Nicht nur grenzenlose Freiheit über den Wolken

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Der Verkehr ist ein Haupterreger von Treibhausgasen, der Flugverkehr sein am schnellsten wachsender Sektor. Eine Studie befaßt sich mit den Umweltfolgen des Flugbooms.

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Der Verkehr ist ein Haupterreger von Treibhausgasen, der Flugverkehr sein am schnellsten wachsender Sektor. Eine Studie befaßt sich mit den Umweltfolgen des Flugbooms.

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Deregulierung und damit einhergehend die wachsende Konkurrenz der Fluggesellschaften haben zu einem Einbruch bei den Flugpreisen geführt. Urlaub in der Karibik ist billiger als in Tirol. Der Flugverkehr explodiert: Jährlich nimmt er zwischen vier bis sechs Prozent zu. Einschränkend muß allerdings gesagt werden, daß er immer noch einen geringen Anteil am Verkehrsgeschehen ausmacht. So werden von den rund 1.000 Wegen, die der Mensch in etwa pro Jahr zurücklegt, in der EU im Durchschnitt weniger als einer mit dem Flugzeug zurückgelegt (in Österreich und Deutschland sind es rund sechs von 10.000).

Trotz der starken Zunahme der Flugpassagiere ist das Fliegen eben nach wie vor das Privileg einer Minderheit, nämlich der Bevölkerung in den Industrieländern, und auch da wiederum eher das einer Elite (wenn man das Bildungsniveau als Maßstab nimmt). Dennoch gibt es bereits Länder, in denen das Flugzeug eine beachtliche Rolle spielt: Auf jeden US-Bürger und auf jeden Kanadier kommen zwei Flüge pro Jahr.

Mit einer Studie untersucht der Verkehrsclub Österreich" (VCÖ) die Umweltauswirkungen des stark steigenden Flugverkehrs. Sie stellen sich vor allem in einem sensiblen Bereich der Atmosphäre, nämlich an der Grenze zwischen der Troposphäre (sie reicht in Europa bis etwa zehn Kilometer Höhe) und der Stratosphäre ein. Über das Zustandekommen des Wettergeschehens in diesen Höhen wissen wir derzeit noch relativ wenig. Daher sind auch die Aussagen über die Auswirkungen des Flugverkehrs auf das Klima mit vielen Fragezeichen versehen. Weltweit laufen allerdings zahlreiche Forschungsprogramme zur Klärung dieser Frage.

Was ist nun aber der jetzige Stand des Wissens? Was das CO2 anbelangt hält die VCÖ-Studie fest, daß der Flugverkehr in Europa heute etwa für elf Prozent (weltweit für 2,5 Prozent) der Emissionen verantwortlich ist. Beim derzeitigen Wachstum ergäbe das eine Verdoppelung bis 2010. Keine Kleinigkeit im Zeitalter des Kioto-Protokolls, das Reduktionen von sechs bis acht Prozent (siehe Furche 1/1998) bis zu diesem Zeitpunkt bei der CO2-Abgabe vorsieht!

Ozon am falschen Ort Ein weiteres Problem sind die Stickoxide. Sie führen an der Grenze zwischen Troposphäre und Stratosphäre zur Ozonbildung. Dieses Ozon trägt jedoch leider nicht zur Auffüllung der dünner werdenden, viel höher liegenden, vor dem ultravioletten Licht schützenden Ozonschicht bei. Vielmehr vermehrt es den Treibhaus-Effekt: "Ein Molekül Ozon wirkt in diesen Höhen bis zu 1.800 Mal treibhausintensiver als ein Molekül CO2," heißt es in der Studie. Einschränkend wird allerdings darauf hingewiesen, daß die Treibhauswirkung des Ozons nicht kontinuierlich steigt, sondern sich bei einem Höchstwert einpendelt.

Zu den beiden erwähnten Effekten kommen die Folgen der Bildung von Kondensstreifen. Sie bestehen aus winzigen Eisteilchen, die sich durch den Wasserdampf der Abgase und der Umgebungsluft bilden und die wir je nach Witterungslage mehr oder weniger deutlich am Himmel Europas beobachten können. "Langlebige Kondensstreifen verstärken den Treibhauseffekt - abhängig davon, wieviel Fläche des Himmels sie bedecken. Kondensstreifen bedecken im globalen Durchschnitt etwa mit 0,1 Prozent den Himmel. Über Europa sind es im Mittel etwa 0,5 Prozent," beschreibt die Studie das beachtliche Ausmaß dieser Erscheinung. In manchen stark frequentierten Flugkorridoren kann dieser Wert allerdings im Jahresmittel auf bis zu fünf Prozent steigen. In Europa geschähe das immerhin bereits bei über zehn Prozent der Fläche. Was die Größenordnung der relativ kurzfristigen Wirkung dieses Effektes anbelangt, liest man: "Allein die Kondensstreifen über Europa (bewirken) einen stärkeren Treibhauseffekt als alle bodengebundenen Verkehrsarten in Europa (alle Autos, Lastkraftwagen, Schiffe und Bahnen) zusammengenommen!"

