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Renaissance der Straßenbahn

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Autokolonnen an den Grenzübergängen, Umweltbelastung durch den Fernverkehr mit Lkw, Staus vor den Tunnels der Tauernautobahn: Verkehrsprobleme erscheinen vielfach als Probleme des Überlandverkehrs. Dabei spielt sich aber ein Großteil des Verkehrs - vor allem des Personenverkehrs - über kurze Distanzen ab: auf dem Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz. Diesem Nahverkehr ist das folgenden Dossier gewidmet.

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Autokolonnen an den Grenzübergängen, Umweltbelastung durch den Fernverkehr mit Lkw, Staus vor den Tunnels der Tauernautobahn: Verkehrsprobleme erscheinen vielfach als Probleme des Überlandverkehrs. Dabei spielt sich aber ein Großteil des Verkehrs - vor allem des Personenverkehrs - über kurze Distanzen ab: auf dem Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz. Diesem Nahverkehr ist das folgenden Dossier gewidmet.

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Die Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnten war von der Motorisierung geprägt. Seit Anfang der sechziger Jahre wuchs der Autobestand kontinuierlich und stark. Derzeit kommen in Österreich 335 Pkw auf 1000 Einwohner. Allein im Großraum Wien (unter Einbeziehung der Bezirke Mödling, Gänserndorf und Wien- Umgebung) gibt es derzeit rund

770.0 Kfz.

Das Auto bestimmte daher lange Zeit den Maßstab der Stadt. Wohnen im Grünen mit Pendlerwegen von 20 und (zum Teil viel) mehr Kilometern täglicher Fahrleistung wurden möglich. Wohnort und Arbeitsplatz rückten also immer weiter auseinander. Der täglich zu bewältigende Verkehr stieg enorm an.

Diese Entwicklung hatte natürlich auch ihren Preis. Da sind zunächst die hohen Verkehrsunfallszahlen. Ein beachtlicher Anteil dieser Unfälle (rund 70 Prozent)

ereignet sich in Dörfern und Städten. 1985 wurden dabei etwa280.000 Menschen verletzt und 2.800 getötet - und dabei war dieses Jahr eines der günstigsten in der Unfallsbilanz!

Bemerkenswert ist außerdem, daß sich rund 75 Prozent aller Unfälle im Ortsgebiet auf Hauptverkehrsstraßen - vor allem dort, wo auch Fußgeher und Radfahrer unterwegs sind - ereignen. Besonders gefährlich sind Orte, an denen sich verschiedene Formen der Straßenbenützung überlagern: Hauptstraßen, die auch vom Durchzugsverkehr benützt werden, oder Geschäftsstraßen mit viel Verkehr.

Enorm gestiegen ist auch die Lärmbelastung durch den Straßenverkehr. Jeder vierte Stadtbewohner klagt über Belästigung. Auch in der Nacht werden Werte von mehr als 50 dB(A), erreicht. Dieser Wert gibt einen die Nachtruhe erheblich störenden Geräuschpegel an.

Der Autoverkehr stellt selbstverständlich auch ein schwere Belastung der Umwelt im städtischen Raum dar. Man merkt es nicht nur an der enorm raschen Verschmutzung renovierter Gebäude, am Abbröckeln historischer Fassaden, sondern einfach an der Luftqualität an windstillen Tagen mit Niederdruck. Typisches Beispiel ist Graz, das im heurigen Winter mehrfach Smogalarmstufe zwei zu verzeichnen hatte. Dabei ist zu bedenken, daß etwa eines der Auspuffgase, das Kohlenmonoxid (CO), den Sauerstofftransport im Blut behindert . Davon sind vor allem Herzmuskel und Gehirn betroffen. Müdigkeit, Kopfweh und Schwindel sind die Folgen, ebenso wie Leistungsverlust. Beim Kolonnenfahren bekommen die Kfz-Insassen das Zehnfache des erlaubten CO-Höchstwer- tes ins Wageninnere.

Gelitten hat schließlich vor allem auch die Urbanität der Städte. Rascher und starker Autoverkehr beeinträchtigt nämlich die Bewegungsfreiheit des Fußgänger- und Radfahrverkehrs. Außerdem wird die Straße zunehmend zu einem Ort, dessen Benützung volle Aufmerksamkeit verlangt und weniger leistungsfähigen Mitbürgern kaum mehr zugemutet werden kann: Ältere und behinderte Menschen, sowie Kinder sind daher vielfach überfordert, das komplexe Verkehrsgeschehen richtig aufzunehmen. Dementsprechend sind sie auch überdurchschnittlich oft Opfer von Verkehrsunfällen. Die Straße - früher Ort der Begegnung - wurde auf weiten Strecken zur Verkehrswüste.

