Mit Vollgas in die Sackgasse

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Trotz stagnierender Wirtschaft boomt der Verkehrssektor. Prognosen warnen vor den Folgen der Verkehrsexplosion. Vor angemessenen Maßnahmen schreckt die Politik allerdings zurück - in Österreich, in der EU.

Der Automarkt boomt - und das trotz düsterer Prognosen, was die wirtschaftliche Entwicklung anbelangt. Vorige Woche meldete Statistik Austria, im Monat Mai seien um 9,8 Prozent mehr Kraftfahrzeuge in Österreich zugelassen worden als ein Jahr zuvor. Noch markanter das Plus bei Lkws: 21,7 Prozent. Die für 2004 in Aussicht genommene Lkw-Maut auf österreichischen Autobahnen scheint also die Spediteure keineswegs in Angst und Schrecken zu versetzen, wie dies vielfach behauptet wird. Tatsächlich wird die Einführung dieser Maut ja laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts das inländische Preisniveau bestenfalls nur um 0,2 Prozent erhöhen.

Seit Jahresbeginn wurden wurden in Österreich also 172.738 Kfz neu zum Verkehr zugelassen. Damit scheinen im Straßenverkehr die Weichen weiterhin auf grenzenloses Wachstum gestellt - trotz aller Warnungen vor gravierenden Umweltfolgen und Überlastungen des Straßennetzes.

Ein Auto für jeden Zweiten

Diese Entwicklungen sind unvermeidbar, wenn der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) mit der Vorschau auf seine Studie "Mobilität 2020" Recht behält: Nach einem Anstieg der Pkw-Zulassungen um 39 Prozent seit 1990 werde "in diesen Tagen die Vier-Millionen-Schallmauer durchbrochen," heißt es im Bericht. Ohne Änderung in der Steuerpolitik werde diese Aufwärts-Entwicklung weitergehen. Bis 2010 heiße das ein weiteres Plus von 800.000.

Aber nicht nur bei der Zahl der Fahrzeuge zeichne sich ein Anstieg ab, auch die Zahl der pro Jahr mit dem Auto zurückgelegten Kilometer (derzeit rund 13.000 im Durchschnitt) steige weiter: "Wir erleben seit einigen Jahren eine Entwicklung, die ich als Zwang zum Autofahren bezeichne. Durch die zunehmende Zersiedelung, längere Arbeitswege und fehlenden Öffentlichen Verkehr können die Menschen oft gar nicht anders, als mit dem Auto zu fahren, um ans Ziel zu kommen," lautet die Diagnose von Wolfgang Rauh, dem Verkehrs-Experten des VCÖ.

Pendeln zur Arbeit gehört tatsächlich heute zum Alltag: 1,4 Millionen Österreicher arbeiten nicht in ihrem Wohnort, weitere 1,5 Millionen sind in ihrem Wohnort unterwegs. Für diese Wege verwenden zwei von drei Pendlern ein Kfz und nur jeder vierte benützt Öffentliche Verkehrsmittel. Die dabei zurückgelegten Strecken werden immer länger, wie Untersuchungen über die Mobilität in Österreich erkennen lassen: Waren es in der ersten Hälfte der neunziger Jahre täglich "nur" rund 30 Kilometer, so rechnet eine Prognose des Umweltministeriums mit durchschnittlich 48 Kilometern im Jahr 2030.

Diese anhaltende Steigerung des motorisierten Verkehrs sei unvereinbar mit der von Österreich im Kyoto-Vertrag international zugesagten Begrenzung der CO2-Emissionen, warnt der VCÖ. Ohne Gegensteuerung würden diese bis 2010 "selbst unter vorsichtigen Annahmen auf 22,3 Millionen Tonnen ansteigen". Das wären 76 Prozent mehr als 1990. Es ist das Referenz-Jahr für die Klimaschutz-Ziele und seine Emissionswerte sollten eigentlich unterschritten werden.

Stau auf 7.500 Kilometern

Die in Österreich stattfindende Entwicklung unterscheidet sich allerdings nicht von den Trends der übrigen EU-Länder. Dies ist dem Weißbuch "Die Europäische Verkehrspolitik bis 2010" zu entnehmen. Es registriert eine Verdreifachung des Pkw-Bestandes in den Mitgliedsländern auf 175 Millionen im Zeitraum 1970 bis 2000. Weiterer drei Millionen kämen Jahr für Jahr dazu. Pro Tag würden dem Verkehr zehn Hektar Fläche geopfert. Und die Prognose: "In der erweiterten Europäischen Union wird die Anzahl der Pkws bis 2010 stark zunehmenden, [...] der Schwerlastverkehr um fast 50 Prozent gegenüber 1998."

