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Was nicht im Stundenplan steht

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Die Padagogische Konferenz“ wies vor drei Jahren auf die Notwendigkeit hin, die „außer-lehrplanmäßigen Veranstaltungen, zu denen die Schule aus allen möglichen Anlässen bewogen wird, auf ein tragbares Maß zu beschränken.“ Das Übermaß an Veranstaltungen, die im Lehrplan nicht vorgesehen sind, führt, so argumentieren die Autoren einer Publikation der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft *) zu einer Überlastung der Schulen mit Aufgaben, die sie nur noch auf Kosten der Erreichung ihrer Primärziele erfüllen kann.

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Die Padagogische Konferenz“ wies vor drei Jahren auf die Notwendigkeit hin, die „außer-lehrplanmäßigen Veranstaltungen, zu denen die Schule aus allen möglichen Anlässen bewogen wird, auf ein tragbares Maß zu beschränken.“ Das Übermaß an Veranstaltungen, die im Lehrplan nicht vorgesehen sind, führt, so argumentieren die Autoren einer Publikation der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft *) zu einer Überlastung der Schulen mit Aufgaben, die sie nur noch auf Kosten der Erreichung ihrer Primärziele erfüllen kann.

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Es wäre daher bei der Enquete darauf Bedacht zu nehmen, diese Abschnürung zu mildern, wenn nicht zu beseitigen. Zunächst durch die (bereits in der Monarchie geplante) Weiterführung der Stadtbahn von der Haltestelle Gumpendorfer Straße nach Matzleinsdorf, wo einmal die Schnellbahn durchfahren wird. Ob man die Haltestelle Margaretengürtel zweistöckig, wie einmal projektiert, bauen soll, oder den jedermann sichtbaren Bahnkörperansatz bei der Haltestelle Gumpendorfer Straße in der Richtung Margaretengürtel zum Beginn der Stadtbahnweiterführung machen soll, bleibt eine reine Kostenfrage. Auch eine Weiterführung der Stadtbahn von Heiligenstadt nach Floridsdorf (Strebersdorf) liegt nahe: anscheinend rechnet man mit irgendwelchen Veränderungen — denn der Anblick der Bahnsteige in Heiligenstadt jenseits des bretterverschalten Bahnsteigs der Stadtbahn ist geradezu ruinenhaft.

Bei der Diskussion einer Weiterführung der Stadtbahn nach Matzleinsdorf ist in gewissen, merkwürdig interessierten Kreisen der Name Alweg gefallen. Abgesehen von dem unklugen Vorhaben, zu den bereits .vorhandenen zwei schienengebundenen Systemen (Stadtbahn, Straßenbahn) ein drittes zu fügen, das in keiner Weise organisch mit den vorhandenen Trassen verbunden wäre, sprechen eine Reihe von Bedenken gegen die Alweg-Bahn (ALWEG — nach den Anfangsbuchstaben ihres Managers Axel Lenard Wenner Gren so genannt). Einer Fertigung der als Träger und Fahrbalken dienenden Hohlbalken in Serie aus Stahlbeton steht entgegen, daß trotz Verwendung einer sogenannten Spezialschalung die einzelnen Balkenelemente wegen ihrer Torsions- und Biegesteife den Krümmungsverhältnissen der betreffenden Strecke entsprechend für jeden Bogen gesondert hergestellt werden müssen.

Sollte diese Alwegbahn als Stadtschnellbahn gedacht sein, muß sie zweigeleisig und womöglich als Hochbahn ausgeführt werden; Bahnen ähnlicher Anlage (siehe Schwebebahn Wuppertal) sehen im Stadtbild unschön aus, sagen die Ästheten mit Recht. Noch schwerer wiegt aber die Bedachtnahme auf die erforderlichen Sicherheitsräume beiderseits der Pfeiler, wodurch die nutzbare Straßenbreite — ebenso wie durch die nötigen Zu- und Abgänge — eingeschränkt wird. Noch schwerwiegender aber ist, daß die schärfste Krümmung, die Alweg befahren kann, einen Halbmesser von wenigstens 100 Metern (in Ausnahmefällen achtzig) haben muß. Für ein größere* Netz;, nichtjmllejns idftJi<3Stüek GütteA — und nur ein größeres einheitliches Netz ist wirtschaftlich — ist-ängesichtr der4egierr' Wrerrer

Straßen und der zumeist rechtwinkelig verlaufenden Kreuzungen eine Schnellbahn dieser Art undenkbar; beträgt doch der kleinste noch zulässige Bogenhalbmesser der Wiener Straßenbahn achtzehn Meter. Eine Durchtunnelung von Häusern (in Berlin für die Hochbahn gemacht), käme wegen der nötigen Beschaffung von Ersatzwohnungen und der allgemeinen Bauverteuerung nicht in Frage, ganz abgesehen davon, daß sich die Bewohner eines solchen durchbohrten Hauses für den Lärm zu Füßen oder zu Häupten bedanken würden (und gleichfalls nach Ersatzwohnungen riefen). Übrigens wird sich für eine Alwegbahn das schon für die Schnellbahn haarige Problem einer Tarifvereinheitlichung ebenfalls stellen.

