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Der österreichische Bergbauer

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Es scheint uns Menschen von heute unbegreiflich, was unsere bäuerlichen Vorfahren bewogen haben mag, die Berghänge zu roden und zu besiedeln, da in dieser Zeit — etwa im 12. bis 16. Jahrhundert — von einer Übervölkerung im heutigen Sinne nicht die Rede sein konnte.

Und doch war es die Raumnot, die sie dazu gezwungen hat. Sie waren weitaus kinderreicher als die Generationen der Gegenwart und das Land konnte so vielen Menschen Brot und Verdienst geben, als dazu bereit waren, es selber zu bebauen. Es galt daher, nachdem zuerst die fruchtbaren Talebenen, dann die seitlichen Moränenzüge und Hochterrassen besiedelt waren, immer weiter in die Höhe zu rücken und die steilen Verwitterungsböden bis zur Anbaugrenze für Sommergetreide urbar zu machen. Bis zur Waldgrenze entstanden die getreidelosen Grünlandwirtschaften (Halthuben), die schließlich in die nur im Sommer betriebenen Almen übergingen. So wurde in den vergangenen Jahrhunderten den Naturgewalten Stufe um Stufe abgerungen. Mit unsäglicher Mühe — über die kein Chronist berichtet — ist das heutige Landschaftsbild unserer Bergtäler entstanden. Wenn diese bäuerliche Kulturtat allerersten Ranges, diese längst vergessene Innenkolonisation nicht damals vollzogen worden wäre, heute würde kein Mensch mehr einen Finger daran rühren, denn diese Übervölkerung des flachen Landes, dieser Drang nach Boden besteht nicht mehr. Längst hat sich ein anderes, verlockenderes Ziel aufgetan, dessen verhängnisvolle Saugwirkung den Höhendrang in die Höhenflucht verwandelt hat.

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bestand der Bergbauernhöfe haben sich grundlegend gewandelt. Denn solange in der Landwirtschaft noch allenthalben die Naturalwirtschaft vorherrschte und kein großer Geldbedarf bestand, unterschied sich der Bergbauernhof nur dadurch vom Talbesitz, daß die Bearbeitung mühsamer, der Daseinskampf härter und entsagungsvoller waren. Eine wirtschaftliche Gefährdung durch stärkere Kräfte gab es noch nicht. In dem Maße jedoch, als die aufkommende Geldwirtschaft, die Verkehrsentwicklung, das

Aufblühen von Handel, Gewerbe und Industrie, die Kapitalsbildung förderten, den Wettbewerb verschärften und den Bargeldbedarf erhöhten, wuchsen auch jene Kräfte, die ihre Hand nach den in der Naturalwirtschaft steckengebliebenen, wirtschaftlich schwachen und an permanentem Bargeldmangel leidenden Berg-bauernbetrieben ausstreckten, um sie dem Verfall preiszugeben.

Der Bauernlegung und Höhenflucht sind Tausende von Bergbauernhöfen zum Opfer gefallen. Seit einem Jahrhundert haben allein in der Steiermark 6 139 Berghöfe, das sind etwa 20 Prozent der noch bestehenden Bergbauernbetriebe, aufgehört, eine selbständige wirtschaftliche Einheit als Existenzgrundlage einer Bergbauernfamilie zu bilden. Nicht anders steht es in den übrigen Alpenländern; so hat Ferdinand Ulmer in Tirol und Vorarlberg in 60 meist kleineren Berggemeinden rund 1700 Betriebe mit einer Acker- und Wiesenfläche von über 2800 Hektar und einem Gesamtausmaß von 30.000 Hektar nachgewiesen, die innerhalb von nur acht Jahrzehnten aufgelassen wurden. Das bedeutet, daß rund ein Drittel der Bergbauernbetriebe in diesen Gemeinden nicht mehr bestehen.

