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Bergland, Grenzland

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Der zweite Weltkrieg hat in der Steiermark furchtbare Spuren hinterlassen. 2700 Bauernhöfe im unmittelbaren Kampfgebiet waren vollkommen zerstört oder sehr schwer getroffen. Ihr Wiederaufbau war eine beispielgebende Gemeinschaftsleistung der österreichischen Land- und Forstwirtschaft, aus deren Beiträgen zum Wiederaufbaufonds rund 77 Millionen Schilling für die Behebung dieser Kriegsschäden in der Steiermark zur Verfügung gestellt werden konnten. Der Neubau der zerstörten Wohn- und Wirtschaftsgebäude war im wesentlichen bis Ende 1953 abgeschlossen.

Im Kampf gegen den Hunger in den ersten Nachkriegsjahren galt es, die darniederliegende landwirtschaftliche Produktion wieder in Gang zu bringen, mit dem unmittelbaren Ziele, die Marktleistungen zu steigern. Eine wichtige Voraussetzung dafür war der Wiederaufbau der Landwirtschaftskammer und ihrer Gliederungen aus den Trümmern des Reichsnährstandes zu einem leistungsfähigen Instrument der Produktionsförderung und Interessenvertretung der Bauernschaft.

Der Marshallplan mit den ERP-Hilfen ermöglichte es, in den Jahren 1949 bis 1953 die Fachschulen des Landes auszubauen und einen zeitgemäßen Bildungs- und Beratungsdienst der Kammer einzurichten. Betriebsberater und Hauswirtschaftsberaterinnen wurden eingesetzt und eine rege Schulungstätigkeit entwickelt. Ein zentrales bäuerliches Bildungsheim, der Raiffeisen-hof in Graz, wurde geschaffen und der Bund steirischer Landjugend zur charakterlichen und beruflichen Ertüchtigung des bäuerlichen Nachwuchses ins Leben gerufen.

Zahlreiche ERP-Aktionen regten die Bauernschaft zur Verbesserung ihrer Betriebseinrichtungen und zur Ertragssteigerung an. Im Rahmen eines Vierjahresplanes wurden allein über die Landwirtschaftskammer 90 Millionen Schilling aus ERP-Mitteln für die verschiedenen Förderungsaktionen ausgegeben. Wenn man bedenkt, daß die Beihilfen zumeist nicht mehr als 25 Prozent der Gesamtkosten des Projekts betragen haben und mindestens 75 Prozent aus Eigenmitteln der Bewerber aufgebracht worden sind, kann man erkennen, daß durch die Marshallhilfe betriebsverbessernde Investitionen in der Höhe von rund 360 Millionen Schilling ausgelöst wurden.

Da im steirischen Durchschnitt rund drei Viertel der landwirtschaftlichen Einnahmen aus der Viehwirtschaft stammen, stand wirtschaftlich die Steigerung der Futtererträge und ihre rationelle Verwertung durch die Rinderzucht, Rindermast, Milchwirtschaft und Schweinemast eindeutig im Vordergrunde. In diesem Sinne wurde von 1945 bis 1960 in der Steiermark von der Landwirtschaftskammer die Durchführung von 6700 Stallverbesserungen, der Bau von 10.100 Düngersammelanlagen und 8600 Gärfuttersilos gefördert. Die Handelsdüngerverwendung hat sich in der Steiermark seit der Vorkriegszeit verfünffacht, sie ist von neun Kilogramm Reinnährstoff je Hektar im Jahre 1938 auf fast 50 Kilogramm im Jahre 1959 angestiegen.