Die Tarife stehen eben jetzt wieder zur Diskussion. Nur eine allgemeine, durchgreifende, alle Verkehrsmittel berücksichtigende Tarifgestaltung wird Möglichkeiten eines Verkehrsausbaues eröffnen. Im Jahre 1925 haben die Stadt- und Straßenbahn 601 Millionen Fahrgäste gehabt, jetzt sind es rund hundert Millionen weniger. Im Jahre 1914 beförderten die Wiener Straßenbahnen mehr als 309 Millionen Menschen; es ergab sich ein Überschuß von 3,936.501 Kronen, das wären valorisiert ungefähr 60 Millionen Schilling. Nach dem ersten Halbjahr 1960 beträgt das Defizit bereits 185 Millionen Schilling. Das rollende Material betrug 1935 noch 1699 Triebwagen und 2055 Anhänger. Für 1958 wurden 1464 Trieb- und 1548 Anhängewagen ausgewiesen. Der Werktagsbedarf lag im Durchschnitt bei der Straßenbahn bei 978 Trieb- und 1179 Beiwagen, bei der Stadtbahn bei 92 Trieb- und 166 Beiwagen. Trotz dieser Differenz zwischen ausgewiesenem Bestand und Bedarf konnte 1958 beispielsweise der Werktagsauslauf bei der Straßenbahn zu 25 Prozent und bei der Stadtbahn zu 30 Prozent nicht gedeckt werden. Das Ergebnis haben wir am eigenen Leib verspürt. Eine technische Verkehrsplanung wird weder an diesen Zahlen vorbeigehen können noch die Personallage unberücksichtigt lassen. 1958 standen 12.863 Beschäftigten (davon 10.678 Pragmatisierte) 13.643 Pensionsparteien gegenüber.

Von einem Weltstadtverkehr sind wir, das lehrt jeder Auslandsbesuch (Rom, Paris, London), weit entfernt. Werden die Experten der Enquete wieder nur ein paar Kilogramm Papier füllen?

Nach Ansicht der SWA ist die Schule heute „zum Tummelplatz weitverzweigter Nebenveranstaltungen“ geworden, die bereits einen derartigen Umfang angenommen haben, daß es kaum noch möglich ist, sie zu katalogisieren. Dieser Umstand wird zum Anlaß der Kritik genommen. Dabei will man keineswegs die Einrichtung solcher Veranstaltungen an sich verurteilen, wohl aber das Übermaß und auch die Tatsache, daß einzelne Unternehmungen wenig oder nichts mit der Schule zu tun haben, die eben arteigene Aufgaben zu erfüllen hat und nicht das Operationsfeld für Aktionen sein darf, die geeignet sind, Qualität und Quantität der vorgesehenen Leistungen der Schule in einem unvertretbaren Umfang zu kürzen.

Weil nun die meisten der Nebenveranstaltungen — sicher zur Freude der Schüler — während der vorgesehenen Unterrichtszeit stattfinden, kürzen sie diese. Da im geplanten Zeitmaß für den Unterricht im jeweiligen Gegenstand die Nebenveranstaltungen nicht vorgesehen sind, bedeutet die Reduktion der Unterrichtszeit, daß der Lehrer sich zwar bemüht, den vorweg festgelegten Lehrstoff vorzutragen, aber nicht immer in der Lage ist, die notwendigen Wiederholungen und Übungen durchzuführen. Die Autoren meinen, es sei zu erwägen, die Nebenveranstaltungen gleichsam als „Gegenstand“ in den Katalog' der Pflichtigen Unterrichtsgegenstände einzubauen, als eine Stunde „z. b. V.“, etwa als Stunde des Klassenvorstandes. - Im einzelnen kommen die Verfasser zu folgenden Feststellungen:

1. haben die Schulen (gemeint sind offensichtlich im allgemeinen die Volksschulen) oft den Charakter von Vertriebsabteilungen für unterschiedliche Waren angenommen. Als Beispiel werden die Kleinbuchreihen genannt. Die Lehrer müssen für den Ankauf der Kleinbücher werben, die Bestellerlisten anlegen und dann — auf eigenes Risiko — das Inkasso vornehmen.

