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Computerdienste aus dem Oko-Dorf

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Sinkende Preise, schrumpfende Einkommen prägen das Geschehen in der Landwirtschaft. Viele Bauern resignieren. Aber viele, wie etwa jene in Eschenau, versuchen es mit neuen Ansätzen, neuer Technologie ...

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Sinkende Preise, schrumpfende Einkommen prägen das Geschehen in der Landwirtschaft. Viele Bauern resignieren. Aber viele, wie etwa jene in Eschenau, versuchen es mit neuen Ansätzen, neuer Technologie ...

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Landwirtschaft und Modernität standen immer in einem schwierigen Verhältnis zueinander, und das hat sich bis heute nur teilweise geändert. Zu sehr hatte es der Bauer mit den konstanten, ewig gleichen Naturkräften zu tun, als daß er an technischen Neuerungen, die einem ganz anderen Weltverständnis entsprossen, besonders interessiert gewesen wäre. Diese Einstellung wurde verstärkt durch die Tatsache, daß Kommunikation zwischen Stadt und Land immer einseitig verlief. Von der Stadt verbreitete sich das Neue, Ungewohnte, das Bedrohliche: Maschinen, wirtschaftlicher Liberalismus, religiöse Gleichgültigkeit, moderne Kunst.

Dem hatte das Land außer hilflosen Bewahrungsversuchen und gelegentlichen lautstarken Protestaktionen wenig entgegenzusetzen. Politische Bewegungen instrumentalisierten und verschärften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts diese vorhandenen Gegensätze, um aus der Masse der Landbevölkerung bei Wahlen Kapital zu schlagen. Daraus resultiert, daß Bauern technische und gesellschaftliche Veränderungen nur als Betroffene, aber nicht als Gestaltende erlebten. Es darf daher nicht verwundern, wenn sie nun in Neuerungen, die Gefahren und neue Chancen bieten, vor allem die Bedrohungen wahrnehmen.

Unter dem Druck fallender Agrarpreise

Diese Denkmuster sollten nicht außer acht gelassen werden, wenn man sich mit der Situation der österreichischen Bauern seit dem Beitritt unseres Landes zur EU beschäftigt.

Die Bauern wurden davon besonders stark betroffen. Für ihre Produkte erzielten sie auf einmal nur die I Iälfte des Preises von früher. Hilfsmöglichkeiten des Staates sind kaum noch möglich, weil die Agrarpolitik nun in Brüssel beschlossen wird. Es stellt sich jetzt als Fehler heraus, daß die Bauern von ihren Vertretern und Kammerbürokraten überhaupt nicht auf die anstehenden Veränderungen vorbereitet worden sind.

Statt dessen hatte man abgewiegelt, das Blaue vom Himmel versprochen, manchmal auch gelogen. Zahlreiche Bauern wichen vor dem beinharten neuen Wettbewerb und gaben auf. Die übrigen reagierten mit Frust und Ratlosigkeit, wirtschafteten aber weiter. Meistens zehren sie von der Substanz.

Die Gegenwart ist bedrückend und, was kommen wird, völlig ungewiß. Eine Antwort auf die Schwierigkeiten ist die Direktvermarktung von bäuerlichen Qualitätsprodukteri. Viele bäuerliche Betriebe haben sich dafür entschieden. Damit kommen auf die Landwirte ganz neue Aufgaben zu: Auseinandersetzung mit dem Konsumenten und dessen Wünschen, Aufbau eines Vertriebssystems, Information der Kunden.

Mit vielen dieser neuen Funktionen sind die Bauern überfordert oder zumindest nicht vertraut. Unterstützung dabei bietet das niederösterreichische Telehaus-Projekt an. Dabei wird versucht, die Vorteile der modernen Computer- und Telekommunikationstechnik für den ländlichen Raum nutzbar zu machen, ohne dabei die gewachsenen Strukturen zu zerstören. Bis jetzt existieren im Land unter der Enns vier solcher Telehäu-ser. Seinen Ursprung nahm das Projekt im Ortchen Eschenau im Alpenvorland.

