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Zurück zur Autarkie

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Ein kurzer „Abstecher“ nach Europa enthüllt klar den Unter-« schied der Auswirkungen der Energiekrise hüben und drüben. In London und Paris, beide Hauptstädte von Ländern, die von den Arabern bevorzugt mit ölprodukten beliefert werden, blicken einem echte Angst und Ansätze krisenhafter Verknappung entgegen. In London schleichende Streiks, die die an sich schon schwierige Situation fast aus.den Angeln heben, in Paris ein Generalstreik, der einem unlogischen Trotzausbruch gleichkommt.

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Ein kurzer „Abstecher“ nach Europa enthüllt klar den Unter-« schied der Auswirkungen der Energiekrise hüben und drüben. In London und Paris, beide Hauptstädte von Ländern, die von den Arabern bevorzugt mit ölprodukten beliefert werden, blicken einem echte Angst und Ansätze krisenhafter Verknappung entgegen. In London schleichende Streiks, die die an sich schon schwierige Situation fast aus.den Angeln heben, in Paris ein Generalstreik, der einem unlogischen Trotzausbruch gleichkommt.

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An der Ostküste Amerikas dagegen ist die Stimmung durchaus gefaßt.“ Sie stützt sich auf die Überlegung, daß bei einiger Einschränkung des ins Übertriebene gesteigerten Energieluxus ein vernünftiges Auskommen gefunden werden kann. Dementsprechend sind die sonst überall gleißenden Reklamesymbole, die überschwenglichen Weihnachtsdekorationen von den Straßen verschwunden, die Temperatur im Inneren der sonst überhitzten Wohnungen und Büros ist gesenkt, die Tankstellen bleiben am Sonntag geschlossen und die Geschwindigkeit für Privatautps und Lastwagen ist auf 60 beziehungsweise 50 Meilen herabgesetzt. Dabei ist die gesetzliche Basis für die meisten dieser Maßnahmen noch nicht beschlossen, das Publikum folgt einem Appell der Regierung und seiner lokalen Administratoren.

Das Land ist in dieser Frage in zwei Lager geteilt. Die Regierung möchte mit möglichst wenig Dirigismus auskommen, keine Bewirtschaftung einführen und durch den Appell an die Vernunft, verknüpft mit gradueller Preiserhöhung — die sich allein schon aus der Kostenlage ergibt — das Auskommen finden. Der Präsident wird ein Rahmengesetz erhalten, das ihm weite Vollmachten zur Einführung jeglicher Bewirtschaftung gibt. Nixon ist jedoch trotz all seiner oft kritisierten Flexibilität instinktiv ein Gegner, der Bewirtschaftung und ihres administrativen Riesenapparates, in dem er schon als junger Beamter während der Weltkriegsperiode gearbeitet hat. Ermutigende Informationen über die arabische Politik im nächsten Jahr scheinen überdies eine abwartende Haltung zu rechtfertigen, wie sich auch in Washington hartnäckig das bereits dementierte Gerücht hält, daß Golf-Oil vor der Küste Angolas ein gewaltiger ölfund gelungen sei. Alle diese Faktoren, vor allem aber eine bisher bewiesene recht disziplinierte Haltung der Bevölkerung, begründen eine Einstellung der Regierung, die von den Gegnern als Zögern und Un-entschlossenheit angeprangert wird. Der Rücktritt des bisherigen Energiezaren, des ehemaligen Gouverneurs von Colorado Love, und dessen Ersetzung durch einen freiwirtschaftlich denkenden Assistenten des Finanzministers Shultz verstärkt die Argumentation der Regierungsgegner. In diesem Lager wird darauf hingewiesen, daß die Energiekrise nicht ein Kind des arabischen Embargos ist, daß vielmehr die Bevölkerung schon seit langem über ihre „Energieverhältnisse“ und ihre Rohstoffquellen lebe und daß das arabische Embargo die Krise bloß dramatisiert und den Tag der Abrechnung beschleunigt herbeigeführt habe.

Die grotesken Hindernisse, die Fanatiker des Umweltschutzes zusätzlich aufbauten und die den Bau der Alaska-Pipeline um Jahre verzögert haben, sind ein weiteres Beispiel dafür, daß in der Energiefrage politische und andere fundamentale Prinzipien aufeinanderstoßen und einen klaren Kurs gar nicht zulassen.

