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Sind fünf Tage wirklich genug?

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Minister Sinowatz hat die Fünftagewoche für die Schulen, schrittweise ab 1978, angekündigt. Die Schulsprecher der beiden anderen Parteien beeilten sich, zu betonen, daß auch sie nicht nein sagen würden, obwohl die Schulreformkommission, ohne die man keine Entscheidungen treffen wollte, ihre Beratungen noch lange nicht abgeschlossen hat.

Aber nicht diese plötzlich ausgebrochene Einigkeit soll hier behandelt werden, das typische Merkmal einer Sucht, auf eine scheinbar unaufhaltsame Entwicklung rechtzeitig aufzuspringen. Die Frage muß lauten: Welche Form der Schule kann am besten den Staatsbürgern von morgen die menschliche Formung und das wissensmäßige Rüstzeug geben, das sie brauchen werden - ohne die Familie weiter zu unterminieren (denn auch sie ist als Erziehungsinstanz unerläßlich)? Und kann diese Form auch in einer langsam wachsenden Wirtschaft bezahlt werden?

Die Fünftagewoche ist in Österreich nichts Neues. Oberösterreich hat sie behalten, als die Schulzeit allgemein geregelt wurde. In Bayern hat man sie vor einiger Zeit eingeführt - dort, wo die Eltern es wollten, genau, wie Minister Sinowatz nun auch in Österreich Vorgehen will.

An den Grundschulen soll es keine Probleme geben, den Samstag einzusparen, obwohl schon hier die Kinderärzte skeptisch sind, ob nicht auch schon eine Stunde am Tag für die Kleinsten eine zu schwere Belastung darstellt; sicherlich nicht für alle, aber doch für manche. Und es sollen doch auch im neuen Stil alle ohne Überbelastung mitkommen.

Wie es weiter oben, bei 30 und mehr Wochenstunden, möglich sein soll, den Samstag freizubekommen, steht auf einem anderen Blatt. Durch Verlegung musischer oder sportlicher Fächer auf den Nachmittag? Sechs Lern- stunden ohne echte Unterbrechung dürften doch nie zuviel sein. In Bayern kürzte man im musischen Bereich - zur Empörung all jener, die mit Recht gerade hier das einzige Gegengewicht gegen den Trend zum Fachidioten sehen. Nun will man die Kürzungen wieder rückgängig machen - aber wie? Also Ganztagsschule? Minister Sinowatz versichert, daß das eine mit dem anderen nicht Zusammenhänge.

Wer will überhaupt die Fünftagewoche in der Schule? Der Minister beruft sich auf Erhebungen, wonach ein immer größerer Teil der Eltern sie fordert. Man wolle das Wochenende gemeinsam mit den Kindern verbringen, ohne beim Wegfahren auf das Unterrichtsende warten zu müssen. Gleichzeitig ergab eine Umfrage in Graz eine überwiegende Mehrheit dagegen, als Schüler und Lehrer dazu befragt wurden. Anderseits wieder wollen auch die Lehrer das lange Wochenende genießen.

Wurde aber auch erhoben, wie groß der Prozentsatz der Eltern tatsächlich ist, die mit laufendem Motor vor der Schule warten, um in die Zweitwohnung zu entfliehen? Wie groß anderseits die Zahl der berufstätigen Mütter ist, die auch am Samstag arbeiten - als Handelsangestellte etwa - und nicht wüßten, wer am freien Vormittag auf das Kind aufpassen soll?

Zweifellos Kräfte, die auf die für die Schule Verantwortlichen einwirken - aber dürfen ihnen jene Aufgaben untergeordnet werden, die die primären der Schule sind? Nicht nur die Professoren auf der Universität klagen, daß die Studenten von der Schule nicht mehr das mitb ringen, was sie eigentlich schon voraussetzen sollten. Die Klage beginnt bei den Rechtschreibfehlern der Lehrlinge, sie setzt sich fort bei den Wissenslücken der Mittelschüler, gar nicht davon zu reden, daß von der Schule heute nicht nur vermehrtes Sachwissen, sondern auch weitreichende Lebensvorbereitung verlangt wird. Wie will man immer weiter steigende Ansprüche in immer weniger Zeit erfüllen? Da hat auch Si- nowatz-Vorgänger Gratz sehr recht, wenn er warnt.

Zweifellos könnte eine durchgreifende Lehrplanreform mancherorts Luft schaffen - der vom Minister angedeutete Fristenlauf gäbe auch die nötige Zeit dazu. Mehr noch wäre mit einer verbesserten pädagogischen Ausbildung der Lehrer vor allem der höheren Schulen vor allem mit einer kräftigen Verminderung der Schülerzahl pro Klasse herauszuholen, nicht nur von 36 auf 30, sondern weiter auf 25 oder gar nur 20. Die Lehrer wären bald vorhanden, ein Problem des Arbeitsmarktes gelöst. Nur - gibt der Finanzminister die zusätzlichen Milliarden?

Diese, zumindest etliche Hunderte von Millionen, wären wohl auch nötig, um die Schulen mit den nötigen technischen Ausrüstungen zu versehen, wenn eine Verkürzung der Unterrichtszeit nicht zu Leistungsausfällen führen soll. An den Volksschulen soll die Einführung der Fünftagewoche keine Kosten verursachen, meinte Si- nowatž. In Wien - mag sein. Auf dem Land, dort wo die Kinder aus weiterem Bereich zusammengeholt werden, wird es kaum ohne zusätzliche Aufwendungen abgehen - aber sie gehen zu Lasten der Gemeinden. Von den höheren Schulen sprach er nicht… Daß Sinowatz die Eltern befragen will, notfalls von Schule zu Schule, muß überhaupt als Voraussetzung gelten. Daß Wahlmöglichkeiten nebeneinander bestehen sollen, ist richtig - auch wenn dieses Nebeneinander neue Schwierigkeiten hervorrufen dürfte. Letzen Endes aber bleibt die Frage im Raum, ob fünf Tage Schule wirklich genug sein können - für die Kinder wie für die Familie. Alles andere sollte dem untergeordnet werden.

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