Informationstechnologie würde man in diesem Dorf, 15 Kilometer entfernt von den Fabriksschornsteinen und Betonblöcken der Landeshauptstadt St. Pölten, zuallerletzt vermuten. Kein Durchzugsverkehr, eine Kirche, ein paar Gasthäuser, eine schön renovierte Volksschule aus der Zeit der Monarchie. Im Tal rauscht ein kleiner Bach. Schmale Wege durchziehen , grüne Wiesen mit Streuobstbäumen. Bis ganz an die Kuppen hinauf, immer an den windgeschützten Stellen, sitzen festverwurzelt die Bauernhöfe. Erholungslandschaft wie im Bilderbuch. Schon früh in den siebziger Jahren begann man deshalb hier mit Landschaftspflege, Dorferneuerung, Bauernmärkten und ökologischen Initiativen.

Trotzdem hat hier im Bezirk seit 1970 ein Fünftel der Bauern ihren Hof aufgegeben oder ist in den Nebenerwerb gewechselt, was das endgültige Aus nur um eine Generation hinausschiebt. Für die Zukunft rechnet man mit einer Verschärfung dieses Trends. Es wird, so lauten die Prognosen der Experten, noch einmal ein Drittel oder sogar die Hälfte der Bauern verschwinden. Um diesem scheinbar unaufhaltsamen Niedergang etwas entgegenzusetzen oder zumindest den Verbleibenden Selbstbewußtsein und Unterstützung zu geben, startete man 1991 mit dem Telehaus-Projekt.

Initiiert von einem aufgeschlossenen Bürgermeister, wurde die Initiative nach einem kurzzeitigen Niedergang dann von vier Interessierten weitergeführt. Ihr Wissen Computer betreffend war gering, das Kapital bestand in erster Linie aus Neugierde und Aufgeschlossenheit. Einer, der damals beteiligt war, ist der jetzige Geschäftsführer des Vereins Tele-haus, der Landwirt Franz Wögerer. Er erinnert sich an den Beginn: „Wir begannen im alten Proberaum der Musikkapelle EDV-Kurse auf geliehenen Geräten. Da professionelle Trainer nicht zu bezahlen waren, eigneten wir uns das in der Kurseinheit gebrauchte Wissen vorher selber an. Zeit dafür fanden wir nur in der Nacht.”

Dieser scheinbare Mangel erwies sich als Vorteil. An Computer wagte sich damals auf dem Land kaum jemand heran. Weil die „Lehrer” aber vertraute Einheimische waren, konnten sie die Schwellenängste der Angesprochenen leichter überwinden. „Leute, die nie den Weg ins WIFI gefunden hätten, erfuhren bei uns, wie einfach Computer zu bedienen sind und welche Möglichkeiten sie bieten”, berichtet Wögerer.

Dazu gehört einmal das schnelle und problemlose Aufstellen von Kostenrechnungen, das Gestalten von Einladungen, Briefen und Zeitungen. Von hier war es nur mehr ein Schritt zum Entwerfen von Flaschen-etiketten und Werbeaussendungen für landwirtschaftliche Direktver-markter - das bedeutete für Bauern, die einen erheblichen Teil ihres Einkommens durch Verkauf von Bindfleisch und Most'erzielen, eine klare Verbesserung der Verkaufsposition.

Es wurde aber noch mehr erreicht. Bauern, denen bisher die enorme Bedeutung von genauem Kalkulieren und zeitgemäßem Gestalten von Prospekten für wirtschaftlichen Erfolg überhaupt nicht bewußt war, begannen auf einmal diese Zusammenhänge zu durchschauen und für sich nutzbar zu machen. Hier wurde - zumindest in Ansätzen - ein Wechsel im Selbstverständnis erreicht, der allen Bauern bevorsteht: Fleißig und hart arbeiteawird in Zukunft nicht mehr das Entscheidende sein. Die Nase vorne hat, wer auf Markterfordernisse flexibel reagiert und seine Leistung zu verkaufen vermag.

Das Telehaus versucht, dafür die entsprechenden Qualifikationen zu vermitteln. In einem weiteren Sinn bereitet das Projekt aber auch den Boden für eine positive, selbstbewußte Einstellung gegenüber Modernität und Veränderung, was für die Zukunft und das Überleben der Landwirtschaft wohl noch wichtiger ist.