Inzwischen ist es aber klar geworden, daß der Grundsatz der Regierung — die Industrie vor Knappheit zu bewahren und statt dessen den zivilen Sektor zu beschneiden — von der Börse mit Skepsis aufgenommen wurde. Die meisten Prognosen rechnen mit einer erheblichen wirtschaftlichen Abkühlung, wobei die Voraussagen zwischen einem wirtschaftlichen Stillstand und einer Reduktion des Nationalproduktes um bis zu 3 Prozent schwanken. Es wird jedoch betont, daß eine gültige Prognose unmöglich ist, weil die Wirtschaft des Westens weitgehend integriert ist und man die Rückschläge in Westeuropa und deren Auswirkungen auf die USA nicht richtig einschätzen kann. Daß die Arbeitslosigkeit von einem hochkonjunkturell bedingten Tief von 4,5 auf 6 Prozent steigen werde, wird als gegeben angesehen. Rohstoffmangel in der chemischen Industrie, die stark von ölderivaten abhängig ist, sowie die drastische Umstellung Detroits vom traditionellen komfortablen Großwagen auf Kleinwagen mit geringerem Bezinverbrauch, werden als Hauptgründe angeführt.

Übereinstimmung besteht aber in allen Lagern darüber, daß diese Krise dem Land auch ihre Segnungen bescheren kann. Präsident Nixons Appell, die USA bis 1980 von nichtamerikanischen Enregiequellen unabhängig zu machen, wird von allen akzeptiert, bloß hier und dort läßt sich eine Stimme vernehmen, die vor den außenpolitischen Folgen einer Autarkiepolitik warnt.

Wenn die Alaska-Pipeline nun Realität wird — mit der Fertigstellung wird in drei Jahren gerechnet —, werden zweifellos neue Bohrungen ein ganz neues ölzentrum entstehen lassen. Die Kohlevorkommen der USA sind nahezu unerschöpflich. Als Energiequellen wurden sie kaum je in Anspruch genommen, weil der Umweltschutz immer höhere Maßstäbe setzte, ölhaltiger Sand und Ölschieferlager sind gleichfalls in riesigem Ausmaß vorhanden, sie wurden jedoch bisher aus Kostengründen nur experimentell verwertet. Bei den jetzigen, von den Arabern hinaufgetriebenen ölpreisen wird die Rentabilitätsrechnung jedoch anders aussehen und Verwertungen ermöglichen, vor denen man bisher zurückschreckte. Daß die technologischen Kenntnisse der Verwertung von atomischen Energiequellen weit entwickelt sind, beweist die Technik der Energieversorgung verschiedener Weltraumsatelliten mit Sonnenenergie. Der Möglichkeiten gibt es also viele: es bestehen bloß zwei gewichtige Einwände gegen radikal Neues. Was auch immer geschieht, die Engpässe von 1974 bis etwa 1977 können aus Zeitmangel kaum beseitigt werden. Der zweite Einwand ist finanzieller Natur. Jegliche Umstellung oder zusätzliche Aufbringung von Energie erfordert einen derartigen Kapitalaufwand, daß die Privatwirtschaft nur zögernd diese neuen Wege beschreitet. Derartige Milliardeninvestitionen wollen überlegt und in das Bild der Zukunft eingeplant werden, einer Zukunft, die sich erst in Umrissen abzeichnet. Fehlinvestitionen solchen Ausmaßes müßten zu schweren wirtschaftlichen Erschütterungen führen. In einer Zeit, in der die Bankrate bei 10 Prozent liegt, denkt man lange nach, bevor man handelt.

Hier muß auch festgehalten werden, daß die amerikanische Industrie konsequent ist. Wenn einmal die Entscheidung in Richtung großer Investitionen gefallen ist, gibt es kein Zurück mehr zum Status quo ante, und man hat den Eindruck, daß die arabischen ölexperten diese Zusammenhänge allmählich zu verstehen beginnen. Die beiden arabischen öldiplomaten ließen daher auch bei ihrem kürzlichen Washington-Besuch durchblicken, daß sich 1974 vieles ändern werde, sie versuchten sich jedoch auch mit dem Hinweis auf den Druck radikaler Palästinenser abzusichern.

Aber selbst eine Aufhebung des arabischen Embargos wird die Weltknappheit nicht beheben. Solange die Araber die ölproduktion nicht erheblich über das Niveau steigern, das vor dem Ausbruch des israelischen Konfliktes bestand, werden steigender Lebensstandard und steigende Bevölkerungszahlen das Manko verewigen. Die Araber wollen jedoch ihre Vorräte nicht überschnell abbauen, weil sie sonst ihren politischen Hebelarm verlieren. Die freie Welt muß daher nicht nur den Weg der Erschließung neuer Energiequellen gehen, sie muß auch einen neuen Lebensstil vernünftigen Verbrauchens erlernen. Diese Erkenntnis wird wohl in den Sonntagsbeilagen der Zeitungen zum Überdruß diskutiert, man hat jedoch nicht das Gefühl, daß sie bereits in das Bewußtsein der breiten Bevölkerungsschichten eingedrungen ist.

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