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Digital In Arbeit

Lohn der Angst

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Wir ernten nun die Früchte der Ueber-steigerung der Konjunktur. Die Nachfrage nach den Gütern des Elementarhedarfes ist erstaunlich und in kurzer Zeit gewachsen, sind doch so gut wie alle einsatzfähigen Arbeitskräfte heute in Stellung. Viele- Arbeitnehmer arbeiten erheblich mehr als die Normalarbeitszeit, ein Umstand, der zum Leistungsabfall auf der einen Seite und zum Ansteigen der Stückkosten auf der anderen Seite führt. Um die verknappten Güter findet ein Wettbewerb der Kaufwilligen statt. Aus dem Käufermarkt ist wieder da und dort ein Verkäufermarkt geworden. Nicht weil die Gütermengen absolut geringer geworden sind, sondern weil die Kaufkraft stärker gestiegen ist als das Sozialprodukt im Bereich der Konsumgüter.

Je mehr Gesamtbeschäftigung, desto mehr Geld bei den „Massen“, desto höhere Massennachfrage. Und nun müssen wir den Tatbestand der Vollbeschäftigung in der Weise bezahlen, daß bei vielen Gütern sich die Neigung zeigt, im Preis zu steigen. Nicht etwa, weil auch die Weltmarktpreise steigen. Soweit die Preise von international gehandelten Rohstoffen in Bewegung sind, ist es eine unmerkliche Bewegung nach beiden Richtungen, wobei gerade Güter von „mondialer“ Preiswirkung (um einen Ausdruck des großen deutschen Konjunkturtheoretikers Wagemann zu gebrauchen) eher eine absinkende Preistendenz zeigen. Einige Beispiele: Im Zeitraum von ungefähr Juni bis Anfang November sank die Notiz für Chikago-Weizen je Bushel {Redwinter II) von 208.50 auf 20*8.25 (nach einem wellenförmigen Auf und Ab in der Mitte des Vergleichszeitraumes), Weizen (Mischpreis) stieg von 198% auf 205%, Roggen von 96V* auf 973/s, während Mais beträchtlich, und zwar von 143/4 auf 129'A, abgesunken ist, Kakao (Locoware, Bahia) ging von 36.37 auf 31.35 zurück, Zucker blieb nach einigen Schwankungen gleich mit 6.05, Fett (Ioco) hatte einen Kurs von 10.75 und zeigt jetzt eine Notiz von 9.62. Baumwolle — eine preislich sehr empfindliche Ware — ging von 34.65 auf 34.45 zurück. Dagegen stiegen die in ihrem Einfluß auf die Preise der Güter des Massenkonsums weniger bedeutsamen Metalle etwas an: Blei NY von 15.- auf 15.50, Stahl (Knüppel, Pittsburg) von 64.— auf 68.50, Blei (London, 3 Monate) von 98.25 auf 100.25.

Wo im Inland Preise gestiegen sind, ist der Preisanstieg weniger (das heißt nur in Einzelfällen) auf die Bewegung bei den Importpreisen zurückzuführen, sondern hat seine Ursachen:

1. Im Bemühen von einzelnen Unternehmern, das, was sie „Konjunktur“ nennen, bestens auszunutzen, unter stetem Hinweis auf die gestiegenen Kosten.

2. In der Schwierigkeit bei der Beschaffung von Rohstoffen. Wartezeit und längere Transportwege wirken verteuernd.

3. Manche Lohnerhöhungen bei den arbeitsintensiven Betrieben können nicht durch den bereits bestehenden Rohgewinn aufgefangen, sondern müssen auf den Anbotspreis überwälzt werden. Es ist eine Lohnerhöhung, wenn der Anteil des Lohnes an den Selbstkosten 50 Prozent ausmacht, von einer ganz anderen Bedeutung als eine Lohnsteigerung bei einem Anteil des Lohnes von 20 Prozent. Das wird meist bei

den Lohnforderungen, soweit sie global gestellt werden, nicht beachtet. Wie soll etwa ein Friseur eine Lohnerhöhung auffangen oder durch Rationalisierung hereinbringen?

Wenn man aber die Wirkung der Preisbewegung auf die Gesamtheit der durchschnittlichen Lebenshaltungskosten betrachtet, muß man sich der wohlbelegten Annahme des Institutes für Wirtschaftsforschung anschließen, daß die Lebenshaltungskosten in den letzten Monaten nur eine unerhebliche Bewegung zeigen. Das muß man sagen auf die Gefahr hin, der Schönfärberei und des Versuches einer Beruhigung um jeden Preis beschuldigt zu weiden.

Aber gerade in diesen Tagen, da die Preise wie noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik die Bedeutung eines hochpolitischen Phänomens erhalten, erscheint es geboten, festzustellen, daß neben einem (ich wiederhole.) nicht sehr erheblichen Preisanstieg so etwas wie eine Preishysterie ausgebrochen ist.

