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Von der Ölkrise zum ölkrieg

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Das Wort von der, „ölerpressung“ ist in aller Munde. Die manipulierte Verknappung des „besonderen Saftes“ wird als arabisches Druckmittel auf Westeuropa und die USA verständen, um diese zu zwingen, eine den Arabern genehme Haltung im Nahostkonflikt einzunehmen. Doch steckt noch mehr dahinter. Die Ölkrise stellt sich als eine Gratwanderung heraus, bei welcher die Welt sehr leicht -auch in einen ölkrieg stürzen könnte. Die Araber mit inbegriffen.

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Das Wort von der, „ölerpressung“ ist in aller Munde. Die manipulierte Verknappung des „besonderen Saftes“ wird als arabisches Druckmittel auf Westeuropa und die USA verständen, um diese zu zwingen, eine den Arabern genehme Haltung im Nahostkonflikt einzunehmen. Doch steckt noch mehr dahinter. Die Ölkrise stellt sich als eine Gratwanderung heraus, bei welcher die Welt sehr leicht -auch in einen ölkrieg stürzen könnte. Die Araber mit inbegriffen.

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Als Holland ein Sonn- und Feiertagsfahrverbot für Kraftfahrzeuge erlassen mußte, da es zur ersten Zielscheibe arabischen „Öldruckes“ erkoren ward, durchwehte die Ze.it.ungs-spalten eine unverhohlene Idylle: Kinder in Rollschuhen bevölkerten die Autobahnen. Mit einem gewissen Lächeln wurde gemutmaßt, daß man so Umweltfreundliches vielleicht dereinst „den Arabern zu danken haben werde“. Die Gleichung: Öl = Auto und die Erwähnung, vom Fetisch Auto werde ohnedies zuviel Gebrauch gemacht, erwies sich als ebenso gängig wie vordergründig.

öl ist mehr als nur (privater) Autoverkehr, wie auch „das Auto“ in der hochindustrialisierten Weltwirtschaft mehr ist als bloß ein mehr oder weniger problematisches Verkehrsmittel oder ein Standardfetisch.

In den USA und in einigen westeuropäischen Hochindustrieländem ist „das Auto“ ein ökonomisches „Herzstück“. Nicht nur, daß einige hunderttausend Arbeiter in der Autoindustrie tätig sind — auch die Zu-und Nebenlieferanten der Autoindustrie beschäftigen eine nahezu gleich große Anzahl an Menschen. Von der Autoproduktion — was immer man von ihr halten mag! '■— hängt die Eisen- und Stahlindustrie in hohem Maße ab. Die Elektroindustrie, Feinmechanik, die Gummi- und Kunststofferzeugung können auf diesen Industriezweig wohl kaum verzich-

ten. Und: Straßenverkehr ist nicht bloß Urlaubs- und Ausflugsverkehr, ist nicht nur (in den Städten meist schon sinnlos gewordener) Privatverkehr, er stellt.auch ein Zirkulationssystem für Handel, Industrie und Wirtschaft (Transport, Versorgung usw.) dar.

In der Tat gingen z. B. in den USA vom Auftragsstand der Autoindustrie jeweils gravierende Impulse für Konjunktur oder Depression aus. Mit der BRD, Frankreich, England oder Italien verhält sich das heute nicht sehr viel anders.

Ein „Schlag gegen das Auto“ bedeutet also mehr als nur eine vielleicht wirklich wünschenswerte Rollschuhidylle auf dann sinnlos gewordenen Autobahnen.

Doch damit ist die „Ölkrise“ noch lange nicht in vollem Umfang beschrieben. Auch nicht mit der unan-

genehmen Tatsache, daß durch sie einige Millionen Europäer und Amerikaner im Winter das Frösteln am heimischen Herd werden klaglos ertragen lernen müssen. Dieser Begleitumstand, so lästig er persönlich auch sein mag, ist relativ nebensächlich. Auch wenn man mögliche Folgewirkungen auf Schul-, Hoeh-schul- und Institutsbetriebe bedenkt oder auf Büro- und Amtsstunden. Das sind nur-stets „irgendwie“ überwindbare, wenn auch höchst unbequeme Unzukömmlichkeiten. Lebensgefährlich für hochentwickelte Industrienationen wird es, begreift man die Rückwirkungen z. B. auf die Pe-

trochemie (Kunststoffindustrie, Pharmazeutik usw.), auf die Energieerzeugung und auf die energieabhängige Industrie bis in ihre gewerblichen Verzweigungen.

Hier kommen Verknappung und notabene Verteuerungen des „ganz besonderen Saftes“ unter Umständen einer Notstandskatastrophe gleich.

Kann es, muß man sich fragen, im Interesse der arabischen Länder liegen, einen' solchen Notstand tatsächlich hervorzurufen und wenn ja, was wäre dabei die Absicht?

