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Immer einerseits-anderseits

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Der Konjunktur auf schwung kommt, aber wann? Daß er kommt, ist das einzige, was sich mit einiger Sicherheit voraussagen läßt.

Die Konjunkturforscher sind vorsichtig geworden. Zu oft haben sie im zu Ende gehenden Jahr ihre Prognosen revidieren müssen — übrigens nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Staaten. Von dem Zuwachs, den sie gegen Ende 1974 für 1975 prophezeiten, wurde von Prognose zu Prognose ein Stück abgeschnitten, bis niemand mehr bestreiten konnte, daß aus dem Zuwachs ein Rückgang geworden war.

Auch für das kommende Jahr wird pflichtschuldigst wieder ein Zuwachs prophezeit — allerdings bei weitem verklausulierter als für dieses Jahr. Man hält sich Rückzugslinien offen, die Prognostiker haben sich besser abgesichert. Werden sie wieder die gleiche Salamitaktik wie heuer betreiben müssen?

Studiert man die Konjunkturprognosen, so erkennt man, daß dort zwar vordergründig in Optimismus gemacht wird — gerade genug, um den Zeitungen positive Schlagzeilen zu liefern —, daß es aber nicht an Zusätzen fehlt, denenzufolge es auch anders kommen könnte. Der Tenor lautet: „einerseits — anderseits“.

• Einerseits stieg die österreichische Industrieproduktion von August bis September — saisonmäßig und ar-beitstägig bereinigt — um 3,5 Prozent. Allerdings haben die Betriebe im Sommer die Betriebsurlaube verlängert und hatten daher manches aufzuarbeiten, aber das dürfte — behaupten die Konjunkturforscher — nicht so viel gewesen sein, um einen Anstieg der Produktion in diesem Ausmaß zu erklären. Also ein positiver Faktor.

• Anderseits war die Industrieproduktion — ohne Energie — noch immer generell um 5 Prozent geringer als im gleichen Vorjahresmonat, pro Arbeitstag sogar um 9 Prozent. Also ein negativer Faktor.

• Einerseits hat sich bei den Auftragsbeständen der Industrie die Situation gebessert. Lagen sie — ohne Maschinen — im August noch um 19 Prozent unter dem Vorjahresniveau, so im September nur noch um 13,5 Prozent. Die Auftragseingänge waren nämlich in diesem Monat zum ersten Male seit Februar höher als im Vorjahr, nämlich um 5,5 Prozent.

• Anderseits ist dieser Anstieg der Auftragseingänge nur nominell. 5,5 Prozent sind weniger als die Inflationsrate. Real sind auch die Auftragseingänge noch immer rückläufig.

• Einerseits sind aber die Auftragseingänge aus dem Ausland auch real gestiegen — im September um nominell 11 Prozent, was doch nicht unbeträchtlich mehr als die Inflationsrate ist. Die internationale Konjunktur scheint sich also zu bessern, und Österreich dürfte den Ansshluß gefunden haben.

• Anderseits besagen die internationalen Konjunkturberichte, daß eine Erholung bisher nur in den USA und in Japan zu registrieren ist, wobei speziell diejenige in Amerika gerade in letzter Zeit von der New Yorker Börse- mit zunehmender Skepsis beurteilt wird. Di'e Aussagen über die Bundesrepublik Deutschland sind kontroversiell, und in den übrigen westlichen Industriestaaten fehlen noch Indizien für einen Aufschwung.

Auch von den Oststaaten sind keine Konjunkturimpulse zu erwarten. Die sowjetische Wirtschaft etwa verzeichnet für dieses Jahr den geringsten Zuwachs seit ungefähr zehn Jahren. Sie ist nur an Bezügen von Investitionsgütern aus dem Westen zu schlechten Preisen, finanziert mit langfristigen Krediten zu lächerlich niedrigen, weit unter der Inflationsrate liegenden Zinssätzen interessiert. Viele Nationalökonomen vertreten daher die Ansicht, der Staat sollte lieber keine Steuergelder — denn nur durch Subventionen kann den östlichen Konditionswünschen entsprochen werden — in solch dubiose Ostgeschäfte stecken, sondern mit den dafür eventuell bereitgestellten Summen die darniederliegenden Investitionen im Inland anzukurbeln versuchen.

• Einerseits wird die Konjunktur im Inland durch das Bundesbudget und den wieder etwas stärker zunehmenden privaten Konsum gestützt.

• Anderseits ist der Fiskus bis über die Ohren verschuldet und wird, wenn nicht bald externe Konjunkturimpulse kommen, die Wirtschaftsankurbelung via Budget — sofern sie überhaupt stattfindet und nicht bloß als Alibi für die gigantische Staatsverschuldung vorgeschützt wird — nicht mehr lang durchhalten können.

