6699785-1963_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Bauernsorgen, Bauern—morgen

Werbung
Werbung
Werbung

Bekanntlich haben Industrie, Handel und Gewerbe, Beamte, Arbeiter und Angestellte kein besonderes Interesse an der Agrarpolitik, sondern nur an den Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die natürlich durch die Importe, die Subventionen und alle Maßnahmen zur Förderung der Produktion beeinflußt werden. Diese zwiespältige Haltung ist ein Fehler; denn die Sicherung der Ernährung aus eigenen Kräften — wenigstens bei den wichtigsten Lebensmitteln — ist zweifellos von größter Wichtigkeit. Die Erfahrungen von zwei Weltkriegen dürften bewiesen haben, wohin in kritischen Zeiten die Abhängigkeit vom Ausland führt.

Die geographische Lage zwischen dem Ostblock und dem Westblock mußte aber die Lage weiterhin komplizieren. Als kommunistische Volksdemokratien, die immer tiefer in ihre chronischen Agrarkrisen versinken, kommen die ehemaligen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie als ernste und zuverlässige Lieferanten überhaupt nicht mehr in Betracht. Anderseits sind die langen Transportstrecken nach dem Westen im Falle europäischer Komplikationen ungewöhnlich empfindlich. Obwohl jede Autarkie ein Unfug wäre, gehören eine weitgehende Selbstversorgung und die Anlage von Vorräten im Sinne der Punktationen von Rättvik eigentlich zur erweiterten Landesverteidigung. Diesen Zusammenhängen bringt neuerdings auch die Sozialistische Partei volles Verständnis entgegen, so daß im Regierungslager keinerlei Agrarkonflikte drohen. Bei etwaigen Differenzen handelt es sich allenfalls um Probleme dritten Ranges am Rande der Koalition.

Analyse der Situation

Abgesehen vom Rückfall bei Kartoffeln und den üblichen starken Schwankungen bei Zuckerrüben verzeichneten die Ernteerträge während den vergangenen Jahren eine Stabilisierung, somit im wesentlichen eine Konsolidierung der außerordentlichen Fortschritte gegenüber der Vorkriegszeit. Im Jahre 1962 stiegen im Vergleich zu 1937 die Erträge bei Zuckerrüben um 50, Gerste um 93 und Brotgetreide um 114 Prozent. Hafer, Kartoffel und Körnermais waren rückläufig. Angesichts der wechselnden Anbauflächen verdankt man diesen Aufstieg vorwiegend einer Erhöhung der Hektarerträge, die im Vorjahr bei Hafer mit 22,1, Weizen mit 26,1 und Gerste mit 28,8 Zentner den größten, jemals registrierten Erfolg erzielten. Aus der Importstatistik ging wiederum hervor, daß Mais, Gerste und Eier die Handelsbilanz mit 1,13 Milliarden Schilling belastet hatten. Der Zuckerimport gilt als Sonderfall, weil nach den enormen Ernten der Jahre 1958 bis 1960 der' Anbau von Zuckerrüben übermäßig gedrosselt wurde. Angesichts des steigenden Konsums ist daher der Zuckerimport, der 1960 nur noch 1307 Tonnen betrug, im Vorjahr wieder auf 49.754 Tonnen im Werte von 165,2 Millionen Schilling angewachsen.

Nach dem Ergebnis der Viehzählungen von Anfang Dezember erfuhren die vorherrschenden Tendenzen keine Veränderung. Schafe und Ziegen, zwei Tiergattungen des sozialen Notstandes, gingen weiter zurück. Nach wie vor bleiben die Pferde ein Opfer der Motorisierung. Der Gesamtstand an Hühner verriet eine leichte Zunahme, aber Enten und Gänse bewegten sich merkwürdiger Weise auf einer absteigenden Linie. Schweine erlitten einen Rückfall und der Rinderbestand, der seit 1958 einen unaufhaltsamen Aufstieg erlebt hatte, erwies sich als stabil. Wie immer stützten sich die Agrarexporte auch im Vorjahr in erster Linie auf lebende Rinder (100.329 Stück). Die totale Einfuhrsperre Italiens vom 8. Oktober 1961 bis Anfang 1962 vermochte den Gesamtexport jedoch nicht zu beeinträchtigen. Eine Neuerung bildeten die Exporte von 50.584 lebenden Schweinen und von nahezu 90.000 Tonnen Weizen. Käse, Butter und Trockenmilch, aber auch Malz (6740 Tonnen) entwickelten sich günstig. Der unverhältnismäßig hohe Butterkonsum während der Hauptsaison des Fremdenverkehrs brachte allerdings die Zwangslage, im Herbst 854 Tonnen

Butter aus Schweden importieren zu müssen.