Der Anlaß ist sicherlich größer als „bloß“ der Nahostkonflikt. Wie gefährlich und grundsätzlich dieser auch angelegt sein mag, irgendwie erscheint er dennoch als „lokal begrenzte Auseinandersetzung“, jedenfalls sojäfig*, als sich die beiden Pro-

tektoren dieses Konfliktes, die USA und die UdSSR, nicht von Arabern oder Israelis insofern das „Gesetz des Handelns“ aufzwingen lassen, als sie sich jeder direkten Einmischung und damit jeder unmittelbaren Konfrontation entziehen.

Dahinter aber erheben sich viel weiterreichende Fragen. Bei den arabischen Ländern und den mit diesen solidarisierten schwarzafrikamschen und asiatischen handelt es sich — oft trotz großen ölreichtums — um ökonomisch und sozial untersntwickelte Gebiete. Betrachtet man die Situation des Schutzpatrons Sowjetunion (Ostblock mitinbegriffen), so hat auch dieser nach eigenem Eingeständnis einen industriellen Rückstand gegenüber Westeuropa und den USA aufzuholen.

Es besteht also bei beiden — Ostblock und Entwicklungsländern —

ein wenn auch unterschiedlicher „Nachholbedarf“, um mit den westlichen Industriekulturen „gleichzuziehen“.

Diesbezüglich sind mannigfaltige, zum Teil sogar heroische Anstrengungen unternommen worden. Wie die Dinge aber liegen, vergrößert sich trotz imponierender Erfolge im Osten der industrielle Vorsprung des Westens; wenn natürlich nicht auf allen Gebieten, so doch auf wesentlichen.

Um diesen Vorsprung wettzumachen, gibt es nur die Alternative: ihn durch eigene Anstrengungen aufzuheben oder, wenn das nicht gelingt, die Inhaber des Vorsprungs in ihrer Entwicklung zu bremsen, ja, diese so zu behindern, daß sie die „Verfolger“ auf- und einholen können.

Man wird nicht fehlgehen, wenn man die „Ölkrise“ als ein Mittel dazu begreift. Indem sich die hochindustrialisierten Gebiete heute noch unabsehbaren Einschränkungen ausgesetzt finden könnten, würden sie im „industriellen Fortschritt“ entscheidend behindert werden und den „Zurückgebliebenen“ die Chance überlassen, auf- und einzuholen. Es liegt auf der Hand, daß dies sov/ohl durch enorme Verteuerung als auch durch womöglich gleichzeitige Verknappung der Energiequelle und des Produktionsstoffes öl vortrefflich erreicht werden kann.

Auf einem anderen Blatt steht, ob die davon betroffenen Gebiete oder Staaten dem auf Dauer gelassen zusehen können. Man muß nicht lange in der Geschichte kramen, um negative Beispiele zutage zu fördern. Es sind scheußliche und blutige Beispiele, die nicht allein mit dem Begriff „Kolonialismus“ erfaßt werden.

In einigen hochentwickelten Industriestaaten kann (und wird) man alle Anstrengungen darauf richten, eigene Ölquellen, dieses gibt, zu erschließen und sich vom arabischen öl weitgehend frei.zu machen. Das trifft vor allem auf die USA zu, freilich wird dafür einige Zeit benötigt. Für Europa (oder Japan) liegt der Fall anders. Es verfügt zwar über einige ölreserven, aber die genügen keinesfalls für den Bedarf.

Andere Anstrengungen — verbunden mit noch gar nicht überschaubaren Kosten! — werden unternommen werden, um öl zu ersetzen. In Planung und Theorie ist man da schon sehr weit, da man ja seit langem mit einer „baldigen“ Erschöpfung der Weltölreserven rechnet und sich nach Ersatz umsieht. Kohle (in verflüssigter Form), Erdgas, Atomkraft und andere Energiespender rücken ins Zentrum der Aktivität. Aber auch dieser „Umschichtungsprozeß“, der „Übergangskrisen“ unvorstellbaren Ausmaßes miteinschließt, benötigt viel Zeit.

Man sieht, die „Ölkrise“ hat ungeheure wirtschaftliche, soziale, politische und, man nehme alles in allem, auch kulturelle Dimensionen.

Es mag sein, daß „die Araber“ das durchaus ins Kalkül ziehen und,damit rechnen, ihre Kalkulation werde früher oder später aufgehen. Sie fühlen sich — lange durch Kolonialismus, Vorherrschaft und Ausbeutung gedemütigt — in der Rolle des Starken durchaus wohl. Sie erspähen auch eine Chance, zum „Schrittmacher“ für andere Entwicklungsgebie-te zu werden, indem sie sich als „Bremser“ der Hochentwickelten erfolgreich betätigen.

