Programmierter Stau im Süden Wiens

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Der Verkehrsplaner Professor Hermann Knoflacher nahm die Umweltverträglichkeitserklärung zur B 301 im Süden Wiens kritisch unter die Lupe und erstellte ein alternatives Öffi-Verkehrskonzept.

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Der Verkehrsplaner Professor Hermann Knoflacher nahm die Umweltverträglichkeitserklärung zur B 301 im Süden Wiens kritisch unter die Lupe und erstellte ein alternatives Öffi-Verkehrskonzept.

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Seit gut zehn Jahren wird geplant, diskutiert, protestiert und wieder geplant. Um den täglichen Verkehrsstau im Süden Wiens zu entschärfen, wurde der Bau der "Südrandstraße" B301 von der Österreichischen Autobahn und Schnellstraßen-Aktiengesellschaft (ÖSAG) beantragt, mit der die Verbindung der Südautobahn A2 mit der Ostautobahn A4 außerhalb der Stadtgrenze Wiens hergestellt werden soll.

Seit Planungsbeginn sind Auftraggeber (das Wirtschaftsministerium), Planer (ÖSAG) und befürwortende Politiker mit massiven Protesten von Bewohnern des Südraums von Wien konfrontiert, die an den Stadtrand "ins Grüne" gezogen sind, und nun die Verkehrshölle vor der Tür fürchten.

Das Projekt ist das erste große Straßenbauprojekt, das einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muß, und so ist die Auseinandersetzung rund um diesen "dringend notwendigen Verbindungsring zur Verkehrsentlastung" - so die Befürworter - oder "Lückenschluß im Osttransit, dem die Region geopfert wird" - wie ihn die Projektgegner bezeichnen - gleichzeitig ein Prüfstein für die Tauglichkeit des Umweltverträglichkeitsgesetzes für Straßenbauprojekte.

Zur Kritik an den Einreichplänen zur Umweltverträglichkeitserklärung (UVE) vom Dezember 1997 durch die Umweltanwaltschaften von Wien und Niederösterreich, dem Umweltministerium, zahlreichen Anrainergemeinden und Bürgerinitiativen, die sich im "Bürgerforum gegen Transit B301" zusammengeschlossen haben, kommt vom prominenten Verkehrsplaner der TU in Wien, Professor Hermann Knoflacher ebenfalls harsche Kritik am Straßenprojekt. Er hat im Auftrag des "Bürgerforum gegen Transit B301" die UVE kritisch unter die Lupe genommen und ein Alternativszenario entwickelt, das sich auf den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel in der Region konzentriert.

Fehlerhafte Prognose Schon mit dem Zahlenmaterial, das der UVE zugrunde gelegt wurde, hat das Institut für Verkehrsplanung von Professor Knoflacher seine Probleme. Die Prognosen über den Verkehrszuwachs und die Verkehrsaufteilung wird in der vorliegenden Studie völlig anders bewertet. Auch der Anteil am Schwerverkehr und die angenommenen Reisegeschwindigkeiten "halten nicht", so die Autoren. Im Gegensatz zu den UVE-Unterlagen, die bei stark steigenden Verkehrsmengen gleichbleibende Geschwindigkeiten annehmen, errechnete Knoflacher für das Jahr 2010 Geschwindigkeiten von weit unter zehn Stundenkilometern in der Region. Er hat mit seinen Mitarbeitern entsprechend den bestehenden Gemeinden zusätzliche "Verkehrszellen" in sein Studienmodell aufgenommen, um ein möglichst realistisches Abbild der Verkehrsströme zu erhalten.

Auch der gewählte Zeithorizont bis zum Jahr 2010 erschien den Autoren zu gering, da gravierende Veränderungen erst nach Fertigstellung der B301 im Jahr 2006 absehbar sind. Man hat ihn deshalb bis 2025 erweitert, was die Prognosen der Siedlungstätigkeit und des damit verbundenen "Binnenverkehrs" drastisch verändert. Mit den prognostizierten 105.000 Einwohnern werden rund 50.000 Pkw in die Region kommen.

Erzwungene Mobilität Breiten Raum nimmt die Beurteilung der Auswirkungen der B301 auf die Siedlungstätigkeit in der Region östlich der A2 ein, die bisher von großen Betriebsansiedlungen - sieht man von Schwechat ab - verschont geblieben war, und deshalb bevorzugt als Wohngebiet genutzt wurde. Mit dem Bau der Hochleistungsstraße werden auch in diese Region in großem Maße Betriebe aus Wien ab- und Einkaufszentren ansiedeln, meinen die Studienautoren, was für die Stadt Wien einen weiteren Abfluß von Arbeitsplätzen und Kaufkraft bedeutet.