Zur Förderung der Tierzucht und zur Bekämpfung tierzuchthemmender Krankheiten wurde von der Landwirtschaftskammer nach dem Krieg die künstliche Besamung aufgebaut. Zur Zeit werden 34 Prozent der belegfähigen Rinder künstlich besamt. Der Erfolg zeigt sich deutlich in der Verbesserung der Viehbestände und der Fruchtbarkeitszahlen. Die gebietsweise Sanierung der Rinderbestände von der Tuberkulose ist seit 1950, ausgehend vom Ennstal nach dem Süden, fortschreitend im Gange. Bis Ende 1959 waren von insgesamt 79.207 Betrieben und 43 8.000 Rindern 26.371 Betriebe mit 192.250 Tieren in die staatliche Tbc-Bekämpfungsaktion einbezogen. Die Bangbekämpfung hat bisher 20.138 Betriebe erfaßt.

Die züchterischen Organisationen wurden in diesen 15 Jahren planmäßig ausgebaut. Das stei-rische Zuchtvieh hat in Qualität und Leistung einen Stand erreicht, der auf den Märkten des In- und Auslandes erfolgreich konkurrieren kann.

Die Milchleistungsprüfungen erfaßten 1959 21,5 Prozent aller Kühe. Der Landesdurchschnitt der Kontrollkühe ist von 2327 Kilogramm Milch und 90 Kilogramm Fett im Jahre 1945 auf 3169 Kilogramm Milch und 127 Kilogramm Fett im Jahre 1959 angestiegen.

Der Zuchtwahl nach erblichen Anlagen für Mastfähigkeit und Schlachtqualitäten beim Schwein dient seit 1954 eine Prüfanstalt der Kammer in Gleisdorf, in der seither rund 1500 Herdbuchnachkommen auf diese Erbanlagen der Elterntiere geprüft wurden. Die praktischen Aus-

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Wirkungen zeigen sich auf breiter Grundlage in besseren Masterfolgen und Schlachtergebnissen.

Alle diese Förderungsmaßnahmen, die in diesem engen Rahmen nur angedeutet werden können, hatten eine beachtliche Produktionssteigerung und Qualitätsverbesserung 2ur Folge. So sind die Milchanlieferungen bei den Molkereien von 103.000 Tonnen im Jahre 1948 auf 250.000 Tonnen im Durchschnitt der letzten drei Jahre angewachsen.

Das Viehangebot überstieg in den letzten fünf Jahren ganz wesentlich den steirischen Bedarf. Seit 1957 wurden im Durchschnitt jährlich 11.000 Schlachtrinder und 4000 Stück Zucht-und Nutzvieh ins Ausland verkauft. Daraus ergibt sich ein echter Überschuß für den Export von 15.000 Rindern. Als ausgesprochenes Aufzuchtgebiet stellt die Steiermark seit Jahren im Rahmen der Rindermastförderungsaktion 8000 bis 9000 Einstellrinder pro Mastperiode.

Mit dieser beachtlichen Produktionssteigerung traten — wie überall — auch in der Steiermark ab 1957 die Absatz- und Überschußprobleme •tärker in den Vordergrund. Die Anstrengungen der Landwirtschaft waren daher zwangsläufig in verstärktem Maße dem Ausbau der Verwertungs-inrichtungen und der Förderung des Agrar-xports gewidmet.

Der genossenschaftliche Ausbau des Molkereiwesens wurde seit dem letzten Krieg entscheidend vorwärtsgetrieben. Nach zahlreichen Neu-und Umbauten und Betriebszusammenlegungen gehören dem Molkereiverband zur Zeit 17 modern eingerichtete Betriebe an. Nach den Ergebnissen der Bundesprüfungen ist die Steiermark derzeit in Österreich in der Qualitätsproduktion bei Butter und Käse führend. In Hart-berg wurde heuer eine leistungsfähige Milchtrocknungsanlage eröffnet.

Der Viehabsatz wird durch die Steirische Viehverwertungsgenossenschaft gefördert. In den Tierzuchthallen in Feldbach und Leoben, die in der Marshallplanzeit errichtet wurden, werden jährlich rund 2300 Zuchttiere aus Herdbuchbeständen versteigert.

