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Kommt eine Weltkrise?

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Das österreichische, wenn nicht das gesamte europäische Denken war nach 1918 und vor allem nach 1929 vom Bewußtsein des Bestehens einer Dauerkrise bestimmt. War die Krise vor 1938/39 vor allem eine Unterbeschäftigungsund damit auch eine Unterkonsumtionskrise, so stellt sich die Krise der ersten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg als eine Unterversorgungskrise dar, die in ihrer Art nicht aus der Natur der Erwerbswirtschaft heraus, sondern von außen her bestimmt war.

Jedenfalls ist unsere Generation durch einige Jahrzehnte aus einem Denken in Mangel und Sorge nicht herausgekommen. Seit einigen Jahren aber befinden sich die „Massen“ jenseits von Not in klassischem Sinn und von Arbeitslosigkeit. An die Stelle des Krisenbewußtseins ist i vielfach ein Wohlfahrtsbewußtseih getreten.

I.

Nun mehren sich aber neuerdings wieder Krisenzeichen in der amerikanischen Wirtschaft. Da die Wirtschaft der entwickelten nichtkommunistischen Staaten weitgehend von den USA abhängig ist, müssen wir wohl oder übel die Krisenzeichen in den USA beachten und Mittel zur Behebung allfälliger Krisen in Oesterreich erwägen.

Die psychologische Situation ist

heute anders als etwa 1929. Damals waren die Massen ari niedere Löhne und an den Kampf um den Arbeitsplatz gewöhnt. Heute, da die Arbeiter, wie vor allem die Jungen, in der Gewißheit einer Dauerprosperität leben, würde ein Abbruch der gegebenen Versorgungs- und Beschäftigungsstruktur unübersehbare politische, weltpolitische Folgen haben und Randschichten in kürzester Zeit für Radikalismen aller Art anfällig machen, um so mehr, als eine konservative Kernschichte fehlt und die Menschen in der Mehrheit bereits auf den Konsum hin fixiert sind.

Die ökonomische Situation — wieder die USA als repräsentativ für die westliche Welt angenommen — ist ebenfalls eine andere als zur Zeit des Ausbruchs der letzten Weltwirtschaftskrise: Einerseits befinden w.ir uns in vielen Herstellungs- und Dienstleistungszweigen in einer Ueberkonjunktur, in einer Periode der Ausnutzung über die Kapazitätsgrenzen hinaus, was nur durch die Heranziehung der letzten Arbeitskraftreserven möglich ist. Schon die Rückführung der übersteigerten Konjunktur auf eine Hochkonjunktur erweckt aber den Anschein einer Krise. Anderseits zeigen sich die Krisenzeichen zu einem Zeitpunkt, da militärische Entwicklungen und solche aus dem Lebensgesetz des Technischen die Grundlagenforschung zu Anstrengungen zwingen, um die neuesten, meist nur im Modell erprobten Fertigungstechniken massenweise anzuwenden und die neuartigen Materialien sowohl für Zwecke der Rüstung wie für den zivilen Konsum herzustellen.

Jedenfalls bildet sich die Lieberkonjunktur in den USA derzeit zurück: die Ueberkapazitäten werden abgebaut, insbesondere bei den Investitionen. Während die ideale Ausnutzungsquote der Betriebe im gewogenen Durchschnitt bei etwa 90 Prozent liegt, haben bisher gewisse L'nternehmungen durch neue Schichten und Ueberstunden mit einer Kapazitätsnutzung von mehr als 100 Prozent gearbeitet. Nun scheint die amerikanische Ueberkonjunktur überzugehen in die Hochkonjunktur, also die langdauernde Ausnutzung der Kapazitäten bis zur Optimalgrenze. Arbeitskräfte, die nur in der Ueberkonjunktur Beschäftigung finden können, werden dabei aus dem Produktionsprozeß wieder ausgegliedert, zählen aber nunmehr in der Statistik gleich wie jene Arbeitnehmer die auch bei einer normalen Beschäftigung engagiert werden. Dadurch, daß Massen — in den USA scheint es sich um mehr

als eine Million zu handeln — nunmehr ein verkürztes Einkommen haben, weil sie arbeitslos sind oder weil sie nicht mehr in der gleich guten Arbeitskraftanbotssituation sind — kommt es zu allgemeinen, obwohl relativ keineswegs bedeutenden Nachfragekürzungen.

Zur psychologischen und ökonomischen Situation kommt noch hinzu, daß wir uns jetzt in der Periode eines Neomerkantilismus befinden und daß der Staat erheblich mehr als früher in der Lage ist, von oben her und in geringerer Risikobefangenheit als die private Wirtschaft mittels eigener Unternehmungen und insbesondere über das Budget auf den Konjunkturverlauf Einfluß zu nehmen.

