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Bauerntum in der Steiermark

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Von den ersten Tagen der bajuva-rischen Ansiedlung bis ins 19. Jahrhundert haben Bauern die Entwicklung des steirischen Landes maßgebend beeinflußt. Neben dem Bürgertum, das sich in den Märkten und Städten entfaltete, lebten noch 1846 85 Prozent der steirischen Bevölkerung unmittelbar von der Land-und Forstwirtschaft.

Der Siegeszug der Technik hat zum Bauern- und Bürgertum den Arbeiterstand gesellt. Gerade in der Steiermark mit seinem Erzberg, seinen Wäldern und seinen ausgedehnten Braunkohlenschätzen entstand eine mächtige Industrie, die auf den Charakter des Landes nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Während die Einwohnerzahlen der städtischen Siedlungen in ständigem Wachstum begriffen sind — die Landeshauptstadt Graz ist von 31.000 Bewohnern im Jahre 1827 auf 220.000 im Jahre 1950 angewachsen — verfielen zahlreiche Bauernhöfe, der Ungunst der Zeit erliegend. Allein an Bergbauernhöfen wurden zwischen 1846 und 1930 in der Steiermark 6139, das sind etwa 20 Prozent der Anzahl der noch bestehenden Berghöfe, abgestiftet. Als Ergebnis dieser Entwicklung müssen wir heute feststellen, daß nur mehr 32 Prozent oder ein schwaches Drittel der Bevölkerung des Landes direkt von der land- und forstwirtschaftlichen Urproduktion leben.

Wird diese Entvölkerung der Bergtäler, das Sterben der Bauernhöfe, die Entwurzelung bäuerlichen Blutes fortschreiten? Wird das Bergbauernvolk aufhören, die ewig sprudelnde Quelle des Volkstums zu sein? Menschen, die den harten Lebenskampf der Bauern und zumal den der Bergbauern nicht kennen, mag es wie falsches Pathos klingen, wenn hier vom Kampf um Sein oder Nichtsein der Bevölkerung des gefährdeten Bergbauern-gürtels die Rede ist. Die Eingeweihten wissen, daß diesem Pathos bitterer Ernst zugrunde liegt, sie wissen, daß verantwortliche Männer Pläne entworfen, Denkschriften verfaßt haben, daß Konferenzen abgehalten wurden — zuletzt sogar im internationalen Rahmen der FAO in Innsbruck —, daß Marshall-Mittel eingesetzt wurden und Agrarwissenschaftler tätig sind, der Bergbauernschaft gewissermaßen in letzter Stunde zu helfen.

Vor allem aber weiß die steirische Bauernschaft selbst, worum es geht. Sie verfügt, trotz der gewaltigen Einbußen ihres Anteiles an der Gesamtbevölkerung immer noch über den ersten politischen und wirtschaftlichen Einfluß im Lande. Sie stellt den Landeshauptmann und besetzt wichtige Landesratsstellen. Ihre Organisationen und Körperschaften sind eine starke Kraft im Lande, die nicht übergangen werden kann. Diese Stellung des Bauerntums innerhalb der mächtigen Wirtschafts-, Kräfte- und Interessengruppen in der Steiermark ist durch seine Einigkeit errungen worden, der politischen Reife der Bauernschaft, bestärkt durch die Erkenntnisse und Erfahrungen zweier Weltkriege und zweier Nachkriegszeiten. Das Landvolk hat in letzter Zeit mehr als einmal seinen Willen zu dieser Einheit kundgetan. Bei den Wahlen in die Landwirtschaftskammer im Dezember 1949, dem demokratischen Vertretungskörper der Land- und Forstwirtschaft, entfielen von 142.314 abge-gegebenen Stimmen 112.605 oder 80 Prozent auf den Steirischen Bauernbund. Von 39 Mandaten in das Bauernparlament der Landwirtschaftskammer sind 31 im Besitz des Bauernbundes, der auch von den 240 Bezirkskammerratsitzen 195 für sich erobert hat Um diese Ziffern richtig würdigen zu können, muß man die struktuellen Schwächen der steirischen Landwirtschaft kennen, die gewiegten Gegnern manche Angriffsflächen bieten. Zu diesen Schwächen zählt in erster Linie der hohe Grad der Bodenzersplitterung. Von 79.462 land- und forstwirtschaftlichen Betrieben haben insgesamt 15.039 oder 19 Prozent weniger als 2 Hektar Gesamtflache und 26 Prozent eine Fläche zwischen 2 und 5 Hektar, Insgesamt zählen also 4 5 Prozent aller Betriebe zu den Zwergbesitzen.

Die Tatsache, daß diese landarmen Kleinbauern in ihrer überwiegenden Mehrheit den Lockungen der sozialistischen Bodenreformer und der volksdemokratischen Weltverbesserer widerstanden haben, kann nur aus der Festigkeit ihrer im Christentum wurzelnden Gesinnung und dem Vertrauen in die Männer, die heute an der Spitze ihrer geschlossenen Reihen stehen, in ihre politischen, fachlich-beruflichen und genossenschaftlichen Leistungen erklärt werden. Einen Beleg dafür bietet der Bezirk Fürstenfeld, in dem 94 Prozent aller Bauern weniger als 20 Hektar Land besitzen. Von diesen aber haben 90 Prozent ihre Stimmen dem Bauernbund gegeben und sämtliche Mandate in der Bezirkskammer besetzt.