Der in der Steiermark gegenüber der Veredlungswirtschaft schwache Marktfruchtbau wurde durch die Einführung der Zuckerrübe im Jahre 1947, die Wiederaufnahme des Hopfenbaues im Raum von Leutschach im Jahre 1950, die Ausweitung des Tabakbaues in der Oststeiermark, die Einführung der marktmäßigen Pfirsich-und Beerenobstkultur und des Heilkräuterbaus im südlichen Grenzland gestärkt.

Der Obst-, Wein- und Gemüsebau ist im wirtschaftlichen Ertrag sehr von der Marktlage abhängig, die wegen der Unregelmäßigkeit der Ernteerträge starke Schwankungen aufweist. Dazu kommt, daß diese Betriebszweige durch die wirtschaftliche Integration Europas am stärksten bedroht erscheinen. Die Anstrengungen waren daher in erster Linie auf die Erzielung gleichmäßiger Ernten, die Qualitätsverbesserung und die Schaffung von gemeinschaftlichen Verwertungseinrichtungen ausgerichtet. Kellereigenossenschaften und ein leistungsfähiger Obst-verwertungsbetrieb, die „Steirerobst“ G. m. b. H. in Gleisdorf, die seit 1958 jährlich hunderte Waggons Preßobst zu Saftkonzentraten verarbeitet, dienen diesem Ziel. Eine Reihe von Lagerhäusern für Obst und Gemüse ist in den Marshallplanjahren entstanden.

Zur Förderung der Hauswirtschaft und der Entlastung der Bäuerinnen wurde die Elektrifizierung der Bauernhöfe, ihre Wasserversorgung und die Mechanisierung der Haushalte vorangetrieben, die lange Zeit hinter der Technisierung der Außenwirtschaft zurückgeblieben war. Mehr als 200 Gemeinschaftswaschanlagen und 750 gemeinschaftliche Tiefkühlanlagen sind in den letzten Jahren entstanden. Der Ausbildung der Bauerntöchter dient in jedem Bezirk ein zentrales „Haus der Bäuerin“.

Eine maßgebende Säule der steirischen Wirtschaft ist der Wald, der mehr als die Hälfte der Kulturfläche der Grünen Mark bedeckt. Der Forstwirtschaft müßte daher ein besonderes Kapitel gewidmet sein. Da dies der Rahmen dieser Darstellung verbietet, sei nur auf zwei hervorstechende Aufbauleistungen auf diesem Gebiet seit 1945 hingewiesen: den Bau von 4190 Forstaufschließungen, davon mehr als die Hälfte durch die Kammer, und die Tatsache, daß in der Waldbauernschule der Kammer bis heute mehr als 10.000 Kursteilnehmer ausgebildet wurden. Daraus ist die Breitenwirkung dieser Maßnahmen klar zu erkennen.

An dieser in aller Kürze dargestellten Aufwärtsentwicklung seit 1945, an der Rationalisierung und Technisierung der Landwirtschaft waren nicht alle Betriebe im gleichen Maße beteiligt. Die naturbedingten Schwierigkeiten im Bergland und wirtschaftliche Nachteile im Grenzland stehen einer gleichmäßigen Entwicklung hindernd im Wege. Dazu kamen marktwirtschaftliche Verschiebungen, die insbesondere die ausgedehnten früheren Zugochsenaufzuchtgebiete betrafen.

So darf also ohne jede Übertreibung festgestellt werden, daß die steirische Bauernschaft trotz des wachsenden Mangels an Arbeitskräften am Wiederaufbau unseres Wirtschaftslebens ihren vollen Anteil genommen hat. Wie der „Grüne Bericht“ eben nachweist, hat aber die Einkommensentwicklung der bäuerlichen Bevölkerung mit der der übrigen Wirtschaft nicht Schritt gehalten, weil die Mehrerlöse durch die Ertragssteigerung wieder von höheren Betriebsausgaben verschluckt wurden. Nach dem Landwirtschaftsgesetz ist es nunmehr eine Aufgabe des Staates, also des Volkes, auch dem Bauern den seiner Arbeit gebührenden Anteil am Volkseinkommen zu sichern.

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