Die leichte Konsumkonjunktur wiederum basiert möglicherweise auf einem Vorziehen von Anschaffungen, da viele Konsumenten den Inflationsstoß per 1. Jänner 1976 infolge diverser Steuer- und Gebührenerhöhungen fürchten. Darüber hinaus zeichnet sich noch keine Investitionskonjunktur ab und die Ansichten der Wirtschafttreibenden über den Geschäftsverlauf im kommenden Jahr sind laut Konjunkturtest eher pessimistisch — was der Investitionsfreude sicherlich nicht förderlich ist.

• Einerseits hatten wir mit einer Arbeitslosenrate von 2,2 Prozent Ende Oktober noch immer eine der niedrigsten Raten unter den westlichen Industriestaaten.

• Anderseits haben wir auch besonders geringe Erfolge bei der Inflationsbekämpfung und sind aus dem unteren Bereich der Geldentwertung, in dem wir uns traditionellerweise befunden haben, während der letzten Monate in den mittleren hin-aufgerutscht.

Außerdem hat sich, auf Österreich bezogen, die Arbeitslosensituation sehr verschlechtert. Die Zahl der vorgemerkten Arbeitslosen war im Oktober um 19 Prozent höher als im Vergleichsmonat des Vorjahrs — und dies, obwohl sich um 17,5 Prozent weniger Gastarbeiter im österreichischen Bundesgebiet befanden als ein Jahr vorher. Auch hier ist also — wie bei der Inflation — ein negativer Anstieg zu verzeichnen.

Außerdem gibt es in Österreich noch eine latente Arbeitslosigkeit, da viele Betriebe Entlassungen so lange wie möglich hinausschieben und das Personal auch dann noch weitgehend behalten, wenn sie es im Produktionsbetrieb nur noch teilweise einsetzen können. Desgleichen ist nach wie vor ein hoher Stand an Kurzarbeit zu verzeichnen.

• Einerseits sind die Löhne weiterhin stärker gestiegen als die Preise — und dies bereits vor Inkrafttreten der Erhöhungen in der nun anlaufenden Lohnrunde. Einer Inflationsrate um zirka 8 Prozent stehen Tariflohnerhöhungen um ungefähr 13 Prozent gegenüber, womit die Benya-Forderung nach 3 Prozent Reallohnerhöhung neuerlich überboten zu sein scheint. Die Effektivverdienste in der Industrie nahmen sogar um rund 16 Prozent zu.

• Anderseits steigen die Arbeitskosten in der Wirtschaft geradezu explosiv. Sie haben in einem Jahr um rund 25 Prozent zugenommen und sind, zusammen mit anderen Fixkosten (Kreditrückzahlungsraten,Vermögensteuer usw.), für die Betriebe infolge der ungenügenden Ertragssituation eine schwere Belastung.

In der Eisen- und Metallwarenindustrie wurde ausgerechnet, daß eine weitere zusätzliche Lohnbelastung von nur 5 Prozent nicht weniger als 52 Prozent der Firmen dieser Branche in die roten Zahlen abrutschen lassen würde. Bei aller Vorsicht, die solchen Berechnungen entgegengebracht werden muß, sind sie doch ein Alarmzeichen. Selbst wenn nur die Hälfte davon stimmte, würde es schon schlimm genug sein.

Die negativen Effekte auf die Beschäftigung werden bei Fortsetzung der bisherigen Lohnpolitik nicht lange auf sich warten lassen. Hoffentlich passiert Österreich mit der Arbeitslosenrate nicht das gleiche wie mit der Inflationsrate, nämlich, daß wir von unserem traditionellen Platz im untersten Bereich in das Mittelfeld und womöglich noch höher hinaufrutschen.

Vor allem aber müssen sich die Wirtschaftspolitiker darüber klar werden, daß man eine länger andauernde Rezession unmöglich mit budgetären Mitteln bekämpfen kann, speziell dann nicht, wenn der Etat so verschuldet ist wie der österreichische. Darüber hinaus sind die staatlichen Defizitausgaben zusammen mit den Lohnforderungen gegenwärtig die potentesten Inflationsmotoren.

Nun dominiert in der österreichischen offiziellen Wirtschaftspolitik noch immer die Ansicht, man könne Arbeitlosigkeit mit Inflation bekämpfen. Erst vor kurzem warnte — neben vielen anderen — auch der bekannte Schweizer Nationalökonom Francesco Kneschaurek bei einem Vortrag in Wien eindringlich vor dieser Anschauung: Ein Staat, der glaubt, daß er über der Arbeitsplatzbeschaffungspolitik die Inflationsbekämpfung vergessen dürfe, wird schließlich beides haben — Arbeitslosigkeit und Inflation. Ein Blick auf die Situation in jenen Staaten, die es bereits bisher mit besonderem Nachdruck eine derartige Politik verfolgt haben, beweise das zur Genüge.

Das sind die Fakten. Welche Konsequenzen sich daraus für die Konjunktur im kommenden Jahr ergeben, mag jeder selbst entscheiden. Sicherlich, die große Unbekannte ist die internationale Konjunktur. Der Aufschwung kommt bestimmt — aber wird dies schon im bevorstehenden neuen Jahr der Fall sein?

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