Ob sie der andauernden Forderung der „Oststaaten“ (vor allem: Moskaus) teilhaftig sein werden, ist freilich umstritten. Die UdSSR wird sich nämlich auch zu fragen haben — und sicherlich schon gefragt ha-haben — ob sie es sich leisten kann, ihre wichtigen „Westlieferanten“ so geschwächt zu sehen, daß sie selbst davon den Nachteil hätte. Und mehr noch: auch für die Sowjetunion (bekanntlich eine Gegend, in der Schachspiel Volkssport ist) wirft sich die Frage auf, ob die westlichen Industrienationen nicht durch Krisen solchen Ausmaßes zu einer Aktion gezwungen werden, die auf Krieg hinausläuft.

Es war sicherlich kein S/stem „auf Dauer“, daß sich die ölreichtumer des Nahen Ostens zwar auf dem Gebiet der dort lebenden Völker befanden, dennoch aber, sieht man von ein paar Ölscheichs und deren Märchenprinzenrolle ab, in den Händen einiger, weniger westlicher ölgesellschaf-ten. Ebensowenig aber kann darin eine „dauerhafte Lösung“ erblickt werden, daß nun die „ölländer“ sozusagen nach eigenem Gutdünken die Weltwirtschaft „manipulieren“ können. Einsichtsvolle arabische Stimmen, die freilich im nahöstlichen Kriegsgeschrei untergehen, gibt es schon, die in der „Umkehrung der Verhältnisse“ auch keine glückliche Lösung sehen.

Für Rußland ist allerdings die Situation recht vorteilhaft: es wird durch die Ölkrise so gut wie nicht betroffen und es entzieht sich dieser diplomatisch, indem es deren Lösung „direkten Verhandlungen unter den Betroffenen“ zuweist, wobei es der arabischen Seite mit „politischen Garantien“ — die angeblich „nichts mit dem öl zu tun haben“ — zur Seite steht. Eine echte „Schachbrettsituation“ mit fatalem Zugzwang für Europa und die USA.

Die Ölkrise wird solange bestehen oder als jederzeit herbeizuführende Maßnahme über unseren Häuptern schweben, wie der Nahostkonflikt vordergründig weiterlebt. Sie könnte auch dadurch nicht dauerhaft gebannt werden, daß Europa und die USA Israel „fallen“ lassen. Das würde an der grundsätzlichen arabischen Position nicht viel ändern. Wirklich zu lösen ist sie dennoch erst, nachdem der Nahostkonflikt beseitigt worden ist. Denn die arabischen Staaten werden sich durch nichts dazu bringen lassen, ihren für die nächsten 15 bis 20 Jahre stechenden Trumpf billig aus der Hand zu geben.

So wird hinter der Ölkrise mit Gefahr eines Abrutschens In einen ölkrieg — dessen weltweite Folgen jedoch unausdenkbar wären — eine Strecke von politischen Etappen sichtbar, die wieder einmal „die Welt verändern“ werden.

Einige dieser Etappen sind, setzt man blindlings auf Vernunft, bereits in Umrissen sichtbar:

• Bereinigung des Nahostkonfliktes, was sich leichter ausspricht als es sich vorstellen läßt;

• Einführung eines „Entwicklungsplanes“, der die öl- und anderen Entwicklungsländer freilich zu Partnern auf Gegenseitigkeit macht und eine wahrscheinlich totale Abkehr von bisherigen „Entwicklungsvorstellungen“ erfordert;

• Ambivalente „Entspannungen“

auch auf allerdings nur scheinbar völlig fernen Gebieten und Bereichen;

• einen hohen Grad an Einigkeit in Westeuropa.

Die Welt ist tatsächlich „klein“ geworden. So klein, daß die „Ölkrise“ keinesfalls nur verdeckte oder offene

Faktoren im Nahostkonflikt betrifft, sondern auch gänzlich konfliktferne Länder, wie beispielsweise Japan. So hat der Nahostkonflikt nicht nur eine geradezu ,;riätürliche Verbindung-' zu den europäischen „Entspahnungs-konferenzen“, er wirkt W2it darüber hinaus.

Macht macht blind, sagt man, und es gibt eindrucksvolle Beispiele aus Gegenwart und Geschichte, wie blind Macht machen kann. Man möchte sich wünschen, daß die Verhand-

lungsführer der kommenden Jahre besondere Sehschärfe besitzen; auch die arabischen Verhandlungsführer. Im „Triumph des Augenblickes“ sich zu sonnen, könnte just für sie und ihre Völker ein später verhängnisvoller Genuß sein. Weitet sich die Ölkrise zum „Ölkrieg“, der keineswegs auf traditionellen Schlachtfeldern oder mit traditionellen Mitteln geführt werden müßte, so geraten sie mit Sicherheit in dessen Zentrum. Das aber kann nicht ihr Bedürfnis sein.

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