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Wie schnell? Wie zerbrechlich?

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Während die Volkswirtschaften der westlichen Staaten 1973/74 ziemlich gleichzeitig in eine rezessionäre Phase schlitterten — Österreich, das die Rezession erst jetzt zu spüren bekommt, dürfte eine Ausnahme sein —, ist der Erholungstrend von Land zu Land völlig unterschiedlich. Die Vereinigten Staaten, deren Wirtschaft schon gegen Ende 1973 die ersten Zeichen einer Konjunkturabschwächung zeigte, scheinen eines der ersten Länder der freien Welt zu sein, in denen der Erholungsprozeß sich schon abzuzeichnen beginnt. — Wieder einmal hat sich die New Yorker Börse als richtiger Prognosensteiler erwiesen, als sie schon vor sechs Monaten den Gesundungstrend der Wirtschaft durch steil ansteigende Kurse vorankündigte.

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Während die Volkswirtschaften der westlichen Staaten 1973/74 ziemlich gleichzeitig in eine rezessionäre Phase schlitterten — Österreich, das die Rezession erst jetzt zu spüren bekommt, dürfte eine Ausnahme sein —, ist der Erholungstrend von Land zu Land völlig unterschiedlich. Die Vereinigten Staaten, deren Wirtschaft schon gegen Ende 1973 die ersten Zeichen einer Konjunkturabschwächung zeigte, scheinen eines der ersten Länder der freien Welt zu sein, in denen der Erholungsprozeß sich schon abzuzeichnen beginnt. — Wieder einmal hat sich die New Yorker Börse als richtiger Prognosensteiler erwiesen, als sie schon vor sechs Monaten den Gesundungstrend der Wirtschaft durch steil ansteigende Kurse vorankündigte.

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Was jedoch noch offen ist — während die meisten Wirtschaftsindikatoren nach oben weisen —, ist der Grad und das Tempo der Erholung. Es ist umstritten, ob sich die amerikanische Wirtschaft in einem V-förmigen steilen Aufstieg befindet oder auf einer leicht ansteigenden, flach verlaufenden Talsohle. Zur Zeit sprechen eigentlich alle Anzeigen für die zweite Alternative — bloß massive Injektionen könnten diesen Trend in einen hektischen Aufschwung verwandeln.

Welches sind nun die Anzeichen des US-Aufstiegs? Beginnen wir mit den Beschäftigungsziffern — jenem Bereiche, der am meisten umstritten ist. Noch ist die Arbeitslosigkeit auf dem sehr hohen Stand von über 9 Prozent — im April hat jedoch zum erstenmal seit sieben Monaten die Zahl der Beschäftigungen zugenommen. Trotzdem erwartet man bloß ein sehr langsames Sinken der Arbeitslosenzahl — im nächsten Jahr um 1 bis 2 Prozent auf etwa 8 Prozent, oder leicht darunter, und viele politische Analytiker sind der Auffassung, daß Präsident Ford angesichts eines so hohen Arbeitslosenstandes wenig Chancen für eine Wiederwahl habe. Um diesen überaus teuren Preis einer Rekordarbeitslosigkeit hat die amerikanische Wirtschaft jedoch eine gewaltige Senkung ihrer Inflationsrate „eingehandelt“ — und in den Augen der Regierung ist das die wesentliche Leistung, das primäre Anliegen. Denn Arbeitslosigkeit entsteht durch unkontrollierte Inflation. Legt man den Preisindex der ersten vier Monate dieses Jahres einem Jahresdurchschnitt für 1975 zugrunde, so ergibt sich eine Inflationsrate von 4 bis 5 Prozent.

Da aber erfahrungsgemäß im Sommer immer neue Auftriebstendenzen auftreten, dürften die Prognosen von 6 bis 7 Prozent den Realitäten dieses Jahres nahekommen. Natürlich entstanden diese Ziffern ohne Rücksichtnahme auf weitere Rohölpreis-

Steigerungen, welche die OPEC-Staaten für den Herbst ankündigen. Sie enthalten jedoch bereits geringfügig höhere Energiepreise, die die amerikanische Regierung zwecks Konsumdrosselung herbeiführen möchte. Wir erleben also einen Inflationssturz um etwa die Hälfte der Rate von 1973/74,, ein Ergebnis, das der amerikanischen Handelsbilanz bereits zugute kommt und den Dollar gegenüber Währungen von Exportnationen aufwerten muß, die immer größeren Schwierigkeiten mit ihrem Absatz begegnen (wie zum Beispiel Österreich).

Andere Indikationen des Aufschwungs: Zunahme der Einkommensziffern (Realeinkommen) um etwa 10 Prozent als Folge einer Mischung von Lohn- und Gehaltserhöhungen mit Steuerrabatten für jeden Bürger.

