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Die Frucht der Aufwertung

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Die deutschen Verbraucher lesen jetzt teils erleichtert, teils mißtrauisch in ihren Zeitungen, daß die Bauern im neuen Jahr ihre Agrar-produkte um 3 bis 8,5 Prozent billiger verkaufen wollen. Die Endpreise für Nahrungsmittel können je nach Erzeugnis bis zu 4 Prozent sinken, wenn Industrie, Groß- und Einzelhändler diese Preisminderungen an den Verbraucher weitergeben. Die Aufwertung der DM war hauptsächlich notwendig, um die starken Preissteigerungen in anderen Staaten nicht auf die deutsche Volkswirtschaft durchschlagen zu lassen. Mit einigen Monaten Verspätung konnte erst die neue Bundesregierung diese Entscheidung treffen. Da die Menschen nicht mehr von der Hand in den Mund leben, dauert es einige Zeit, bis sich diese Aufwertung auswirkt. Die Bundesrepublik ist auf die Einfuhr vom Ausland angewiesen.. Umgekehrt stellt der Export deutscher Industriegüter im Rahmen des Welthandels einen wichtigen Faktor dar. Nach den Verträgen für die sechs Staaten der Europäischen Gemeinschaft gibt es einheitliche Erzeugerpreise für die Landwirtschaft, die in einer europäischen Rechnungseinheit von Sizilien im Süden bis zur deutsch-dänischen Grenze im Norden gelten. Diese Preise sind nicht geändert worden. Durch die Aufwertung der DM bekommt die deutsche Landwirtschaft je nach Produkt zwischen 3 und 8,5 Prozent weniger für ihre Erzeugnisse. Beispielsweise sinken Kartoffeln um 3,4, Schweinefleisch um 6,4, Zuckerrüben um 8,5 Prozent. Als Ersatz für diesen Aufwertungsverlust hat die Bundesregierung den deutschen Bauern jährlich 1,7 Milliarden D-Mark durch Steueränderung und durch Beihilfen zugesichert. Etwa 10 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft gegenüber 90 Prozent in den übrigen Erwerbszweigen. Praktisch kommt also der deutsche Steuerzahler für den Einkommensverlust der Landwirtschaft auf.

Nudelfabriken, Eierhändler oder Schlachthöfe kaufen von jetzt an die Ware billiger. Natürlich ist der Anteil des Rohprodukts am fertigen Erzeugnis unterschiedlich hoch. Im Brot ist verhältnismäßig mehr Korn als in der kompliziert herzustellenden und dementsprechend teueren Buttereremetorte. Außerdem sind und

werden die Lohn- und Gehaltstarife erhöht. Während des Jahres 1969 stieg das Einkommen durchschnittlich um mindestens 10 Prozent. Für die kommenden Monate sind in zahlreichen Branchen weitere Einkommensverbesserungen — das sind ja zugleich Lohnkostensteigerungen — vorgesehen. Sowohl der oft nur kleine Anteil des landwirtschaftlichen Erzeugerpreises als auch der oft große Lohnanteil am fertigen Nahrungsmittel sind zu berücksichtigen.

Durch die Aufwertung der D-Mark verbilligt sich die Einfuhr aus dem Ausland. Aber niemand kann den ausländischen Händler zwingen, diese Preissenkung an seinen deutschen Partner voll weiterzugeben. Außerdem steigen die Preise zur Zeit in den Ländern, die mit Deutschland hauptsächlich Handel treiben, oft stärker als in der Bundesrepublik. Ferner gibt es ja Ernteschwankungen in aller Welt. Beispielsweise ist ein Teil der brasilianischen Kaffee-sträucher in diesem Jahr erfroren. Hochwertiger Weizen wird aus Nordamerika eingeführt. Auch das Rindfleisch kommt nicht nur aus der Bundesrepublik und den fünf Part-nerstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Generell kann man sagen, daß für den westdeutschen Verbraucher eingeführte Nahrungsmittel im Durchschnitt zwischen 2 bis 4 Prozent im Laufe der ersten Monate des Jahres 1970 billiger werden können.

Es ist eine einfache Wahrheit: Wenn der Erzeugerpreis sinkt, muß auch der Endverkaufspreis sinken, oder die Zwischenhändler verdienen mehr als bisher. Aber diese Wahrheit wird kompliziert durch die verschiedenen Anteile, Berechnungen, Vergütungen und Lohnerhöhungen. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände in Bonn hat jetzt vorgerechnet, um wieviel einzelne Nahrungsmittel billiger werden können; aber die Lohnsteigerungen bei Industrie und Handel sind dabei nur zum Teil berücksichtigt. Die Preissenkungen betragen: Zucker 6, Butter 5, Käse 2 bis 5, Fleisch 2 bis 3, Eier 3, Reis 4, Brot 2, Backwaren 1 Prozent. Nicht weniger als ein knappes Drittel der Gesamtausgaben der durchschnittlichen deutschen Familie entfallen auf Nahrungs- und Genußmittel. Nachdem bei Industrie und Handel die Vorräte aus der Zeit vor der D-Mark-Aufwertung verbraucht sind, können die Nahrungsmittelpreise zwischen 1 und 2,5 Prozent im Durchschnitt sinken. Bei einigen Importwaren kann es sicherlich mehr sein. Bei anderen Produkten mit einem hohen Lohnanteil bei der Verarbeitung wird die Rechnung plus minus null aufgehen. Einerseits schimpft der Bürger über Preissteigerungen; anderseits beweisen aber die Meinungsumfragen, daß die Mehrzahl der Verbraucher ohne kritischen Preisvergleich kauft. Vielleicht sitzt das Geld lockerer, weil die Löhne und Gehälter steigen. Vielen Verbrauchern fehlt aber auch die Zeit, die nötig ist, um immer wieder sorgfältig die Preise zu vergleichen. Es ist eine einfache Wahrheit: Der Händler nimmt, was er von seinem Kunden bekommt. Vorteilhaft für die deutschen Verbraucher könnte es sein, daß der Konkurrenzdruck unter den Händlern immer stärker wird. Der Kampf um den Käufer wird dadurch immer härter.

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