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Intelligenz gegen Benzinidiotie

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Die arabischen Unterhändler verließen Wien unter Zurücklassung eines Ultimatums der in der OPEC organisierten erdölproduzierenden Länder an die internationalen öl-konzerne. Sie seien, erklärten die öl-besitzenden Habenichtse den öl-armen Reichen, nicht gesonnen, Verluste auf Grund der Dollarabwertung hinzunehmen (die Rohölpreise sind bekanntlich Dollarpreise), weshalb das Angebot einer Preiserhöhung von 6 Prozent auf Grund des Genfer Abkommens vom Jänner 1972 ungenügend sei. Die OPEC-Länder verlangen von den ölfirmen 10 Prozent Preiserhöhung als Abwertungskompensation, im Hintergrund steht eine weitere Forderung, nämlich die nach einer Dynamisierung des ölpreises, die den OPEC-

Ländern in alle Zukunft volle Entschädigung für jeden Währungsverlust zusichern soll.

■Aller Widerstand der Erdölgesell-schafteh kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Produzenten ausgezeichnete Chancen haben, ihre Forderungen vollinhaltlich durchzusetzen. Ebenso zweifellos werden sie jede Verteuerung des Rohölpreises ihrerseits an ihre Abnehmer weitergeben, und das bedeutet für die Autofahrer in aller Welt teures Een-zin.

Da die jüngste OPEC-Forderung in keinem wie immer gearteten Zusammenhang mit der bereits feststehenden Erhöhung der österreichischen Benzinpreise steht und die nächste, in einigen Monaten bevorstehende Benzinpreiserhöhung ebenfalls auch ohne diese Erhöhung der Rohölpreise Zustandekommen wird, könnten die jüngsten Forderungen der Erdölproduzenten ohne weiteres eine weitere, dritte Benzinpreiserhöhung für Österreichs Autofahrer zur Folge haben. Ein ausgezeichneter Anlaß, Erwägungen über Sinn und Unsinn des Individualverkehrs in seiner heutigen Form überhaupt anzustellen.

Um es vorwegzunehmen: Der Benzinpreis, wenigstens soweit er den erdölproduzierenden Ländern angelastet werden kann, ist kein Grund, sich vom Fahrzeug zu trennen. Denn selbst nach der Preiserhöhung vom 1. Juni, wenn das Normalbenzin 3.90 und das Superbenzin 4.50 Schilling kosten wird, dürfte der echte, von allen steuerlichen Belastungen befreite Benzinpreis zumindest beim Normalbenzin noch immer unter einem Schilling liegen. Mehr als das Doppelte macht allein die Mineralölsteuer aus und die jetzt kommende Benzinpreiserhöhung ist eine reine Folge der Mehrwertsteuer. Kein Groschen dieser Preiserhöhung fließt in die Taschen der Ölscheichs oder in die Staatskassen der viel weniger harmlosen öldiktatoren vom Schlag eines Ghaddafl.

Die österreichischen Autofahrer müssen deshalb tiefer in die Tasche greifen, weil der Finanzminister nicht darauf verzichten kann oder will, die Mehrwertsteuer auch gleich von allen anderen auf dem Benzinpreis liegenden Steuern und Abga-. ben einzuheben, statt sich mit 16 Pro-

zent vom echten Benzinpreis zu begnügen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dabei gesellschaftspolitische Erwägungen mitgespielt haben. Denn bekanntlich ist es augenblicklich besonders schick, gegen den Indivi-dualverkehr in den Großstädten zu sein, eine Einstellung, die durchaus einiges für sich hat — leider nur anderswo. Nämlich dort, wo leistungsfähige Massenverkehrsmittel vorhanden sind.

In Wien sind zumutbare Massenverkehrsmittel leider nicht vorhanden, weshalb breite Schichten der Bevölkerung auf das Kraftfahrzeug tatsächlich nicht verzichten können, ^-m Fehlen einer U-Bahn, die der Wiener Rathausmehrheit bis fünf Minuten nach zwölf ein Luxus schien, steht in dieser Stadt nun aber

die dem Kraftfahrzeug feindliche Einstellung der (selbstverständlich Dienstwagen benützenden) Stadtväter gegenüber, denen es offensichtlich noch nicht ins Bewußtsein gedrungen ist, daß viele Pendler, die etwa dn der Nähe des Wiener Südbahnhofes arbeiten und täglich mit dem Zug in ihre burgenländischen Heimatgemeinden zurückfahren, mit der täglichen Hin- und Rückreise kaum mehr Zeit vergeuden als einer jener Wiener, die etwa in der Großfeldsiedlung oder in Neu-Kagran wohnen und mit der Straßenbahn an Arbeitsstätten auf der anderen Seite der Stadt fahren. Sie sind, ob Slavik es wahrhaben will oder nicht, zum Kraftfahrzeug verdammt, und oft, im Falle der Doppelverdiener, auch zum Zweitwagen.

