücken, denn „die Familie als kleinste Gemeinschaft soll die Aufgaben soweit selbst lösen, als sie dazu in der Lage ist”, argumentiert Peter für seine „liberale Partei”.

Peter ließ bereits unter 2400 Mitgliedern seiner Partei die Stimmung ausloten und stieß dabei auf folgendes Gesamtergebnis: 53 Prozent würden den schulfreien Samstag als vorteilhaft erachten bzw. begrüßen, 42 Prozent empfinden ihn in mancher Hinsicht oder auf jeden Fall als Nachteil, fünf Prozent wäre jede Lösung recht. Besonders signifikant sind die Unterschiede in den Ergebnissen der einzel- ‘nen Bundesländer. In Oberösterreich, wo bereits 90 Prozent der Pflichtschulen Samstagsperre verhängt haben, sind 75 Prozent der Befragten für die Fünf-Tage-Woche, in Wien sind es nur 54 Prozent, in der Steiermark, in Kärnten und in Vorarlberg lag die Marke zwischen 43 und 48 Prozent.

Die Kinder sind frischer…

Befürworter der Fünf-Tage-Woche ziehen auch die Erfahrungen in Bayern als Argumentation heran. In Bayern besteht die Fünf-Tage-Woche seit Anfang 1976 an 86 Prozent aller Volksschulen, 57 Prozent aller Realschulen und 33 Prozent aller Gymnasien. Nach Ansicht der Lehrer sollen sich Störungen im Arbeitsrhythmus nicht eingestellt haben, die Kinder machen angeblich aih Wochenbeginn einen frischeren, gpsgetuhtereh und lebendigeren Eindruck. An mehreren Schulen in Bayern ergaben umfangreiche anonyme Eltern- und Schülerbefragungen nach dem ersten Jahr der Fünf-Tage-Woche einen durchgehend höheren Anteil an Befürwortern.

Im Tauziehen um die Fünf-Tage- Woche an Österreichs Schulen geht es den Bildungsexperten primär um folgende Fragen:

• Soll die Fünf-Tage-Woche generell ohne jede Ausnahme eingeführt werden oder sollen die Eltern die Möglichkeit haben, zwischen einer Fünf- Tage-Schule und einer Sechs-Tage- Schule zu wählen?

• Können die derzeitram Samstag untergebrachten Stunden auf die verbleibenden fünf Unterrichtstage ohne Schwierigkeiten verteilt werden, oder ist eine Lehrplanentrümpelung, wie sie immer wieder leichtfertig in die Diskussion geworfen wird, durchzuführen? FPÖ-Chef Peter ist bereit, bis zu 25 Prozent des Bildungsangebotes der Schulen in Frage zu stellen: „Wenn man es ernst nimmt, ist ein Weniger gleichzeitig ein Mehr, wenn der Schüler lernt, selbständig zu lernen.”

• Soll der Unterricht,_der im Falle der Fünf-Tage-Woche zwangsläufig (vor allem in den oberen Schulstufen) auf die Nachmittage ausgedeht werden muß, in Form der von der SPÖ propagierten Ganztagsschule oder in Form der von der Volkspartei geforderten Tagesheimschule, der auch die Freiheitlichen eher zuneigen, geboten werden? Der Unterschied: in der Ganztagsschule können sämtliche Unterrichtsfächer auch am Nachmittag gebracht werden, in der Tagesheimschule sollen am Nachmittag keine Hauptgegenstände, sondern Nebengegenstände, wie etwa Musik, Zeichnen oder Turnen sowie das Erledigen der Schulaufgaben auf dem Programm stehen.

Mehr Streß für Eltern, Lehrer und Kinder

• Ist es mit der Leistungskurve der Schulkinder überhaupt vereinbar, sie nur an fünf Tagen, dafür aber ausgiebiger als bisher zu beanspruchen, oder sind verstärkt psychische und körperliche Erkrankungen als Folge zu befürchten? Eine Grazer Medizinergruppe hat dazu festgestellt, die Einführung der Fünf-Tage-Woche in der Schule würde bei den jetzigen Lehrplänen und dem immer neu anfallenden Lehrstoff mehr Streß für Eltern, Lehrer und Kinder bedeuten. Eine Verlegung der Samstagstunden auf die Tage zwischen Montag und Freitag würde nach ihrer Ansicht die Schüler gerade in der.Phase der geringsten Konzentrationsfähigkeit um die Mittagsstunde treffen. Dr. Wittmann von der Steirischen Ärztekammer schließt sich dem Peter-Argument an: „Die Schüler sollten mehr lernen, wie man lernt. Nach solch einer Reform könnten auch wir Ärzte einer Fünf-Tage- Woche zustimmen.”