Wichtig ist ferner, daß sich die Lager der Industrie und des Handels zu lichten beginnen — immer ein sicheres Anzeigen für eine bevorstehende Erholung. Dementsprechend kann man auch ein Ansteigen der Detailumsätze feststellen. Zwar in den Schlüsselbereichen der Bauwirtschaft und dem Automobilhandel erst ganz rudimentär, aber in der Elektrobranche (TV-Apparate) ist das Anziehen bereits deutlich zu verzeichnen. Nur sehr langsam verbessert sich die Neigung zu Investitionen im Bereich der Industrie und des Handels. Hier mangelt es noch an dem sonst unbändigen Vertrauensvorschuß für die Zukunft. Diesmal sitzt die Angst doch tiefer — ist sie doch auch beeinflußt von immer häufiger vorgetragenen Verstaatlichungsideen im politisch-parlamentarischen Bereich. Wenn im Kongreß Vorschläge ventiliert werden, den Ölimport zu verstaatlichen, so sind das für den Industriellen, der vor'der Entscheidung steht, bedeutende Eigenkapitalien zu investieren oder Kredite aufzunehmen, bedrohliche Symptome, auch wenn Präsident Ford erst kürzlich für die Privatisierung des Ausbaues der Kernkraftindustrie eingetreten ist.

Ebenso „ungemütlich“ ist die erbitterte Diskussion darüber, ob jetzt noch die Konjunktur angeheizt werden soll, um die Arbeitslosigkeit schneller zu reduzieren, oder ob die Erholung bei ihrem langsamen, flachen Trend zu belassen sei. Daß diese Frage vor und in einem Wahljahr politischen Sprengstoff enthält, ist klar. Viele politische Experten glauben, daß Ford nur dann Aussicht auf Bestätigung durch die Wahl hat, wenn 1976 ein deutlicher Wirtschaftsaufschwung zu verspüren ist. Die

Frage ist nur, wie deutlich dieser Aufschwung fühlbar sein müßte. Nimmt das Tempo der Erholung im ersten Quartal 1976 nicht erheblich zu, so wird es während des Wahlkampfes noch 8 Prozent Arbeitslose geben. Und das dürfte politisch eine schwere Belastung für die Regierung sein.

Umso bemerkenswerter ist es, daß Präsident Ford angesichts dieser Lage keineswegs im Lager der „An-kurbler“ steht. Nicht nur hat er verschiedene von den Demokraten angeregte „Belebungsgesetze“ mit Veto belegt, er betont auch immer wieder die Priorität der Preisstabilität vor dem Problem der Beschäftigung. Auch der ihm nahestehende Präsident der Notenbank (Federal Reserve) Arthur Burns öffnet nur behutsam die Ventile des Notenumlaufes, obwohl er pausenlos von linksstehenden Parlamentariern kritisiert und geradezu bedroht wird. Diese Haltung zeugt von politischem Mut, ob sie jedoch auch an den Wahlurnen honoriert wird, bleibt fraglich. Gewöhnlich gewinnt man in der Konjunktur — je länger sie anhält — Wahlen — und damit dürfte die Regierung rechnen. Doch kleinste Imponderabilien — nicht zuletzt die angedrohte ölpreiserhöhung — könnten den Trend stoppen und sogar in eine Gegenrichtung stoßen. Ebensowenig Einfluß hat die Regierung auf den Zustand der Exportmärkte in Europa und anderen internationalen Bereichen — denn die Krise von 1973/74 ist eine Weltwirtschaftskrise mit internationalen Wechselwirkungen gewesen. Die Regierung hofft daher, daß ihre vernünftige und nüchterne Politik einer Priorität der Preisstabilität Anerkennung finden wird und sie versucht auch — zum Unterschied von der Nixon'schen Wirtschaftspolitik, eine gerade Linie zu verfolgen. Auch im Lager der Regierung hat man erkannt, daß die erratischen Interventionen der Nixon-Periode (stop and go) kein Glück brachten und viel zur jüngsten Krise beigetragen haben. Wurde diese Politik des „Stop and Go“ von Nixon und seinen Beratern mit politischen Ereignissen „koordiniert“, so versuchen jetzt die Demokraten mit ihrer gewaltigen Majorität im Kongreß ähnliche Interventionen. Je höher das Budgetdefizit — so scheint es diesen Politikern —, desto schneller kommen wir aus der Rezession. Und wenn die Fahrt zu schnell wird, kann man ja wieder fiskalisch oder monetär bremsen. Interessanterweise haben die Vertreter dieser Politik — trotz gewaltiger „mathematischer“ Majoritäten — im Kongreß bisher entscheidende Abstimmungsniederlagen erlitten. Die Demokraten sind nämlich in viele Fraktionen gespalten und ermangeln einer starken Führung.

Sie können nichts Besseres, als kritisieren, während das Land von ihrer Politik Vorschläge erwartet.

Mangels dieser Positiva ist der für die USA ungewöhnliche Zustand eingetreten, daß der Kongreß und seine Funktionsfähigkeit angezweifelt werden. Parlamentarier zu sein, verliert an Attraktion — Administratoren, ob in den Bundesstaaten oder in der Regierung, gewinnen an Gewicht. So ist es auch bemerkenswert, daß das Weiße Haus wieder an Boden gewonnen hat, während es in der Folge von Watergate einen Tief7 punkt an Macht und Einfluß erreicht hatte. Die Zukunft des Landes wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die Bevölkerung im November 1976 eine geradlinige Politik der relativen Preisstabilität honoriert oder ob sie sich lieber auf ein Schiff begeben will, das durch Wellenberge und -täler schwankt — bis es schließlich zerschellen muß.

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