Die Verteufelung des Individualverkehrs, neuerdings auch in der hellhörigen Massenpresse Mode, geht völlig an der gesellschaftlichen Realität zumindest Wiens vorbei. Wahnsinn ist der Individualverkehr in den modernen Großstädten, und auch in Wien, allerdings in seiner heutigen Form — für die nicht zuletzt der Gesetzgeber, aber auch die Automobilindustrie verantwortlich zu machen ist.

Denn was heute als innerstädtische Geschwindigkeit normal ist, wäre vor zehn Jahren für aberwitzig Raserei gehalten worden (gegen 100 Stundenkilometer werden auf dem Gürtel, ja auf dem Ring täglich und stündlich unzählige Male erreicht), und was einst als Mittelklassewagen betrachtet wurde, genügt heute nicht einmal mehr bescheidenen Ansprüchen. Mit der Leistung der Autos wurde aber nicht nur deren Ausstoß an Schadstoffen, sondern vor allem der Benzinverbrauch erhöht.

Die Vergeudung der Weltreserven an Erdöl ist Wahnsinn, und zwar Wahnsinn vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt. Der Einfluß der Treibstoffkosten auf die Gesamtkosten eines Kraftfahrzeuges wird dabei aber im allgemeinen weit überschätzt. In der Klasse der heute so beliebten Fahrzeuge über 1500 Kubikzentimeter übersteigen allein die Beträge für die Amortisation deutlich die jährlich für Treibstoff ausgegebenen Beträge, und auch die Aufwendungen für Haftpflichtversiche-

rung, Wartung, Reparaturen usw. liegen weit über den Treibstoffkosten — einer Berechnung des ÖAMTC zufolge ist bei einem Pkw der Klasse zwischen eineinhalb und zwei Liter mit Jahreskosten von rund 31.000 Schilling ohne Garagierung, davon ganze 7200 Schilling Benzinkosten, zu rechnen.

Die Ölscheichs sehen also wenig von dem Geld, das das Kraftfahrzeug ins Rollen bringt — trotzdem fahren wir gewissermaßen von Gnaden der Scheichs, denn wenn sie den Hahn zudrehen, stehen alle Räder still. Aber auch wenn sie die ölzufuhr für die westliche Welt nicht unterbrechen — eines Tages, über das Datum streiten die Experten, werden die ölreserven der Erde versiegen. Schon heute werden immer unzugänglichere öllager angebohrt. Um einen Raubbau, um dessentwillen spätere Generationen uns Heutige verfluchen werden, in Gang halten zu können, arbeiten heute Menschen (in Alaska) unter Bedingungen von solcher Härte, daß man sie nur mit Gehaltsangeboten, die ihnen nach zwei, drei Jahren den Aufbau einer selbständigen Existenz in der Heimat ermöglichen, hinlocken kann. Um diesen Raubbau in Gang zu halten, werden heute unterseeische öllager ausgebeutet — unter der Drohung von Zwischenfällen, die zur Verseuchung von Hunderten Quadratkilometern Meeresoberfläche führen können. Im Golf von Mexiko hat sich derartiges bereits ereignet.

Die Alternative zum öffentlichen Raubbau auf Kosten künftiger Generationen heißt aber nicht Verteufelung des Kraftfahrzeuges, sondern erstens Ausbau, leistungsfähiger Massenverkehrsmittel — daß eine Stadt wie Wien U-Bahn-Linien zu Satellitenstädten wie Neu-Kagran oder der Großfeldsiedlung nicht einmal zehn Jahre nach deren Errichtung zu bauen gedenkt, ist ein Skan-

Zweitens müßte die Entwicklung des Kraftfahrzeuges in Bahnen ge-

lenkt werden, die dem echten Bedarf entsprechen und nicht den von aggressiven Werbestrategien hochgezüchteten, durchwegs irrational und widervernünftig motivierten Erwartungshaltungen einer degenerierten Statusgesellschaft.

So ist etwa das umweltfreundliche Automobil, das nur geringste Mengen des gefürchteten CO und überhaupt keine Bleiverbindungen in die Luft abgibt, längst Wirklichkeit, aber überhaupt nicht populär, weil für die Werbung der Autoproduzenten uninteressant: Das mit Flüssiggas betriebene Kraftfahrzeug. Da das Flüs-