Ein anderes Kapitel der strukturellen Schwäche ist der hohe Anteil an Betrieben, die in der Bergregion liegen und, vielfach auf sich allein gestellt, Tag für Tag und Jahr für Jahr den harten Daseinskampf bestehen müssen. Auch'diese Bergbauern haben für die Bauerneinheit gestimmt. Wer aber würde es diesen 25.000 steirischen Bergbauern mit ihren Familien, die rund ein Drittel aller bäuerlichen Betriebe besitzen, verdenken können, wenn sie eines Tage, müde geworden und abgestumpft, genug haben von salbungsvollen Vertröstungen und Resolutionen und daran zu zweifeln beginnen, ob den vielen Worten auch Taten folgen werden? Es wäre frivol, nur auf den Fels ihres Glaubens, auf ihre Gesinnung zu rechnen. In Erkenntnis der praktischen Aufgaben, deren Erfüllung not tut, haben die verantwortlichen Männer in der bäuerlichen Führung kein Gebäude errichtet, in dem nur die Satten Platz haben, sondern in der wohlausgebauten Organisation der Landwirtschaftskammer mit ihren zahlreichen Außenstellen den landwirtschaftlichen Verbänden und Genossenschaften ein starkes gutdurchdachtes System der beruflichen Förderung und Interessenvertretung, und der wirtschaftlichen Selbsthilfe errichtet, das alle Bauern zu erfassen bereit ist. Unter den vielfältigen Arbeiten der Kammer erweist sich die umfassende Beratungs-Bildungs- und Aufklärungstätigkeit für die zukünftige Entwicklung des Landes von größter Tragweite. So kommt insbesondere dem „Bund Steirischer Landjugend“, der bereits 180 Ortsgruppen mit rund 3500 Mitgliedern zählt, für die fachlich - berufliche und charakterliche Ausrichtung des bäuerlichen Nachwuchses große Bedeutung zu. Aus seinen Reihen sollen die Männer hervorgehen, die, wurzelnd im Christentum und dem Fortschritt aufgeschlossen, unsere Arbeit weiterführen.

Ein engmaschiges Netz von Genossenschaften ergänzt die produktions-fördernde Tätigkeit der Landwirtschaftskammer. Rund 520 Genossenschaften und Verbände, die im Raiffeisenverband zusammengefaßt sind, pflegen den genossenschaftlichen Gedanken. Allein 288 Raiffeisenkassen regeln den bäuerlichen

Geldverkehr, sammeln die Spareinlagen und vergeben Darlehen. Ihre Zentrale in Graz hat für 1949 einen Umsatz von 1,5 Milliarden Schilling ausgewiesen, ein Beweis für die wirtschaftliche Bedeutung der bäuerlichen Sparkassen im Lande. Unter den Verwertungsgenossenschaften nehmen die Molkereien die erste Stelle ein. 98 Prozent der anfa 1 1 enden Marktmilch werden in der Steiermark genossenschaftlich erfaßt. In diesem Jahr wird mit einem Frischmilchanfall von 140 Millionen Liter gerechnet. 51 Genossenschaften befassen sich mit dem Warenverkehr; sie versorgen einerseits die bäuerlichen Betriebe mit Futter-, Dünge-, Betriebsmitteln und. Maschinen und nehmen andererseits als Absatzgenossenschaften die Produkte der Landwirtschaft auf.

Es ist klar, daß in einem Lande wie der Steiermark, in dem 65 Prozent der landwirtschaftlichen Kulturfläche dem Futterbau gewidmet sind, die Viehzucht eine ausschlaggebende Rolle spielt, 92 Rinderzucht-, 20 Pferdezuchtgenossenschaften, Schweine- und Schafzuchtverbände pflegen die Herdbuchzucht auf genossenschaftlicher Basis und versorgen das Land mit gesunden, leistungsfähigen Elterntieren. Eine steirische Besonderheit sind die 16 Maschinengenossenschaften, die den Klein- und Mittelbauern den Einsatz arbeitsparender Maschinen ermöglichen.

Es soll nicht vergessen werden, daß über 50 Prozent der steirischen Kulturfläche bewaldet sind und fast jeder Bauer auch Waldbesitzer ist. Gerade auf dem Gebiete Waldwirtschaft, der Pflege der „Grünen Sparkasse“, hat sich in jüngster Zeit der Genossenschaftsgedanke erfolgreich durchgesetzt. Waldbauern-genossensc haften zur Förderung der Pflege, Nutzung und Erschließung der Bauernwälder und eine bäuerliche Holzverwertungsgenossenschaft tragen dazu bei, die notleidenden Bauernwälder im Holzertrag zu steigern und gerechte Preise zu sichern.

Mit Zuversicht kann heute der stei-rische Bauer sagen, daß in seinem Stande Männer am Werke sind, die die Zeichen der Zeit begriffen haben, die wissen, daß es gilt, aus den unschätzbaren Kräften der Gesinnung, des Glaubens, der Gemeinschaftsidee dem Wohl des ganzen Standes zu dienen. Die Bauernschaft hat verständen, daß sie, je mehr ihr zahlenmäßiger Anteil an der Gesamtbevölkerung abnimmt, zur Einigkeit verpflichtet ist. Staat und Volk aber müssen noch besser begreifen lernen, daß ein gesunder, lebensfähiger Bauernstand, der aus dem Christentum seine seelischen und sittlichen Kräfte bezieht, politisch, wirtschaftlich und kulturell den sichersten Schutz gegen gefährliche Gewalten der Gegenwart bildet. Die Bauernschaft der Steiermark ist auf der Wacht. Die Erhaltung der Bergbauern aber ist eine Verpflichtung der Gesamtheit, denn sie sind für ein gesundes Volk unentbehrlich. Möge diese Erkenntnis endlich zu Taten führen.

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