Das Auf und Ab, die Wandlung der Nachfrage, gehört zum Wesen jeder Wirtschaft. Nur Romantiker können sich das Bild einer starren Wirtschaftsstruktur vorstellen, in der Preise und alle anderen Daten der Wirtschaft bewegungslos auf einer bestimmten Höhe beharren. Es ist noch nicht klar, ob die Entsprechungsstörungen in der Wirtschaft der USA eine „milde Rezession“ sind, wie 1949/50 und 1953/54, oder ob es sich tatsächlich um eine Krise handelt. Jedenfalls ist die gerade in der Periode der Abwertungsangst vollzogene Senkung des Diskontsatzes der us-amerikanischen Federal Reserve Banken von 3,5 auf 3 Prozent ein Hinweis darauf, daß man das Geld verbilligen und auf diese Weise Investitionen anregen will.

Der Umstand, daß erst im Lauf des Jahres 1957 Schwächetendenzen in der USA-Wirtschaft sichtbar geworde.i sind, vermindert den Aussagewert von Ziffern des Jahres 1 9 5 7, wollte man sie mit Ziffern anderer Perioden vergleichen.

Die Beschäftigungslage in den USA ist dadurch gekennzeichnet, daß im Dezember 1957 die Zahl der Arbeitslosen 3,700.000 betrug, um 1,200.000 mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Die Novemberarbeitslosigkeit war die höchste des Monats November seit 1949. Freilich muß man von den absoluten Ziffern auch auf die Relativziffern sehen und beachten, daß es in den USA etwa 65 Millionen Erwerbsfähige gibt. Auch die Produktivität ist in den USA um fünf Punkte auf 142 gegenüber Dezember 1946 zurückgegangen (1949/50 = 100).

Bei den Preisen zeigt sich wie auf den meisten Weltmärkten eine Baissetendenz. Die Preise der Rohstoffe sind nach den Indices von Moody und Reuter gegenüber 1956 um 11 bis 16 Prozent gefallen. Dä die Vorräte an strategischen Rohstoffen ausreichend zu sein scheinen, ist nicht

zu erwarten, daß eine strategische Disposition die Preise demnächst erheblich zu steigern vermag. Wie die Preise der Rohstoffe, sinken auch die Frachtraten, vor allem, weil auch nach der Suezkrise infolge der starken Nachfrage nach großräumigen Schiffen das Anbot an Frachtraum erheblich zunahm. Während auf der einen Seite ein unverkennbarer Preisdruck besteht, steigen auf der anderen Seite die Kosten, ein Umstand, der auf Dauer die Baissetendenzen liquidieren kann.

Was die Erzeugung betrifft, weisen die Stahlwerke einen beachtenswerten Rückgang ihrer Kapazitätsausnutzung auf, die im November 1957 nur noch 69,7 Prozent (gegenüber 102,4 Prozent im Vergleichsmonat des Vorjahres) betrug. Der Versuch, die fehlende Nachfrage auf den Binnenmärkten durch Exporte zum Teil wettzumachen, führt wieder dazu, daß zum Beispiel die Exporte bundesdeutscher Walzwerkserzeugnisse nach Ländern außerhalb der Montanunion um 20 Prozent zurückgingen. Dagegen machte sich 1957 bei der Erzeugung von Autos nicht der erwartete Produktionsrückgang bemerkbar. Im Gegenteil. Die Produktion und der Absatz „zweiter“ Wagen stieg sogar. Freilich nur 1957. Der Absatz der Modelle 1958 läßt bereits zu wünschen übrig. Die Bauindustrie als eine Basisindustrie ist weiterhin gut beschäftigt. Die Nachfrage beim Einzelhandel zeigt in den Warenhäusern einen Rückgang von 134 Punkten (1947 bis 1949 = 100) auf 121 im Oktober 1957. Das Weihnachtsgeschäft war bereits relativ schwach. Die Exporte us-amerikanischer Waren

haben nachgelassen, weil den Importländern die Devisen mangeln.

Das wirtschaftliche Wachstum der Wirtschaft der USA, ausgewiesen u. 'a. im Sozialprodukt wie in der Kapazität der Betriebe des Landes, ist trotz aller Voraussagen auch im Jahre 1957 nicht unterbrochen worden. Lediglich die Zuwachsrente ist kleiner geworden.

III.

Bei der Voraussage über die Entwicklung der USA-Wirtschaft vermengen sich Ressentiments und Berufsoptimismus mit dem Pessimismus derer, die davon ausgehen, daß sein muß, was sein soll. Die Pessimisten erfahren Unterstützung durch eine Vorhersage des bekannten Konjunkturtheoretikers Lewis B a s s i e, der glaub* die Krise werde sich in Richtung auf eine fangdauernde Depression hin entwickeln.