siggas steuerlich wesentlich milder behandelt wird als das Benzin, läßt sich (wie ein ARBÖ-Experiment erwies) mit 8000 Schilling Umbau-kosten nicht nur der CO-Gehalt im Abgas von 3,2 auf 0,2 Prozent (bei Leerlaufdrehzahl) senken und der schädliche Bleiausstoß ganz vermeiden, sondern die Treibstoffkosten sinken bei 14 Liter Benzin Stadtverbrauch von 57 auf 34 Schilling pro 100 Kilometer. Die Anlage überlebt spielend mehrere Autos, man kann ohne Halten vom Gas- auf den Benzinbetrieb umschalten, aber: Leistungsverlust 5 bis 10 Prozent, dazu ein platzraubender Behälter im Kofferraum. Und kaum Gastankstellen — nur zwei in Wien und eine in Linz. Städtische Autobusse und viele Taxis fahren längst mit Flüssiggas statt mit Benzin. Doch nur die Zusammenarbeit eines Autohersteilers (günstigere Unterbringung des Behälters, Senkung der Kosten in der Serie) könnten dem umweltfreundlichen Auto zum Durchbruch verhelfen. Allerdings, und das ist das Problem — wahrscheinlich nicht gerade im Einklang mit den Interessen der Mineralölindustrie.

Freilich würde der Autobetrieb mit Flüssiggas die Erdölvorräte der Welt nicht schonen. Um den wahnwitzigen Raubbau auf diesem Gebiet zu stoppen, wäre ein weitgehendes gesellschaftliches Umdenken notwendig, eine Abkehr von den Maximen einer Wegwerf- und Ver-brauchsgesellschaft, des Vergeudungskapitalismus, wenn man es so sagen darf, und der Verzicht auf ein unablässiges Wachstum des ProKopf-Nationalproduktes in den entwickelten Regionen der Welt. Wahrscheinlich ist es die Erkenntnis, daß es uns längst gut genug geht, die heute am schwersten in die Gehirne hineingeht.

Aber sie wird in die Gehirne müssen, denn nicht nur die ölreserven der Welt schwinden. Andere Reserven schwinden ebenso schnell, : wenn nicht noch schneller. Reserven, die möglicherweise schwerer zu ersetzen wären als das öl. Denn wenn dereinst die ölreserven wirklich zur Neige gehen (unsere Enkel werden es erleben), das öl als Energieträger durch die Atomenergie und der Indi-; vidualverkehr durch den elektrisch ■ betriebenen Massenverkehr oder

durch das Elektroauto mit Brennstoffzelle statt Batterie ersetzt wird, wird es wahrscheinlich doch noch genug Erdöl für die Verwendung als chemischer und pharmazeutischer Grundstoff geben, wenn auch in Form schwer erschließbarer Vorkommen.

Die Frage ist nur, ob es dann noch genug Chrom und Wismut, Kobalt oder Antimon (um nur ein paar Beispiele zu nennen) geben wird, die unsere hochentwickelte Technologie immer dringender braucht. Antimon wird immer wichtiger als Legie-rungsmetell, ist aber nur in zwei

Vorkommen (eines davon im Burgenland) bekannt, aber auch so ordinäre Metalle wie das Eisen und das Aluminium sind auf diesem Planeten nicht in unbeschränkter Menge vorhanden. Was heute auf Autofried-höfen unwiederbringlich durch die Verwandlung in Eisenoxyd verlorengeht, sprich verrostet, weil sich der Transport zum Hochofen nicht lohnt, könnte einst als Schatz betrachtet werden.

Um bei den edleren Metallen zu bleiben — bekanntlich hatte Hitlers Rüstungsminister Speer bereits 1944 ausgerechnet, spätestens im Herbst 1945 würden sämtliche Kampfhandlungen auf deutscher Seite unwiderruflich zum Stillstand kommen, nicht aus Mangel an Menschen, nicht aus Mangel an Benzin, sondern aus Mangel an Chrom, jenem Metall, ohne das eine moderne Kriegstechnik (und heute längst auch friedliche Technik) nicht möglich ist.

Eines Tages werden vielleicht die Techniker ausrechnen, wann ihre ganze Technologie zum Stillstand kommt — mangels Chrom. Und wieviel davon im 20. Jahrhundert auf Autofriedhöfen mit verrottenden Autrowracks verlorengegangen ist. Man wird eines nahen Tages auch die Vergrößerung der Lebensdauer aller Produkte als lohnendes Ziel wirtschaftlicher Betätigung wiederentdecken — und der Konsument wird lernen müssen, sie über einen höheren Preis zu finanzieren. Denn das Mißverhältnis zwischen individueller Intelligenz und kollektiver Idiotie kann, wenn es nicht rechtzeitig abgebaut wird, tatsächlich zum

Untergang wenn schon nicht der Menschheit, so doch ihrer Zivilisation führen, wenn sie das große Wettrennen zwischen dem Schwinden ihrer natürlichen Resourcen und ihrer Kunst, zu Ende Gehendes aus anderen, keineswegs unendlichen Quellen zu ersetzen, verliert.

Was genauso möglich ist und daher in Betracht gezogen werden muß wie der allgemeine Untergang in einem wahnwitzigen Krieg. Mittlerweile ist ersteres wohl sogar um einiges wahrscheinlicher geworden als letzteres.

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