• Wichtiger Punkt der Auseinandersetzung ist schließlich die Frage, ob ein freier Schulsamstag letztlich die Tendenz hat, die Familie zu stärken, wie es Volkspartei, Freiheitliche und Katholischer Familienverband zum Ziel haben, oder ob nicht ein gegenteiliger Effekt droht. Bisher konnten die Schüler an den Nachmittagen ihren persönlichen Neigungen und Interessen nachgehen, die sie nun, sofern sie sie überhaupt weiterverfolgen wollen, auf den Samstag verlegen müssen, um damit erst wieder für die Familie nicht greif- TtSStožū 8fern7Äülßefdeffi’fee”^täif die Gefahr, daß die Schulkinder ätn Samstag in der Früh von den Eltern ins Auto gepackt werden, um aggressionsfordernde „Erholungsfahrten” im Wochenendverkehr noch ausgiebiger zu praktizieren als bisher.

Um das Ziel zu erreichen, an allen Pflichtschulen bis 1979, bis Mitte der achtziger Jahre an allen übrigen Schulen, die Fünf-Tage-Woche einzufüh- ren, wartet FPÖ-Chef Peter mit einer weiteren „ketzerischen Idee” auf: Er spricht von der Möglichkeit, eher innerhalb des Schuljahres auf einige schulfreie Tage (Direktortag, Landesfeiertage) zu verzichten, als die Fünf- Tage-Woche nicht einzuführen.

Prinzip des kleineren Übels

Seitens des Katholischen Familienverbandes betont Ministerialrat Dr. Walter Kinscher, die Fünf-Tage- Woche an der Schule dürfe nur unter Bedachtnahme auf die Leistungskurve des Menschen eingeführt werden. Er sieht das Problem vom „Prinzip des kleineren Übels”. Die Eltern sollen weitgehende Entscheidungsfreiheit haben, in besonderen Situationen soll sie eingeführt und der Samstagunterricht auf die verbleibenden fünf Tage verteilt werden: „Wenn die Fünf-Tage-Woche generell kommt, dann muß die Wochenstundenzahl so geregelt werden, daß nicht dauernd am Nachmittag unterrichtet werden muß. Das wäre faktisch eine Ganztagsschule.” Für außerschulische Aktivitäten sollte immer noch ein breiter Freiraum verbleiben. Kinscher neigt mit seinen Vorstellungen auch dem Modell der Tagesheimschule zu.

Generell ist zum ganzen Komplex ehrlicherweise zu sagen, daß es unverantwortlich wäre, würden sich die politischen Parteien auch in dieser gesellschaftspolitisch eminent wichtigen Frage, ähnlich wie in der Frage der Fristenlösung, nur an Mehrheiten und Meinungsbefragungen und nicht an klar herausgestellten Grundwerten orientieren.

Ein weiterer gesellschaftspolitischer Prüfstein für die Bildungspolitik zeichnet sich im Streit um die politische Bildung an den Schulen ab. Bis her hat sich als recht einsamer Rufer die FPÖ gegen die politische Bildung als Pflichtfach ausgesprochen, wobei sie in ihrer Aussage mißverstanden worden sein dürfte. Die Freiheitlichen sind nicht gegen politische Bildung als Unterrichtsprinzip (Politische Bildung in mehreren Gegenständen, und nicht als eigenes Fach). Auch in dieser Frage hofft Peter auf Unterstützung aus dem Lager der Volkspartei.

Politische Bildung mit Linksdrall

Was man auf sozialistischer Seite unter politischer Bildung an Österreichs Schulen versteht, davon durften die Leser der Wiener Rathaus-Illustrierten „Wien aktuell” (Heft 9/1976) eine recht interessante Vorahnung abbekommen. Unter dem Titel „Arbeitswelt und politische Bildung” präsentierten Absolventen der Pädagogischen Akademie ein als „diskutie- renswert” hingestelltes Modell für die

Darstellung der Arbeitswelt im Rahmen der politischen Bildung für Schüler der dritten oder vierten Volksschulklasse. Nach diesem Modell sollen die Kinder bereits in der dritten Unterrichtsstunde mit dem „Problembereich Bezahlung” konfrontiert werden. Als Anstoß für eine Debatte darüber werden zwei Dias an die Wand geworfen, eines zeigt den „Chef am Schreibtisch” (im Hintergrund rauchende Fabriksschlote), das zweite zeigt Arbeiter am Fließband. Unter dem Bildnis des Schreibtischchefs steht 50.000 Schilling, unter jenem der Fließbandarbeiter 7000 Schilling.

Die neun- und zehnjährigen Kinder sollen nicht nur die Frage diskutieren: wieviel und was arbeitet jeder? Auch die Frage: ist die Bezahlung gerecht? steht auf dem Lehrprogramm. Die im Lehrplan vorweggenommene Erkenntnis für die Ursachen von Reichtum ist den Volksschülem so näherzubringen: Man wird reich, durch überdurchschnittliches Gehalt, Erbe, Besitz an Produktionsmitteln und ähnliches.

Die Moral von der Geschieht: Bil- dungs- und Schulprobleme sollten insbesondere von der großen Oppositionspartei nicht den dafür „zuständigen” Lehrern, Eltern und (neuerdings auch) Schülern überlassen werden. Lange genug wurde übersehen, daß es sich in diesem Bereich um beinhärte Gesellschaftspolitik handelt, weshalb den Ankündigungen von ÖVP-Chef Josef Taus auf der Villacher Klubklausur nun am kommenden Linzer Parteitag auch handfeste Programme und Alternativen nachgereicht werden sollten.

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