Sowohl die Kondensstreifen wie auch das entstehende Ozon tragen aber nicht nur zur Erhöhung der Temperatur in der darunterliegenden Troposphäre bei, sondern auch zur Abkühlung der Stratosphäre: Beide Phänomene mit schwer absehbaren, aber - sind sie einmal eingetreten - auch schwer rückgängig zu machenden Folgen.

Einerseits gibt es also Effekte, die zu einer Erwärmung der unteren Atmosphärenschichten führen, andererseits werden aber auch Folgen vermutet, die zu einem Abbau der schützenden Ozonschicht beitragen könnten. Auch hier spielen Stickoxide und Wasserdampf eine Rolle, vor allem bei Flugzeugen, die in sehr großen Höhen fliegen. Dieser Effekt wird insbesondere dann bedeutsam, wenn das Projekt, bis 2015 bis zu 500 in 25 Kilometer Höhe fliegende Überschallflugzeuge in Betrieb zu nehmen, verwirklicht werden sollte.

Am Beispiel dieses Projekts wird deutlich, daß die Politik schon heute vor weitreichende Entscheidungen in dieser Frage gestellt ist - und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem das notwendige Wissen nicht ausreicht, um alle möglichen Pro- und Kontra-Argumente umfassend wissenschaftlich zu bewerten. Denn die Wissenschaft wird diese letztlich neu auftretenden Fragen endgültig erst im nachhinein beantworten können - dann nämlich wenn sich negative Effekte eingestellt haben - oder eben ausgeblieben sind.

Zu denken gibt allerdings eine Rechnung, die in der VCÖ-Studie angestellt wird: Wollte man die Treibhausgase auf dem jetzigen Niveau stabilisieren, so ergäbe das ein CO2-Budget pro Kopf von 400 Kilo pro Jahr für den Verkehr. Allein ein Flug von Europa nach Neuseeland würde das Guthaben von 20 Jahren aufbrauchen.

Technisch ausgereizt Fortschritte attestiert die Studie dem Flugverkehr im Bereich der Technik. Das betrifft sowohl die Verringerung der Lärmemissionen wie die des Treibstoffverbrauchs. Letzteres trug selbstverständlich auch zur Reduzierung der Schadstoffabgabe bei. Allerdings stoße man bei weiteren Verbesserungen in absehbarer Zeit an Grenzen, wird in der Studie vermerkt. Aus verschiedenen Gründen sei auch der Einsatz von Wasserstoff als Kerosinersatz nicht sinnvoll, wird argumentiert.

Was wäre also zu tun, um die möglichen und absehbaren Folgen einer weiteren massiven Zunahme des Flugverkehrs möglichst hintanzuhalten? Ein erster Schritt bestünde in der Beseitigung seiner Steuerprivilegien. Flugtreibstoff ist nach wie vor sowohl von Umsatz- wie von Treibstoffsteuer befreit. Der steuerfreie Duty-Free-Verkauf (er soll 1999 in der EU abgeschafft werden) subventioniert die Flughafengesellschaften. Staaten und Städte finanzieren aufwendige Infrastrukturbauten zum Erreichen der Flughäfen und stecken Forschungsgelder in die Entwicklung von neuen Flugzeugen.

Vor allem aber ginge es darum, der Kostenwahrheit auch im Flugverkehr zum Durchbruch zu verhelfen, insbesondere dadurch, daß man ihm seine Umweltkosten durch entsprechende Gebühren und Steuern zurechnet. Nur so kann der künstlich angeheizte Flugboom eingebremst werden. Es muß doch etwas im Kostengefüge unserer Wirtschaft nicht stimmen, wenn ein Flug von Wien nach Marseille billiger kommt als die Bahnfahrt.

Die Sehnsucht nach der Ferne Zwei gegenläufige Entwicklungen: Die Zahl der Auslandsflugreisen hat sich seit 1990 verzehnfacht (!), der Überschuß der Reiseverkehrsbilanz hingegen auf ein Fünftel verringert - und das in einem Land, das stark auf Tourismus ausgerichtet ist. Immer mehr Österreicher verbringen ihren Urlaub in fernen Gegenden. Nicht zuletzt wegen der allzu billigen Flugpreise.

Diese Entwicklung kann und soll nicht durch Dekret gestoppt werden. Eine realistische Zurechnung der vom Flugverkehr verursachten Kosten - insbesondere im Bereich der Umwelt - würde zur Verteuerung der Flugtarife und damit zu einer sinkenden Nachfrage nach Fernreisen führen.

Zum Thema Eine Umweltbilanz Die vorliegende Studie des "Verkehrsclub Österreich" bietet einen gut lesbaren Überblick über den derzeitigen, immer noch recht lückenhaften Stand des Wissens im Bereich der Folgewirkungen des Flugverkehrs auf die Umwelt. Neben einer Vielzahl von Illustrationen findet man auch gut lesbare und informative Graphiken. Für Österreich, Deutschland und die Schweiz werden die besonderen Aspekte in eigenen Kapiteln abgehandelt. Ansätze zur Reduzierung der Umweltbelastung des Flugverkehrs werden aufgezeigt.

Flugverkehr - Wachstum auf Kosten der Umwelt.

Grenzen und Risiken des Flugverkehrs unter Umweltgesichtspunkten. Wien 1997, 64 Seiten, öS 240.

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