Entlang der an den Verkehrswegen entstehenden "Lärmbänder" sind aus Lärmschutzgründen allerdings nur Betriebsansiedelungen möglich. Die Zunahme des Transitverkehrs wird vor allem in der Nacht unzumutbaren zusätzlichen Verkehrslärm bringen. Für die Bewohner der Region bringt dieser Trend erhöhte Lärm- und Umweltbelastung und eine Verstädterung ihrer Orte. Anstatt eine Mischung aus Wohngebieten und Arbeitsstätten zu schaffen, wie das im NÖ-Raumordnungsgesetz angestrebt wird, bedingt der Bau der B301 mit allen Zubringerstraßen das Gegenteil. "Insgesamt wird die Region zum Verlierer punkto Lebensqualität", warnt der Raumplaner Reinhold Deußner vom Österreichischen Institut für Raumplanung, der an der Studie mitgearbeitet hat.

Die Studie kommt zu dem Schluß, daß der Bau der B301 keine Probleme löse, denn es werde - betrachtet man die Verkehrsentwicklung bis 2025 - einen "größeren Verkehrssalat im Umfeld von Wien" geben, als jetzt. Die B301 ziehe Verkehr in weit größerem Ausmaß in die Region, auch der Ausbau der Zubringerstraßen bringe langfristig weder entlastete Ortschaften, noch eine gravierende Entlastung der A23.

Lange Anfahrtswege zu neu angesiedelten Betrieben und mangelnde Investitionen in den Öffentlichen Verkehr verstärken den unsozialen Zwang zum Zweit- und Drittwagen, was wiederum den regionalen Verkehr belastet. Selbst wenn man davon ausgeht, daß im Jahr 2025 nur die Hälfte jener Siedlungsdichte in den betroffenen Gemeinden erreicht ist, wie heute westlich der A2 im Bezirk Mödling, prognostizieren die Verkehrsplaner 75.000 Fahrzeuge pro Tag auf der B301, die damit die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hat. Fällt die Siedlungsentwicklung dynamischer aus, nähert man sich dem programmierten Stau schneller.

Der geplante Ausbau der Shopping City Süd, die Erweiterung des Flughafens Schwechat und die heftig umstrittene Realisierung der "Stronach-Kugel" wird die Verkehrsströme zusätzlich verstärken.

Als Alternativszenario zum geplanten Bau der B301 hat Knoflachers Team ein Ausbaumodell für den Öffentlichen Verkehr entwickelt, das die bereits beschlossenen Ausbauten der Ostbahn und der Südbahn annimmt, und unter anderem den 30-Minuten-Takt auf der Pottendorfer Linie, den Ausbau der Preßburger Bahn, Verkürzung des Badener Bahn-Taktes auf siebeneinhalb Minuten, die Straßenbahnverlängerungen nach Schwechat, Himberg und Laxenburg, die U6-Anbindung des erweiterten Busangebots und den Ausbau von Citybussystemen vorschlägt. Aus einer Fülle von im Detail noch zu erstellenden Angeboten im Öffentlichen Verkehrsnetz könnten bestehende Zubringerstraßen nach Wien entlastet werden, und auch die raumplanerische Entwicklung des Wiener Umlands im Südosten in "gesunde" und umweltverträgliche Bahnen gelenkt werden.

Auch die Kosten sprechen eindeutig für eine Entscheidung gegen die B301: Während für das Straßenbauprojekt 6, 3 Milliarden Schilling veranschlagt sind, die sich mit den geplanten Zubringer- und Umfahrungsstraßen auf 7,5 Milliarden erhöhen werden, kostet der Ausbau der Öffentlichen Verkehrswege, laut Berechnungen Knoflachers rund 4,8 Milliarden Schilling.

Knoflacher, der seiner Studie als "grundlegende Prinzipien" die "Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsverbesserung" voranstellt, die auch die "Erhaltung von Naherholungsräumen" und den "Vorrang für Sicherheit, Gesundheit und die Umwelt" beinhalten, warnt vor der Destabilisierung relativ kleiner Strukturen im Süden Wiens durch den Bau der B301, die auf ganz Niederösterreich ausstrahlen werde. Seinem kritischen Blick halten die Unterlagen der UVE nicht stand, die zur Zeit im Wirtschaftsministerium auf die Erstellung des "Umweltverträglichkeitsgutachtens" harren: eine politisch seriöse Entscheidung sei damit nicht möglich, so Knoflacher. Realisiere man die B301, sind die Budgetmittel weg, und die Zukunft der Region auch.

Im konsequenten Ausbau des Öffentlichen Verkehrsnetzes sieht er eine Möglichkeit, verkehrspolitische und siedlungspolitische Weichen in Richtung Lebensqualität und Nachhaltigkeit zu stellen, die noch dazu billiger sind.

Nachdem "in Österreich teure Verkehrslösungen oft Priorität erhalten, obwohl die Problemlösungstauglichkeit des Öffi-Modells für den Südraum Wiens erwiesen ist," fürchtet er, daß man sich im Wirtschaftsministerium nicht dazu entschließen kann, so modern zu sein wie Japan: dort haben die täglichen Staus auf den Straßen zu einer großen Straßenbahnrenaissance geführt.

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