Gleiches gilt übrigens auch für das (nicht erwähnte) „Theater der Jugend“. Lehrerzimmer werden zu Kartenbüros. Stunden vergehen, bis die rückständigen Kartengelder eingetrieben werden, gar nicht zu reden von der Abrechnung. Während die Kleinbücher, soweit sie die Billigung der vorgesetzten Stellen gefunden haben, oft wertvolles und pädagogisch durchaus zu vertretendes Material bieten, kann man gleiches von den Veranstaltungen des „Theaters der Jugend“ nicht in allen Fällen sagen, auch nicht durchweg von der zugehörigen Zeitschrift, die weithin von Erwachsenen für Erwachsene geschrieben wird (und, was nicht zum Thema gehört, oft und oft perfekten Laizismus verbreitet). Beim Erwerb verschiedener Kleinbücher wird übrigens bei den Eltern der Eindruck erweckt, daß ihr Ankauf Pflicht sei, ein Umstand, der zu einer indirekten Schulgeldleistung führt, die unter Umständen erheblich über ein formales Schulgeld hinausgeht.

2. glauben die Autoren der Untersuchung die Tatsache kritisieren zu müssen, daß die Schüler — vor allem die ganz jungen - zu öffentlichen Sammlungen herangezogen werden, und dies nicht selten, ohne die Zustimmung der Eltern eingeholt zu haben.

3. gibt es bereits so etwas wie eine „Jubiläumsnot“. Nach einer nichtbelegten Erhebung der SWA hat sich ergeben, daß in einem Gegenstand, der mit zwei Jahreswochenstunden und in 80 Jahresstunden insgesamt vorgetragen werden soll, nur 56 reine Unterrichtsstunden gehalten werden. Der Rest geht mit vierzehn Stunden für vorgesehene Schulveranstaltungen (man muß annehmen: Wandertage, Exkursionen und ähnliches) auf; zehn Stunden nehmen dagegen Veranstaltungen außerhalb des Lehrplans in Anspruch, das sind 12,5 Prozent. Die verschiedenen „Tage“, die je für sich nützlich sind (Der Tag des „Baumes“, des „Buches“, der „Weltgesundheitstag“) und die unterschiedlichen Wochen (etwa der „alkoholfreien Jugenderziehung“) nehmen in einem beängstigenden Umfang zu. Dadurch, lediglich durch das Übermaß, wird der pädagogische Wert solcher Veranstaltungen zuweilen problematisch. Schließlich bleibt es aber nicht bei der Abhaltung solcher Veranstaltungen allein. Auch die Vorbereitungszeit muß beachtet werden und spielt dann eine Rolle, wenn in einer Schule ein besonders veranstaltungsfreudiges Gremium von Lehrern vorhanden ist.

4. wird die zu umfangreiche Verwaltungsarbeit der Lehrer zum Anlaß von Ausstellungen genommen, gerade dann, wenn es sich um Anlage von Statistiken handelt, die dann nicht ausgewertet werden. Ebenso glaubt man, das Ausmaß der Verordnungen (der Landes- und Bezirksschulbehörden) und den in den Verordnungen praktizierten Stil kritisieren zu müssen. Zu allem kommt noch, daß in den Landgemeinden die Lehrer oft einen Teil der Führungsarbeit zu tragen haben, Organisatoren und Volksbildner sein sollen, was aber keineswegs dem Leben im Dorf abträglich sein muß. Im Gegenteil.

5. Wenn Schule und Lehrkörper mit Arbeiten überlastet sind, die mit der Erfüllung der Bildungsaufgabe der Unterrichtsanstalten selbst nichts oder unmittelbar nichts zu tun haben, spüren es schließlich auch die Schüler. Wird der Unterrichtsstoff nur in der verkürzten Zeit geböten, 'etwa weil auch der'Lehrer wochenlang schulfern sportlich engagiert ist, kann der vorgesehene Stoff nur in kürzerer Zeit durchgenommen werden. Manche Schülertypen benötigen aber die Wiederholung und das Experiment.