Nach Schneiter zählen heute von 450.000 land- und forstwirtschaftlichen Betrieben in Österreich über 100.000, also fast ein Viertel, zu den Bergbauernwirt-schaften. In der Steiermark sind es etwa 25.000, also ein Drittel aller landwirtschaftlichen Anwesen. Sind nun diese Betriebe, die mehr als einer halben Million wertvoller Menschen im Bergbauern-gürtel die Lebensgrundlage geben, wirtschaftlich so gefestigt, daß sie aller Voraussicht nach davor bewahrt bleiben werden, das traurige Los der Abgestifteten zu teilen? Oder haben sich neue Gefahrenquellen aufgetan?

Die beiden Weltkriege haben den gewohnten Daseinskampf der Bergbauern, der im rauhen Klima, der kürzeren Vegetationszeit, den schlechteren Böden, den Hang- und Steillagen, der Abgelegenheit vom Verkehr und den mühsamen und kostspieligen Zufahrtswegen seine natürliehen und zum Teil unabänderlichen Ursachen hat, wesentlich verschärft und die ständig lastende Sorge um die Bergbauern zu einem akuten volkswirtschaftlichen Problem erhoben.

Die Bergbauerngebiete leiden in erster Linie an Menschenmangel. Ein reicher Kindersegen war von jeher die Stärke der Bergbauern und ihr Schutz gegen den Untergang. Aus ihm erwuchsen die vielen fleißigen Hände, die berggewohnten, genügsamen und zähen Helfer, deren gemeinsamer Arbeitsertrag im Familienbetrieb immer wieder der nie versiegenden Not steuerte. Denn der Bergbauer lebt nur zum geringsten Teil von der Verzinsung des im Besitze ruhenden Kapitals, sondern im überwiegenden Maße vom Ertrag seiner Hände Arbeit. Die beiden Weltkriege haben diesem Bergvolk jedoch schwere und unersetzliche Blutverluste gebracht. Zahllos sind die Höfe, in denen die besten Kräfte gefallen, arbeitsunfähig oder körperbehindert heimgekehrt sind. Dazu kommt, daß sich, vielen der Bergbewohner durch die mannigfache Berührung mit der übrigen Welt, durch das erworbene Wissen über andere, günstigere Lebensbedingungen,.-erst die Augen für die Härte des eigenen Daseinskampfes geöffnet und den Drang nach einem leichteren, bequemeren' Leben verstärkt haben. Ist schon die Landflucht heute zur Schicksalsfrage des Bauerntums im allgemeinen geworden, so droht ihre .verschärfte Form, die Höhenflucht, die Existenz der Bergbauerh ernstlich zu gefährden. Denn ein gesetzlicher “Schutz der Bergbauernhöfe' durch das -Crundverkehrsgesetz oder durch ein zu schaffendes bäuerliches Erbrecht muß unwirksam bleiben, wenn niemand mehi; da ist, die Höfe zu bearbeiten.

Die Gründe für die Abwanderung von den Bergen, für den; akuten 'Mangel an Arbeitskräften, sind' hinlänglich .bekannt, Die natürlichen und wirtschaftlichen Profi uklionsbedingungen sind unvergleichlich härter als in den Tal- und Flachland: bo!rteben. Stehen schon dort diese bäuerlichen Familienwirtschaften vor dem Zwang, durch Rationalisierung und Mechanisierung dem Landarbeitermangel abzuhelfen und nach all den Versäumnissen der Kriegs jähre im Zeichen der sich anbahnenden Weltkonkurrenz wieder den Anschluß an die fortgeschrittenen Agrarmethoden des Westens zu finden, so ist diese Aufgabe bei den Bergbauern sehr viel schwieriger.