Diese Preishysterie hat — auch das muß gesagt werden — bei jenen Gruppen, die noch immer Skandallöhne beziehen, ihre durchaus fundierte Begründung, müssen doch Menschen, die (wie manche Angestellte von Kaufhäusern) uncer 1000 S je Monat beziehen, jede auch nur kleine Preissteigerung als eine Gefährdung ihrer ohnedies sehr minimalen Lebensführung betrachten. Es gibt also Skandallöhn e,-deren Bezieher mit Recht die Erhöhung des Preises zum Beispiel von Waschmitteln besonders hart empfinden. Es wäre jenen Unter-nehmervertretern, die bei Preissteigerungen hochmütig entweder das Bestehen eines Preisanstieges ableugnen oder alle Schuld auf die lohnfordernden Arbeitnehmer abwälzen, zu raten, einmal für die Dauer eines Monates den Versuch zu machen, mit jenem Einkommen hauszuhalten, das sie manchem ihrer Dienstnehmer „gewähren“.

Aber daneben besteht eine echte Preishysterie, die unterschiedliche Ursachen hat:

1. Ist von Bedeutung die Bedürfnishysterie. Im Durchschnitt ist die Wohlfahrt der Arbeitnehmer sicher gestiegen. Nun sind aber die Bedürfnisse relativ mehr gestiegen als das Einkommen. Die Folge ist eine nicht trotz, sondern gerade wegen des erhöhten Einkommens erhöhte Unzufriedenheit. So entstehen die meist sachlich in keiner Weise gedeckten Slogans: „Alles wird teurer“, „Das Geld gibt nichts mehr aus“ u. ä. Ich beobachte, weil es zu meinem Beruf gehört, seit zehn Jahren Preisgespräche, aber noch nie habe ich Ausdrücke gehört wie „Alles wird billiger“ oder „Das Geld gibt aus“. Und dies, obwohl wir seit zehn Jahren in einem Prozeß des Wohl-fahrtsanstieges sind, der uns erst bewußt werden würde, wenn wir plötzlich Zustände hätten wie 1945. Wer nun im Monat 1500 S verdient, aber für ein Auto 500 S ausgeben muß (und das geschieht), wird sich viele Dinge nicht leisten können, die lebensnotwendig sind. Dann heißt es eben unter Umständen „Benzin statt Butter“ oder „Autoreparatur statt eines Anzugs“. Wer es nicht verstanden hat, seine Haushaltausgaben in ein richtiges Nacheinander zu bringen, wird bei jeder Steigerung von Preisen besonders berührt und infolge seiner an sich vorhandenen Geldknappheit gerne bereit sein,' auch von Preis-

Steigerungen zu reden, wenn sie nicht vorhanden sind.

2. Gibt es Z e i t u n g e n, die darauf bedacht sind, immer und nur das zu schreiben, was den maximalen Absatz verspricht. Nun ist der Mensch in der Frage der Schmälerung seiner Wohlfahrt besonders empfindlich. Was ist da besser, als auf die erste Seite einen großaufgemachten Artikel über die Preise zu bringen, übergössen mit viel und laut vorgetragener Menschenfreundlichkeit. Daß man da nur die Preissteigerungen nennt, nicht aber die Preis-reduktioncri, wird von der Masse der Leser nicht bemerkt.

3. Ist es nun so, daß die Menschen ein e i n-seitiges Preis gedäch.tnis haben. Man merkt sich wohl Preissteigerungen, nimmt aber Preisreduktionen nicht oder geradezu ungern zur Kenntnis. (Der Mensch ist eben wohl schmerz- aber nicht richtig freudeempfindlich.)

4. Mit wenigen Unterbrechungen hat es ab September stets die Währungsgerüchte gegeben. Vorsorglich. So ließ sich das Weihnachtsgeschäft schon im Oktober gut an. Angstund Vorratskäufe haben die Geldvorräte gelichtet. Die Käufe werden, schenkt man einem Währungsgerücht Glauben, sorgloser vorgenommen. Das Machtgleichgewicht auf den Märkten der typischen Geschenkartikel wird zugunsten der Verkäufer verschoben, die nun da und dort Preise verlangen können, die ganz erheblich über den Normalpreisen liegen. Dieser , Prozeß des Nachgebens der Käufer, die dem Schilling im Oktober weniger Wert beimessen als etwa im August, wird im Dezember nach Zahlung der Weihnachtsremir-.eratiQnen noch verstärkt. Man sehe einmal an, was heute sogenannte „kleine Leute“ für Kind rspielzeug ausgeben.