Unter dem Eindruck von Staus und Verkehrszusammenbrüchen zu Spitzenzeiten wurden meist zwei Zielvorstellungen zur Verkehrsgestaltung entwickelt:

- Verkehrsberuhigung in jenen Straßen, die zwischen den Hauptverkehrsadern liegen, und Umschichtung des Verkehrs auf öffentliche Verkehrsträger,

- Erhöhung der Leistungsfähigkeit auf Hauptverkehrsstraßen und Vergrößerung der Sicherheit. Die Bemühungen der Kommunalpolitiker waren daher primär darauf ausgerichtet, den Autoverkehr auf leistungsfähige Hauptver kehrsstraßen, Tangenten und Umfahrungsstraßen zu verlagern und dort zu bündeln.

Wohl ist gegen die Bündelung des Verkehrs nichts einzuwenden, wenn es sich dabei um solche Hauptverkehrsadern handelt, an denen nicht gewohnt wird. In wievielen Fällen aber werden die Verkehrsströme durch Wohnstraßen geschleust! Das bringt aber nur eine Umschichtung der Umweltbelastung. Ohnedies relativ stille Gebiete werden weiter beruhigt, während ohnedies schwerbelastete Straßen noch unwohnlicher werden.

Die letzten Jahrzehnte waren also im wesentlichen von Investitionen in den Individualverkehr gekennzeichnet. Wirklich massive Aufwendungen für den öffentlichen Verkehr fanden zuletzt Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts statt. Hier zeichnet sich allerdings eine Wende ab.

Der öffentliche Nahverkehr erlebt eine Renaissance: In einige Ländern waren Straßenbahnen fast ganz aus dem Straßenbild verschwunden, etwa in England, in Frankreich, in den USA. In den letzten Jahren werden jedoch wieder Straßenbahnsysteme eingerichtet . So gibt es eine neue Straßenbahn in Buffalo, in San Diego, in Sacramento, aber auch in Winnipeg, in Grenoble oder in Nantes (siehe S.13). Straßburg plant eine Straßenbahn (sie hatten eine bis in die fünfziger Jahre), London hat neuerdings eine “Light Rail way“. Auch U-Bahnen werden gebaut bzw. ausgebaut.

Diese Bahnen werden aufgrund strenger Kosten-Nutzen-Rechnun- gen errichtet. In manchen wirklich großen Städten ist sicher die U- Bahn das einzige Mittel, den Verkehr zu bewältigen. Es gibt aber Städte, die zu groß für den Bus-, aber zu klein für den U-Bahn verkehr sind. Da ist die Straßenbahn eine ideale Lösung.

Vielfach wird eine lange Linie eingerichtet. Typisches Beispiel ist Linz. Dort fährt im Grunde genommen eine einzige Linie von einem Ende der Stadt zum anderen (mit einer Abzweigung zum Bahnhof). Es ist ein Strang, kein Netz. Und diese Linie bewältigt einen Großteil des öffentlichen Verkehrs.

Die Busse sind dann praktisch Zubringer zu dieser Linie. Da läßt sich dann auch gut ein koordinierter Fahrplan erstellen.

Eine solche Straßenbahn sollte allerdings auf einem eigenen Gleiskörper fahren, um nicht vom Autoverkehr behindert zu werden. In Fußgängerzonen, durch die sie meistens auch geführt wird, entfällt ja diese Konkurrenz. In manchen amerikanischen Städten werden neue Linie auf eigenem Gleiskör-

per mit neuen Autobahnen zusam- mengelegt. In Nantes wiederum werden die Schienen mit Stuttgarter Schwellen vom übrigen Verkehr getrennt.

Straßenbahnen sind relativ billig. Man erspart sich Grabungen, teure vollautomatische Signalanlagen, weil auf Sicht gefahren wird, man kann mit nur einem Mann (dem Fahrer) ein paar hundert Personen befördern. Straßenbahnen sind überdies heute relativ leise und - selbstverständlich - nicht umweltverschmutzend.

Bemerkenswerter Weise wird dieses Angebot auch gut angenommen. Wir sind heute offenbar in einer anderen Zeit, als es die siebziger Jahre waren, als reihenweise Linien eingestellt worden sind.

Eine moderne Stadt sollte ein hochentwickeltes öffentliches Verkehrssystem haben. Die Freiheit und Mobilität, die viele mit dem Auto verbinden, ist längst zur Illusion geworden: Stau, Parkplatzsuche, Ärger, Abgase… Lebensqualität heißt doch, halbwegs rasch und problemlos dorthin zu kommen, wohin man will. Und mit dem Auto ist das vielfach nicht mehr möglich. In Wien braucht es in den Stoßzeiten nur zu regnen und der Verkehr bricht hoffnungslos zusammen. Der Autofahrer lebt im Alltag des Stadtverkehrs von feiner Mobilitäts-Illusion.

Es bedarf daher einer Bewußtseinsbildung auf diesem Gebiet. Wir müssen es schaffen, daß es kein Statussymbol mehr ist, unbedingt mit dem großen Auto unterwegs zu sein.

Wir müssen uns einfach fragen: Wollen wir saubere Luft, eine halbwegs vom Lärm her erträgliche Stadt, saubere und schnelle Straßenbahnen oder wollen wir in der Autolawine ersticken ?

Das heißt sicher nicht Abschaffung des Autos. Es geht vielmehr um einein vernünftiges Miteinander von öffentlichem und Individualverkehr.

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