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Abschied vom Boom

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Die Erfolgsräder unserer Wirtschaft laufen langsamer, in manchen Branchen stehen sie still. Ein Gefühl des Schon-einmal-erlebt-Habens ist spürbar. Seihst in Regierungskreisen hat der Glaube an eine Eigengesetzlichkeit der wirtschaftlichen Dynamik nachgelassen.

Dabei ahnte man schon dm Sommer dieses Jahres, daß es mit dem langanhaltenden konjunkturellen Boom bald zu Ende gehen werde. Einzelne Branchen — etwa die Bauwirtschaft — klagten über eine rückläufige Auftragslage, die Fremdenverkehrswirtschaft erfuhr einen Rückgang an Übernachtungen, vor allem aus jenen Ländern, deren Währungen gegenüber dem Schilling abgewertet wurden. Doch all diese pessimistischen Lageberichte waren von der Hoffnung getragen, daß sich branchenweise Flauten nicht zu einem größeren Konjunktureinbruch ausweiten werden.

Dann kam der ölboykott der arabischen Staaten — die Angst vor einem Energiemangel — und gebar fast eine gewisse Untergangsstim-mung. Man erinnerte sich an die fernen Zeiten des „einfachen Lebens“ ohne Auto und ohne elektrische Zahnbürste, seltsame Zusammenhänge zwischen einem Abflachen der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Energiemangel wurden erkannt, das Wort,.Krise“ geflügelt, die Zukunftsangst wuchs. ,

Richtig an allem ist, daß die noch im Oktober 1973 verbreiteten Prognosen für das Jahr 1974 nicht mehr ganz stimmen. Es heißt heute, vom Boom Abschied zu nehmen: unsere Wirtschaft wird im kommenden Jahr bestimmt nicht um 4,5 Prozent real wachsen, und wenn die Inflationsrate, wie angekündigt, tatsächlich die 7,5-Marke nicht übersteigt, dann haben wir großes Glück gehabt

Der offenkundig gewordene Energiemangel ist indes kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem mit gesamtwirtschaftlichen Folgen. Zunächst betreffen diese Folgen die Preise. Denn die Verknappung des Heizöls bedeutet, daß ein Energierohstoff teurer wird und daß damit die Produktionskosten anziehen. Wer im Zusammenhang mit notwendig gewordenen Preiserhöhungen behauptet, daß dies ein Beweis für das Versagen des marktwirtschaftlichen Systems sei, dessen Blick für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge ist getrübt. Zwischen 1960 und 1971 waren die Preise für Industriegüter doch merklich stabil. In der Vergangenheit war der Rohstoffmarkt ein Markt, auf dem die Käufer die Preise diktierten. Nun hat sich das Bild stark gewandelt, aus dem Käufermarkt wurde ein Verkäufermarkt. Dieser Wandel ist auch ein Beweis für die Anpassungsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems an geänderte weit- und gesellschaftspolitische Bedingungen, die etwa in einem neuen Selbstverständnis der Staaten der „Dritten Welt“ zum Ausdruck kommen.

Vor schwierige Aufgaben ist in dieser Situation die Konjunkturpolitik in Österreich gestellt. Sicher scheint, daß die Fortsetzung einer expansiven Budgetpolitik nicht geeignet ist, unsere wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Vernünftiger wäre es dagegen, die Zinskostenlast um der Stabilität willen zu vermindern. So könnten Nationalbank und Bundesregierung die Preissituation jetzt dadurch günstig beeinflussen, daß sie den steigenden Energiekosten sinkende Geld- und Kapitalkosten entgegensetzen. Angesichts der gedämpften

Erwartungen weiter Kreise unsere] Wirtschaft würde ein leichtes Lösel der geldpolitischen Fesseln sicherlich nicht zu einer Kreditexplosioi führen. Es wäre hoch an der Zeit daß die Regierung ihre jüngst diktierte „Phase III“ der Stabilitätspolitik unter der Berücksichtigung diese] Gesichtspunkte nochmals überdenk und dann revidiert.

Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung könnte ihre Sternstundf erleben, wenn sie nun alle ihre Möglichkeiten ausspielte und auf di< Lohnverhandlungen mäßigend einwirken würde. In seiner Rede voi der Paritätischen Kommission lief Bundeskanzler Kreisky Regierungsbereitschaft in dieser Richtung erkennen. Jedenfalls scheint es notwendig, Lohnverhandlungen so lange zu suspendieren, bis Klarheit übe] die Auswirkungen des offenkundig gewordenen Energiemangels besteht Denn es scheint unmöglich, da; Lohnvolumen um 15 Prozent auszuweiten und gleichzeitig außerordentliche Anstrengungen zu finanzieren wie sie zur langfristigen Lösung dei Energiekrise vor uns liegen. Es isl anzunehmen, daß der Gewerkschaftsbund schon erkannt hat, da£ in der gegenwärtigen Situation — und zwar trotz hoher Inflationsrater —, eine explosive Lohnpolitik fih die Arbeitnehmer nur kurzfristig Vorteile bringen würde, langfristig aber die Arbeitsplätze gefährdet Der Gewerkschaftsbund müßte nui aus dieser Einsicht Konsequenzen für seine Politik ziehen. Hier wird der Akt der Selbstdisziplin zum Akl der Selbsterhaltung.

Da es für die österreichische Wirtschaft heißt, vom Boom Abschied zu nehmen, ist doch auch vor einer Un-tergangsstimmunig zu warnen. Unsere Wirtschaft hat die Rezession 1967 recht gut überstanden. Damal6 fiel der Export als Konjunkturmotor aus, das dürfte sich auch in der nächsten Rezession wiederholen. Die Stützen des Plus-Wachstums unserer Wirtschaft waren vor sieben Jahren die Landwirtschaft, die Energiewirtschaft und der Fremdenverkehr. Sie sollten auch in der nächsten Rezession Tragpfeiler eines, wenn auch langsameren, Wachstums sein. In Rezessionen erweist sich die Landwirtschaft in der Regel als stabil; da Österreich auf dem Rohstoffsektor autarker jedenfalls als seine europäischen Nachbarstaaten ist, könnten sich die Reflationen auch in der kommenden Rezession weiter zugunsten Österreichs verschieben. Und der Fremdenverkehr dürfte nur kurzfristig unter argen Störungen zu leiden haben; mittelfristig ist jetzt eine Anpassung des Tourismus an geänderte Transportbedingungen zu erwarten. Es ist ohne weiteres möglich, daß die europäischen Urlauber in der nächsten Zeit Einsparungen bei den Reise-, nicht aber bei den Aufenthaltskosten vornehmen werden. Eine solche absehbare Entwicklung aber würde den österreichischen Fremdenverkehr (ebenso wie etwa den der Schweiz) begünstigen. Zuletzt aber ist zu berücksichtigen, daß unser Land im westeuropäischen Vergleich keine bedeutenden Industrien hat, die in der Regel die Hauptopfer einer Konjunkturflaute sind. Das kostete uns im Aufschwung und in der Hochkonjunktur Wachstumsgewinne, drückt allerdings auch in Abschwungs- und Flautephasen die Wachstumsverluste. Das alles macht zwar den Abschied von einem langen Boom nicht minder schmerzlich, müßte aber den Abschiedsschmerz in erträglichen Grenzen halten.

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