5. Das, was vor zehn Jahren und auch vor zwanzig Jahren zum Existenzminimum gehört hat, ist nicht mit dem vergleichbar, was man heute — Gott sei Dank! — zum unabweisbaren Bedarf rechnen muß. Schon D. Ricardo hat darauf hingewiesen, daß das Existenzminimum nicht absolut begrenzt ist, sondern von Ort und Zeit abhängt. Nun ist eine Preisbewegung bei Gütern, die einst zum sogenannten Luxusbedarf gehört haben, vielfach heute von Bedeutung für den Massenkonsum. Ein Preisanstieg bei Fleisch (das übrigens noch immer unter dem amtlichen Höchstpreis notiert) wird heute ganz anders empfunden als 1933 und kann sogar — wie in Vorarlberg — Anlaß für einen so gut wie alle Arbeitnehmer umfassenden Warnungsstreik sein. Oft ist es auch so, daß die Preise nicht die bestehende Wohlfahrt gefährden, sondern nur die Teilnahme an der Steigerung des Sozialproduktes, also das „Mit-

machendürfen“. Es entsteht dann das, was der Marxismus eine „relative Verelendung“ nennt, das Zurückbleiben im Konsum gegenüber den sozial vorgeordneten Schichten.

6. Wie stets wird auch diesmal der Blick nur auf die Preise, nicht aber auch auf die ebenfalls angehobenen Löhne gerichtet. Sind zum' Beispiel die Kosten der Lebenshaltung von 600 auf 650 Punkte gestiegen und die Löhne von 590 auf 639, wird im Bewußtsein der „Massen“ (zu denen nun, was den Konsum betrifft, alle gehören, auch die Akademiker und die Unternehmer, soweit sie selbst Konsumenten sind) nur der Preisanstieg bemerkt, nicht aber der Lohn- oder Einkommensanstieg. Obwohl der Abstand zwischen Preisen und Löhnen im Beispiel sich ziffernmäßig nur unmerklich geändert hat. Es wird eben nur der Verlauf der Preiskurve beachtet, nicht aber die Entwicklung des Lebensstandards (der freilich je Mensch ein verschieden hoher ist).

7. Zu allem kommt, daß es besonders „empfindliche“ Güter des Massenkonsums gibt. Dazu gehört etwa die Milch. Man ist eher bereit, für eine Kinokarte im

Cinemascope-Kino 15 S und mehr zu zahlen oder beim Wein für das Viertel 9 S (wie es noch vor Monaten der Fall war), nicht aber bei der Milch um 50 Groschen mehr, wobei oft Menschen in der Frage des Milchpreises engagiert sind, denen man kaum zutrauen kann, daß sie jemals zu den Milchtrinkern aus Passion gehört haben. Weil viele bereit sind, für Luxusgüter relativ hohe Preise zu zahlen, sind sie an niedrigen Preisen bei den klassischen Existenzgütern interessiert.

Reduziert auf die Wirklichkeit, zeigt sich das Preisproblem als eine Frage, die wohl behandelt werden muß, aber keineswegs jenen Lärm rechtfertigt, der allenthalben entstanden ist. Die Gewerkschaftsführer sind in keiner leichten Lage. Das sollten diejenigen zur Kenntnis nehmen, die nun versuchen, alle Schuld auf die Gewerkschaften aufzuladen. Sicherlich ist die Forderung nach einer, “bezogen auf einen Monatslohn, 25prozentigen und einmaligen Lohnzahlung keineswegs geeignet, die Gemüter zu beruhigen. Ob sie untragbar ist, kann nicht allgemein ausgesagt werden, sondern muß je Betrieb entschieden werden. In der Forderung

nach allgemeiner Aushilfe liegt nun, wie in jeder generellen Lohnforderung, eine Gefahr. Ich glaube, daß die Lohnnachzahlung sich in der ungefähren Höhe der Kosten der Autoimporte von 1955 bewegen wird. Die auch gezahlt werden konnten.

Feststeht, daß jede Preis- und Lohnpolitik (vor allem die gewerkschaftliche) nur ein Ziel haben kann: Wohlfahrtssteigerung. Geldlohnerhöhungen sind, wenn ihnen kein Mehr an Gütern entspricht, sinnlos. Politische Löhne sind ebenso sinnlos und daher unsozial. Das sollte bedacht werden.

Wozu noch kommt, daß man annehmen muß, es sei nun an der Zeit, den Konflikt, der beim OeGB-Kongreß ausgebrochen ist, zu bereinigen und an die Dinge mit weniger Ressentiment heranzugehen. Dann wird es möglich sein, den Gerüchte- und auch den Geldschleier zu durchstoßen und die Realitäten zu erkennen. Wenn nicht, dann zahlen beileibe nicht die „Reichen“ die Zeche, sondern die Massen. Dann wäre auch erwiesen, daß man uns zur unrechten Zeit befreit hat.

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