Service und Geräte des Telehauses stehen allen Mitgliedern (Mitgliedsbeitrag 200 Schilling jährlich) kostenlos zur Verfügung. Wer selbst mit den Computern umgehen kann, erledigt seinejArbeit allein. Den anderen bietet man Unterstützung oder Anleitung bei konkreten Aufgaben an. Gearbeitet wird hier nicht auf Museumsstücken vom Jahre Schnee, sondern auf Hochleistungsgeräten der letzten Generation; natürlich gibt es auch einen Internetanschluß. Woher stammt das Geld für all die teuren Investitionen?

Auftragsarbeiten für die Forschung

Es wird selbst erwirtschaftet. Durch Auftragsarbeiten für Behörden etwa. So übernahm das Telehaus im Jahr 1994 die Durchführung einer Studie der Vereinigung für Agrarwissen-schaftliche Forschung. Es ging dabei um die exakte Ermittlung der bäuerlichen Arbeitsstunden in ausgewählten Betrieben. „Früher wurden für solche Studien die Daten vor Ort zusammengetragen, in die nächste Stadt gebracht und dort ausgewertet. Jetzt verarbeiten wir das Datenmaterial auf dem Land und schicken nur mehr die ausgewerteten Ergebnisse in die Stadt”, erläutert Wögerer.

Eine andere Einnahmequelle sind Computerkurse für Schulkinder während der Sommerferien. Abwechselnd mit 1 e'nnis- und Reitunterricht werden die Heranwachsenden - von mittlerweile professionellen Lehrern - an Computern ausgebildet. Da sich landschaftliche Schönheit, Sport und praktischer Nutzen hier ausgezeichnet ergänzen, sind die Kurse auch meist ausgebucht. Während des Jahres bietet man EDV-Weiterbildungskurse an. Diese Weiterbildung ist wegen der ununterbrochenen Innovation in diesem Bereich für viele Büroangestellte und Sekretärinnen nötig. Manche Firmen mieten die ganze Ausstattung, um hier selbst einen Kurs für die Mitarbeiter abzuhalten.

Auch die Möglichkeiten des Internets werden zunehmend genutzt. Für die Neuorganisation der Weidegenossenschaft rund um den Ötscher werden momentan über das Telehaus problemlos Erfahrungen ähnlicher Weideprojekte in ganz Europa zusammengetragen. Ein Ziel für die Zukunft ist die Mitarbeit bei der Einrichtung einer europaweiten landwirtschaftlichen Datenbank. Hier können beispielsweise Informationen über EU-geförderte Projekte eingeholt werden. Sogar das Formular für die Einreichung kann über diese Datenbank heruntergeladen werden. Auch eine riesige mehrsprachige europäische Produktenbank wird dabei eingerichtet.

Es gibt auch Kritiker des Projektes

Natürlich besteht trotz überwiegender Zustimmung im Ort auch Skepsis über die Erfolgsaussichten des Projektes. Da gibt es den sechzigjährigen Bauern, der resignierend abwehrt: „Das ist nichts für uns”.

Relevanter ist vielleicht eine andere Art von Kritik. Sie argumentiert, daß Einrichtungen wie das Telehaus nichts zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise der Landwirtschaft beitragen könnten. Bestenfalls würden damit ein paar clevere Jungbauern ein zusätzliches Einkommen erwirtschaften.

Die Bauern könnten ihre Betriebe nicht durch das Ausweichen in berufsfremde Tätigkeiten retten. Überleben auf Dauer werde nur durch Wettbewerbsfähigkeit und Einkommen aus den eigentlichen Bereichen der Landwirtschaft gesichert. Tele-haus-Gründer Wögerer sieht die Situation anders: „Die Welle der Konzentration und Rationalisierung erfolgt nur auf der obersten Ebene. Darunter entstehen für kleine, flexible Betriebe neue Aufgaben. Nicht das Fehlen von Nischen, sondern das Auffinden ist das Problem.”

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