Schon jetzt sei das transeuropäische Verkehrsnetz überlastet: "Auf den Straßen kommt es auf einer Länge von 7.500 Kilometern, also auf zehn Prozent des Netzes, täglich zu Staus. 16.000 Kilometer des Eisenbahnnetzes, also 20 Prozent des Netzes, gelten als Engpässe." Die Prognosen bestätigen: Diese Überlastung nimmt ohne gezielte Gegensteuerung vor allem im Straßenverkehr weiter zu. Eine teure Angelegenheit, warnt das Weißbuch, denn "die Kosten der Staus dürften [...] um 142 Prozent (auf 80 Milliarden Euro im Jahr) ansteigen" - etwa ein Prozent des BIP der EU!

Besorgnis erregt in der EU-Zentrale auch der sich abzeichnende Anstieg der CO2-Emissionen: plus 50 Prozent im Vergleich zu 1990. "Hierfür ist vor allem der Straßenverkehr verantwortlich, denn auf ihn gehen 84 Prozent der verkehrsbedingten CO2-Emissionen zurück."

Plus 50 Prozent bei CO2

Ähnlich ist das Bild, wenn man es noch größerräumig betrachtet: Im OECD-Raum seien derzeit rund 600 Millionen Kfz unterwegs, hält die OECD-Initiative "Est!" ("Environmentally Sustainable Transport") fest. Mit weiterem Wachstum sei zu rechnen.

Eine Liste von Maßnahmen, wie dieses ausufernde Wachstum in den Griff zu bekommen wäre, ist längst nicht mehr nur in Forderungskatalogen von Grün-Parteien nachzulesen. Die "Est!"-Studie listet einiges auf: gesetzliche Regelungen, Steuern und Abgaben auf Treibstoffe und für Straßenbenutzung, Änderungen in der Investitionspolitik für Verkehrsinfrastrukturen, in der Raumplanung, der Flächennutzung, Aufklärung, Erziehung ...

Einfach viel zu billig

Auch das EU-Weißbuch kritisiert, dass die Verkehrsteilnehmer derzeit nicht für die Kosten, die sie verursachen, aufkommen müssten. "Im Allgemeinen berücksichtigt die Preisstruktur die Infrastruktur-, Überlastungs-, Umweltbelastungs- und Unfallkosten nicht in vollem Umfang." Mit einem Wort: Verkehr ist zu billig. Er deckt nur einen Teil seiner Kosten, wird also massiv von der Allgemeinheit subventioniert.

Daher fordert das Weißbuch unter anderem: Die Benützung von Flughäfen, Häfen, Straßen oder Schienenstrecken soll kostendeckend sein. Die Preise seien nach der Qualität der Infrastruktur, dem Ausmaß ihrer Inanspruchnahme (zurückgelegte Entfernung, Größe und Gewicht der Fahrzeuge), nach der Tageszeit der Nutzung, nach der Umweltbelastung festzulegen.

Insoweit die so erzielten Erträge über die betriebswirtschaftlichen Kosten hinausgehen - was bei richtig berechneten Autobahn-Mauten der Fall sein müsste -, könne die Differenz in den Ausbau anderer Einrichtungen (insbesondere der Schiene) investiert werden. Eine entsprechende Richtlinie wird in Aussicht gestellt.

Genau auf diese wartet man nun schon seit zwei Jahren. Zwar hat EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio die Vorlage einer Wegekostenrichtlinie (als Grundlage für die Berechnung von Autobahn-Mauten) noch vor der Sommerpause angekündigt. Alle Anzeichen sprechen aber dafür, dass externe Kosten nur geringfügig anrechenbar sein werden. Die EU-Kritik an der vorgesehenen Mauthöhe in Österreich (sie liegt deutlich unter den Tarifen in der Schweiz) spricht Bände.

Jeder vierte e in den Verkehr

Damit zeichnet sich ab, dass in der Verkehrspolitik der alte Trott fortgesetzt wird: Eindeutige Analysen und Abhilfe schaffende Maßnahmen werden in aufwändigen Untersuchungen erarbeitet und von der Politik wohlwollend zur Kenntnis genommen. Sobald es aber um die konkrete Umsetzung geht, entscheidet das kurzfristige Interesse der Wirtschaft, nur ja nicht bremsend auf die Wachstumsbranche Verkehr zu wirken. Wie bedeutend diese ist, illustriert Wolfgang Rauh am Beispiel Österreich: "Derzeit fließt jeder vierte Euro in den Verkehr."

So wird "Schiene statt Straße" zwar gern als Slogan herumgereicht. Kaum geht es aber um dessen Umsetzung wird auf eingefahrenen Wegen weitergerollt.

Auch dazu bietet Österreich Anschauungsmaterial: Da räumte etwa der Generalverkehrsplan (vom Jänner 2002) den Investitionen in die Schienen-Infrastruktur mit zwei Drittel der vorgesehenen Investitionen scheinbar Vorrang ein. Untersucht man die Projekte aber nach deren Priorität, so wird deutlich: Kurz- und mittelfristig fließt ein Großteil der Gelder in Richtung Straße. Und wie der mittel- und langfristige Ausbau der Schiene finanziert werden soll, steht derzeit noch in den Sternen.

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