Vor neuen Aufgaben

Den nächsten Schritt bilden eine rechtzeitige Verlängerung des Landwirtschaftsgesetzes bis 31. Juli 1965 und des Marktordnungsgesetzes bis 31. Dezember 1965, damit das alljährliche Tauziehen der Parteipolitiker unterbleibt, das Zeit, Nerven und Konzessionen in anderen Sektoren beansprucht, die mit der Agrarpolitik überhaupt nichts zu tun haben. Aktuell wird endlich die Neuregelung der land-und forstwirtschaftlichen Schulgesetzgebung, über die noch keine Einigung vorliegt. Natürlich handelt es sich um einen weitreichenden und durchaus nicht leichten Komplex, der im föde-

ralistischen Sinne durch Zuweisung ordentlicher Kompetenzen an die Länder geregelt werden soll. Die landwirtschaftlichen Mittelschulen bleiben beim Bund. Für die Fach- und Berufsschulen will man zwar gemeinsame Grundsätze aufstellen, aber bei der Durchführung den Ländern ein breites Betätigungsfeld einräumen. Notwendig erscheint ferner eine Intensivierung der Milchkontrollen und eine Vereinfachung des Importverfahrens bei Futtergetreide.

Bei den wirtschaftlichen Plänen denkt man zunächst an eine Ergänzung des Anbaues von Brotgetreide, der gegenwärtig Überschüsse abwirft, durch eine erhöhte Produktion von Futtergetreide, besonders von Mais und Gerste. Bei Weizen wird der stärkere Anbau von Sorten hoher Qualität angestrebt, die zur Zeit noch eingeführt werden. Da Österreich zu wenig Qualitätsobst besitzt, da die Bauern das Obst bisher als ein Nebenprodukt angesehen haben, erweisen sich eine Modernisierung der Baumschulen und der schrittweise Übergang zum intensiven Plantagenobstbau als unvermeidlich. Beim inländischen Konsum beobachtet man ferner eine Umstellung auf Rindfleisch, so daß sich der Inlandabsatz um 45.000 Schlachtrinder erhöhen konnte. Auch Konsum und Produktion von Eiern zeigten eine steigende Tendenz. Da der Konsum jedoch rascher zunahm als die Produktion, kam es zu einer sprunghaften Erhöhung der Eierimporte um 15,4 Prozent auf 187,6 Millionen Schilling, von der besonders Polen, Holland, Bulgarien und Rumänien profitierten, merkwürdigerweise nicht Dänemark, obwohl die OECD

anderen vier Staaten gar keine Rolle. Von der EFTA waren ausschließlich Großbritannien und die Schweiz vertreten. Eine Gefährdung der Rinderexporte nach Italien und Westdeutschland scheint vorerst nicht zu bestehen, weil Italien — dessen Fleischversorgung nach Mengen und Qualität notorisch schlecht ist — dringend lebende Tiere braucht, während Westdeutschland bis auf weiteres noch das Kontingentsystem handhabt und gegenüber Österreich auch tolerant anwendet.

Abwarten!

Es sind bereits einige Jahre seit dem geflügelten Wort aus der Steiermark vergangen, Österreich werde in der Neutralität verhungert, wenn es nicht sofort der EWG beitrete.

In Wirklichkeit ist schon jetzt bewiesen, daß die Agrarverordnungen, die Brüssel Mitte Jänner des Vorjahres während einer stürmischen Marathonsitzung durchgepeitscht hat, bringen mit ihren europäischen Einheitspreisen und komplizierten Abschöpfungen neue interne Komplikationen. Es ist praktisch unmöglich, die Interessen der Landwirtschaft Hollands und Westfalens, Süditaliens und Südfrankreichs über einen Leisten zu schlagen, ebenso wie es unmöglich ist, einer theoretischen Fiktion zuliebe die ganze Versorgung Großbritanniens einfach auf den Kopf zu stellen. Es ist schon absonderlich, daß Brüssel im Interesse Frankreichs die vorbildlich entwickelte Landwirtschaft Dänemarks in eine schwere Krise treibt. Dabei hat bisher noch gar niemand an die Bergbauern in Norwegen, Österreich und der Schweiz gedacht, die im Sinne der Dogmen des Römer Vertrags als „unrentable Unternehmungen“ natürlich nach einem zentralistischen Rezept reformiert werden müßten.

Zunächst muß also Österreich einmal abwarten, ob und wie sich die Mitglieder der EWG selbst der Zwangsjacke ihrer zentralistischen Agrarverordnungen anpassen und welche Konsequenzen sich schließlich aus der amerikanischen Initiative in Genf ergeben.

den Eierhandel vollkommen liberali-siert hat.

Selbstverständlich bereitet die Lage Österreichs zwischen dem Ostblock und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dem Bauernbund manche Sorgen, die jedoch viel größer wären, wenn es sich um Agrarimporte und nicht einfach um den Export von Getreide, Molkereiprodukten und lebenden Tieren handeln würde. Die Situation ist nämlich überraschend einfach. Im wesentlichen lieferte Österreich im Vorjahr lebende Tiere nach Italien und Westdeutschland, Molkereiprodukte nach Italien, Westdeutschland und Großbritannien, außerdem noch 53.115 Tonnen Weizen nach Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien und der Tschechoslowakei. Bei der EWG spielten die

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung