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Das Auto: Lieblingskind und Sündenbock

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Mobilität - damit verbinden die meisten Menschen Freiheit, aber auch Auto. Sich frei im Raum bewegen zu können, hat viel für sich, hat die Menschen auch seit jeher fasziniert: Siebenmeilenstiefel zu besitzen, fliegen zu können, schneller als der Wind zu sein, das sind Wünsche, die wir in Märchen und Sagen finden, ja sogar in der griechischen Mythologie.

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Mobilität - damit verbinden die meisten Menschen Freiheit, aber auch Auto. Sich frei im Raum bewegen zu können, hat viel für sich, hat die Menschen auch seit jeher fasziniert: Siebenmeilenstiefel zu besitzen, fliegen zu können, schneller als der Wind zu sein, das sind Wünsche, die wir in Märchen und Sagen finden, ja sogar in der griechischen Mythologie.

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Diese Sehnsucht erfüllt heute das Auto scheinbar am besten. Es ermöglicht die freie Wahl des Abfahrtszeitpunktes, der Strecke, des Zieles, der Fahrgeschwindigkeit, der Mitfahrer und es erhöht die Möglichkeit, Gegenstände zu transportieren. Autofahrer fühlen sich unabhängig von Fahrplänen öffentlicher Verkehrsmittel, deren Anschlüssen, den Schwankungen des Wetters. Wer ein Auto vor der Tür stehen hat, fühlt sich nicht eingesperrt, nicht an einen Ort gebunden.

Umfragen bestätigen dies. Fragt man danach, was Autos so attraktiv macht, bekommt man folgende Antworten: Das Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit sagen 84 Prozent, die Selbständigkeit nennen 59 Prozent. Diese Motive liegen mit Abstand an der Spitze der genannte Begründungen (zitiert in „Querverkehr").

Daher werden diese Motive auch immer wieder in der Autowerbung angesprochen. Etwa wenn es heißt, ein bestimmtes Auto „... verdoppelt das Maß an sportlicher Forbewegung um die Dimension der Freiheit." Oder: Es vermittle „... die faszinierende Unabhängigkeit jenseits genormter Strecken."

Alles muß rasch gehen

Mobil zu sein, entspricht einfach dem Zeitgeist. Es erweckt Assoziationen an vorankommen, zielstrebig und effizient sein. Wir schätzen eigentlich alles, was rasch ist: rasche Entscheidungen, rasches Ziehen von Konsequenzen, rasches Überlegen, rasche Reaktion. Im Sport geht es meist um Tempo, im Geschäftsleben gilt „Time is money"... Wir konzentrieren uns auf Ziele, lassen uns nicht gern ablenken, machen nicht gern Umwege. All das scheint uns das Auto zu bieten.

Außerdem haben viele - vor allem Männer - eine geradezu emotionale Beziehung zu ihrem Auto: Es eignet sich sowohl als Statussymbol, als auch als Instrument mit dem der Fahrer Kraft und Geschicklichkeit signalisieren kann. So wurde es zum bestgehegten Gebrauchsartikel, zur Sonntagsbeschäftigung vieler.

Diese Einstellung war die Basis für die massive Förderung des Straßenverkehrs, die Jahrzehnte hindurch betrieben worden ist: Straßenbauten wurden zu Fortschrittssymbolen an sich. Man denke nur an das Image der „Europabrücke" bei Innsbruck. Die Eröffnung neuer Straßenstücke wurde zur begehrten Symbolhandlung volksnaher Politik.

So ist es kein Wunder, daß beim Autoverkehr auch nicht wirklich streng nachgerechnet wurde, was diese Art der Fortbewegung die Allgemeinheit denn tatsächlich kostete. Es war eben selbstverständlich den Straßenverkehr zu fördern.

Von dieser Einstellung profitierte ein ganzer Industriekomplex, derrund um den Verkehr entstand: Die Automobilherstellung mit allen ihren Zubringern, der Service- und Reparaturdienst, die Bauwirtschaft mit ihren Zulieferern, der Fremdenverkehr, der Transportsektor selbst... Dieser gesamte Wirtschaftsbereich hat ein eminentes Interesse am Fortbestand der Vorliebe für die „Automobilität".

Von der Wirtschaft mit allen Tricks psychologischer Kunst vermarktet und hochgejubelt, ist das Auto aufgrund der langen Liste seiner negativen Wirkungen auf die Umwelt andererseits zum Sündenbock der Ökologie-Bewegten geworden. Interessant ist aber der Umstand, daß auch seine Gegner das Auto personalisieren:

„Was ist das? Es macht krank und tötet, schürt Angst und Haß, zerstört die Umwelt, vernichtet Energie, frißt Geld, Raum und Zeit, und doch wächst seine Beliebtheit Jahr für Jahr. Natürlich: das Auto. Es ist in Deutschland der größte Umweltverschmutzer, die häufigste Todesursache bei Kindern, der schlimmste Lärm-belästiger und größte Produzent von Kohlenmonoxid, Stickoxiden und Ozon, es gehört zu den wichtigsten Heizern im Treibhaus Erde. Die Liste seiner Sünden ließe sich beliebig fortführen..." (Auszug aus Greenpeace Magazin IV/91) Es scheint geradezu ein Glaubenskrieg um das Auto ausgebrochen zu

sein: Auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen werden die gestiegenen Zulassungszahlen als Träger des notwendigen Aufschwungs bejubelt, auf den der Umweltberichterstattung gewidmeten die Lärm-, Abgas- und Staubentwicklung beklagt und dramatische Umweltfolgen angekündigt.

Viel zu viel Mobilität

Am Beispiel des Autos wird die Schizophrenie unserer Industriegesellschaft deutlich. Bedrohungen werden erkannt, aber nicht wirklich ernstgenommen. Man diskutiert über strukturelle Lösungen, entwirft Konzepte für ein Auto der Zukunft, Verkehrssysteme für morgen, um mit den wachsenden Problemen fertigzuwer-den. Das ist gut und wichtig, DIE FURCHE widmet diesem Thema immer wieder Dossiers (15/88, 39/90, 25/92). Aber wäre es nicht auch notwendig, die persönliche Dimension des Problems zu betrachten?

Denn, so problematisch der Autoverkehr auch sein mag, er ist in letzter Konsequenz Ausdruck unseres übertriebenen Drangs zur Mobilität. Diese überzogene Mobilität ist die logische Folge der einseitigen Überbetonung von Freiheit und Unabhängigkeit des Individuums in unserer Gesellschaft. Sind wir nicht fortwährend auf der Suche nach neuem Glück? Ein Glück, das im Morgen und in der Ferne liegt, das uns zur Unruhe und zur Ortsveränderung treibt?

Und so bauen wir an einer Welt, in der die Rastlosigkeit systematisch gefördert wird, in der immer mehr Menschen in immer weiterräumigen Verbindungen stehen: Immer mehr Güter werden international befördert, immer mehr Menschen arbeiten und studieren nicht an ihrem Wohnort, gehen nicht dort einkaufen, haben Zweitwohnsitze fürs Wochenende. Immer zahlreicher sind jene, die immer häufiger in immer fernere Länder reisen...

Alle Verkehrsprognosen rechnen mit weiteren Steigerungen, besonders im Gefolge des EG-Binnenmarkts und der Öffnung des Ostens. So wird etwa in Deutschland mit einer 70prozenti-gen Steigerung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs bis 2010 in den neuen und mit einer 380prozentigen Steigerung in den alten Bundesländern gerechnet. In Österreich erwartet man mindestens eine Verfünffachung des Gütertransits. Für ganz Europa wird mit einer 40prozentigen Steigerung des grenzüberschreitenden Güter- und mit einer 25prozentigen des Personenverkehrs gerechnet.

Hier liegt das Hauptproblem: eine Wirtschaft und ein Lebensstil, die systematisch Mobilität fördern. So gesehen geht es nicht primär um das Auto. Wir können unsere Umwelt auch ohne Auto ruinieren, können aber auch mit dem Auto - wenn wir es klug und gelassen nutzen - überleben. Es geht vielmehr um unseren Lebensentwurf, um eine Abkehr von der Rastlosigkeit, von der Unruhe, von dem Wunsch, immer mehr und mehr erleben und besitzen zu müssen. Eine gelassenere Haltung, ein einfacherer Lebensstil werden auch unser Bedürfnis nach Mobilität verringern - und uns das Leben erleichtern. Man bedenke: Auf der Suche nach einem Parkplatz werden täglich allein in Wien 1,2 Millionen Kilometer zurückgelegt. Ist da nicht schade um die Zeit und um die Nerven?

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