Die Montage sind vielfach prüfungsfrei. Einzelne Tage zwischen Dienstag und Samstag (oder schon Freitag) werden zuweilen noch durch vorweg nicht geplante Schulveranstaltungen in Beschlag genommen. Die Folge ist ein Zusammendrängen der Prüfungen auf wenige Tage in der Woche und — wie man vermutet — ein auch dadurch verursachtes Anwachsen der Nervenerkrankungen bei Kindern. Anderseits müssen Eltern und sachkundige Verwandte als „Pauker“, wenn nicht als Schreibkräfte eingesetzt, Aufgaben versehen, die zu einem guten Teil von der Schule wahrgenommen werden sollten.

Schließlich befassen sich die Verfasser auch mit dem Problem des Lehrermangels. Die Ursachen des verringerten Zuganges zum Lehrerberuf sind verschiedener Art. Im Rahmen der Amerikanisierung unseres Denkens, wird ein Stand, der nicht unmittelbar produktiv ist, in manchen Kreisen, vor allem der Neureichen, abgewertet und als ein notwendiges Übel angesehen, geeignet, dem Nachwuchs jene Kenntnisse anzueignen, die ausreichen, um Geld zu machen, also das „Rechnen“ und das „Schreiben“. In einer Gesellschaft, die weithin von Prestigesehnsüchten bestimmt ist, spielt die absurde Lehrerverachtung eine steigende Rolle, wenn sie auch vor allem den Lehrer der Pflichtschulen betrifft.

Sind die Lehrer noch gezwungen, den vorgeschriebenen Stoff in verkürzter Unterrichtszeit, ständig unter Kontrolle, durchzunehmen, verpflichtet dies zur Übernahme einer Arbeitslast, der man sich besser durch den Übergang in „produktive“ Berufssparten entzieht. Die unzureichenden Anfangsgehälter bilden schließlich auch keinen Anreiz. Eine unglückliche und allzusehr auf Entnivellierung bedachte Gehaltspolitik hat jedenfalls die Junglehrer aller Sparten auf Gehälter gesetzt, die sie als Disqualifikation ihrer Leistung empfinden müssen.

Nicht zu übersehen ist die Verschlechterung der pädagogischen Bedingungen. Es wird allzuviel vom Versagen des Elternhauses gesprochen und viel zuwenig davon, daß der gleiche Staat, der um bestmögliche Erziehungserfolge besorgt ist, vieles dazu tut, um diese Erfolge wieder zu kürzen. Nehmen wir nur das Rundfunkprogramm, das keineswegs in allen Belangen die Schule unterstützt. Nehmen wir die politische Toleranz beim Import amerikanischer Skandalfilme, nehmen wir die lockere Handhabung der „Film-Jugendfrei-Erklärung“ und alle jene Mächte, welche versuchen, den jungen Menschen Verhaltensstile und Denkleitbilder beizubringen, die keineswegs mit dem abgestimmt werden können, was sich die Schulen als Erziehungsziel setzen. Daß einzelne Lehrer da und dort versagen und sich mehr um ihr Auto oder um ihre Haushaltsbelange als um die Schule kümmern, berechtigt nicht, von einem Versagen der Schule zu sprechen, die sieb in einem steigenden Umfang detri Widerstand der Freizeitindustrie ausgesetzt sieht, die faktisch sine Reihe von Privilegien hat, um die Arbeit der Lehrer zu disqualifizieren.

Auch die disziplinaren Mittel, die dem Lehrer heute verfügbar sind, reichen nicht aus. um Exzesse exemplarisch zu bestrafen. Die Folgen einer falschen und heuchlerischen „Humanität“ bei der Ahndung von Disziplinarvergehen haben die anständigen Schüler zu tragen; sie zeigen sich in manchen Anstalten als ein Erziehungsnotstand, der ebenfalls nicht geeignet ist, den Beruf des Lehrers als gar so anziehend erscheinen zu lassen.

Abschließend meinen die Autoren, es sei unter Bedachtnahme auf die Überlastung der Schule durch Nebenveranstaltungen in deren sinngemäßer Verkürzung eine Möglichkeit gegeben, die Überlastung der Schüler abzubauen. Die Lehrziele können in der gegebenen Situation nur erreicht werden, wenn man Lehrstoff und tatsächliche Unterrichtszeit aufeinander abstimmt. Das ist aber nur möglich durch eine Reduktion der Veranstaltungen, die oft wenig oder nichts mit den in einem gewissen Sinn doch engen Aufgabenkreis der Schule zu tun haben. Ob eine solche Kürzung notwendig ist, wird sicher, nach der großen Publizität, welche die Schrift der SWA gefunden hat, Gegenstand von Erwägungen, wenn nicht von Auseinandersetzungen sein.

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