Gegen die düsteren Prognosen spricht, daß, wie erwähnt, unvermeidbat neue Fertigungstechniken eingeführt und Neustoffe entwickelt werden müssen, ein Umstand, von dem aus man

auf große künftige Investitionen schließen kann. Im Jahre 1929 war das anders. Damals war nicht jene Dynamik merkbar wie jetzt, jener Sprung von der Erzeugungsweise der ersten in die der zweiten industriellen Revolution. Vielfach erwartet man von den Rüstungsaufträgen eine Anstoßwirkung. Vielleicht zu Unrecht. In Ueberschätzung der Quote der Erzeugung für den zivilen Sektor hat man übersehen, daß allein in den USA im Jahre 1957 achtmal mehr Güter des zivilen Bedarfes hergestellt wurden als des militärischen. Jedenfalls hofft man, daß von den 18 Milliarden Rüstungsaufträgen, die man für 1958 erwartet (1957: 12 Milliarden), eine Anstoßwirkung, zumindest aber eine kom-

pensatorische Wirkung auf die Wirtschaft ausgehen wird.

In der Investitionsgüterindustrie muß man mit einem verringerten Auftragsstand rechnen. Nach 1945 wurden in den USA Investitionen mit einem Kostenpreis von etwa 270 Milliarden vorgenommen, was zu einer Kapazitätssteigerung von 72 Prozent führte. Für 1958 werden, nach den bisherigen Umfragen zu schließen, Investitionen fy 36 Milliarden geplant, um 7 Prozent weniger als 1957 (39 Milliarden). Die Industrie reduziert ihre Investitionen sogar um 16 Prozent. Die Produktivität wird für 195 8 mit 141 Punkten angenommen (1957: 143). Der erwartete persönliche Konsum wird ungefähr repräsentiert durch den erwarteten Autoabsatz, der auf 5,3 Millionen (1957 etwa 5,8 Millionen) geschätzt wird.

Wesen Ist. Die Wirtschafts- und die Währungspolitik sind erheblich elastischer als ehedem. Was in den USA merkbar ist, mufl sich daher nicht geradlinig nach Oesterreich fortpflanzen. Jedenfalls läßt die bedachte Kombination von Privatinitiative und staatlichen Mitteln gewisse Krisenerscheinungen bei uns noch nicht so auftreten wie in anderen Ländern. Das soll nicht heißen, daß Oesterreich eine Insel der Seligen sein kann. Schon gar nicht, wenn wir seine Exportabhängigkeit bedenken. Anderseits ist die Entwicklung der internationalen Wirtschaft jener Oesterreichs nicht direkt proportional. In weiser Voraussicht hat man bei uns jedenfalls erhebliche Budgetmittel (5,7 Milliarden) bereitgestellt, um Beschäftigungslücken durch öffentliche Aufträge

zu kompensieren. Die Exportfähigkeit der österreichischen Wirtschaft wird nachhaltig durch die Produktivität gefördert, die in den ersten drei Quartalen 1957 um 4,8 Prozent anstieg, während die Beschäftigung nur um 0,6 Prozent zunahm. Die Lohnbewegungen blieben zudem in den Grenzen der Produktivitätssteigerung. Der österreichische Fremdenverkehr brachte neuerlich größere Einnahmen als im Vorjahr, sogar in der toten Saison. Das Sozialprodukt ist weiter gestiegen. Ebenso brachte der Export insgesamt größere Erlöse. Aehnlich günstig lauten die Notenbankausweise des Jahresultimos 1956 und 1957. Der Gold- und Devisenschatz betrug zum Jahresende mehr als 13 Milliarden Schilling. Der Goldfonds ist gegenüber dem Vorjahr um 51 Prozent, der Devisenschatz um 17 Prozent

gestiegen, der Banknotenumlauf dagegen nur um 8 Prozent und der Gesamtumlauf (Notenumlauf einschließlich der sofort fälligen Guthaben) um 10 Prozent.

Allen Prognosen von sklaven- und ausländerseligen Oesterreichern zum Trotz zeigt sich also die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft erfreulich stabil. Trotzdem werden wir wahrscheinlich gewisse Folgen der internationalen Entwicklungen zu spüren bekommen. Daher täte uns jetzt ein wehig Krisenbewußtsein und Krisenabwehrbereitschaft ganz gut, das Gefühl, daß es keine Pragmatisierung im Wohlstand gibt, sondern daß die Gütererzeugung trotz aller „Automatisierung“ ständig auch der Anstoßwirkung menschlicher Initiative und planender Vorsorge bedarf.

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