' Der Bauernbefreiung vor 100 Jahren ist in unseren Tagen die Emanzipation der Landarbeiter gefolgt. Sosehr die sozialen Errungenschaften, wie die Kranken-, Alters- und Invalidenversicherung, der Kollektivvertrag, die Landarbeitsordnung, das Landarbeiterkammergesetz, auch die Lage der Land- und Forstarbeiter zu bessern vermögen, sosehr verschärfen die zum Teil überspitzten Bestimmungen der Arbeitszeit, des Urlaubes usw. die Lage der Bergbauern. Denn es ist bei ihnen, die selbst mit ihrer Familie keine Schonung sich aufzuerlegen vermögen, schwierig, wenn nicht unmöglich, die Hausgemeinschaft zu zerreißen. Dazu kommt, daß der Bergbauer heute .wirt-r schaftlich außerstande ist, fremde Arbeitskräfte nach Tariflöhnen mit den dazugehörigen Soziallasten zu bezahlen, auch wenn die Arbeitskräfte zur Verlegung stünden. Tatsächlich sind sie aber nicht da. Denn die wenigen verbliebenen Ländarbeiter wandern zu den Flachland-bäuern ab, die ihnen bei leichterer Arbeit mehr bieten können. So ergibt sich aus dem' Mangel an familieneigenen Hilfskräften, aus dem wirtschaftlichen Unvermögen, Fremdarbeiter zu entlohnen und aus der Unmöglichkeit, diese überhaupt zu bekommen, die ernste Tatsache, daß auf vielen Bergbauernhöfen das alternde Bauernehepaar allein dasteht, oder junge Besitzersleute mit einer Schar kleiner Kinder sich schlecht und recht durchs Leben kämpfen und — insbesondere die Bäuerin — ob der Überarbeitung frühzeitig altern.

Daß in der Folge viele notwendige Handgriffe unterbleiben müssen, die Gebäude verfallen und eine extensive, wenig Aufwand an Arbeit und Kapital erfordernde Wirtschaftsweise Platz greift, ist naheliegend. Für die Durchführung der notwendigen Betriebsverbesserungen aber und für Investitionen, um den Bergbauernhof an die Erfordernisse der Zeit anzuschließen, fehlt das Geld.

Wir dürfen also ohne Übertreibung sagen: Bergbauern in Not!. Und zwar in einer Notlage, aus der sie allein, ohne fremde Hilfe nicht herauszufinden vermögen.

Die Aufgabe dieser Darstellung ist es, volkswirtschaftlich und kulturpolitisch interessierten Kreisen und ihren berufenen Vertretern die wahre Lage der Bergbevölkerung vor Augen zu führen. Denn eines ist klar: Die Erhältung des Bergbauerntums ist keine rein landwirtschaftliche Angelegenheit, sie ist von ebenso großer volkswirtschaftlicher Bedeutung und von hohem kulturpolitischem Interesse, also eine Aufgabe der Gesamtheit. Die bergbäuerlichen Betriebe verwalten, vermehren und erneuern einen Großteil des Volksvermögens, das in unseren Viehbeständen ruht. An ihnen liegt die Nutzung und Pflege der Almen, des unentbehrlichen Gesundbrunnens unserer alpenländischen Tierzucht.

Das Landwirtschaftsministerium hat einen Plan ausgearbeitet, der die friedliche Gewinnung eines „zehnten Bundeslandes“ durch die Kultivierung bisher brachliegender Unlanäflächen und Moofe' vorsieht -und der mit Hilfe von ERP-Mitteln :'bere,its angelaufen ist. Gleichzeitig aber droht das Werk unserer Vorfahren,' die Besiedlung des Berggürtels, das,durch die-.bisherigen Abstiftungen schon ein Viertel bis ein Drittel seiner Kraft verloren hat, zu verfallen, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird.

Schließlich, umfaßt die Bevölkerung des alpenländischen Bergbauerngebietes mehr als eine halbe Million Menschen, die in ihrer Bedeutung .durch die harte: Ausleset den zahlenmäßigen Anteil an der Gesamtbevölkerung weit überschreiten. Wenn daher in manchen Kreisen.die Frage aufgeworfen wird, soll .den.“.Bergbauern- geholfen werden oder nicht, wobei die Verneiner auf die UnWirtschaftlichkeit verweisen, „ein Reservat des Mittelalters künstlich aufrechtzuerhalten“, dann kann diesen Fragestellern nur Unkenntnis des Bergbauerntums'zugute gehalten werden.

Das Bergbauernproblem darf daher nicht lauten, ob, sondern nur wie den Bergbauern geholfen werden kann. Unsere Ansichten darüber werden wir in einem weiteren Artikel-darlegen.

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