Antje Boetius - © Foto: Alfred-Wegener-Institut / Kerstin Rolfes

Boetius: „Individualverzicht löst das Problem nicht“

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Covid-19 hat die Klimapolitik kurzfristig zum Stillstand gebracht. Nun sollte eine Zeit großer politischer Veränderungen kommen, sagt Klimaexpertin Antje Boetius.

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Covid-19 hat die Klimapolitik kurzfristig zum Stillstand gebracht. Nun sollte eine Zeit großer politischer Veränderungen kommen, sagt Klimaexpertin Antje Boetius.

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Der globale Lockdown hat in vielen Regionen der Welt zu verbesserter Luftqualität oder sau- bereren Gewässern geführt. Doch für eine nachhaltige Klimapolitik braucht es viel mehr, erklärt die Meeresbiologin Antje Boetius.

DIE FURCHE: Frau Boetius, die Klimapolitik steht gerade still. So wurde der Klimagipfel in Glasgow, bei dem im November alle Staaten neue Klimaziele vorgelegt hätten, verschoben. Schließen sich die Bekämpfung der Coronakrise und Klimapolitik aus?
Antje Boetius: Ich denke, es ist nachzuvollziehen, dass gerade alle Aufmerksamkeit darauf konzentriert wird, das exponentielle Wachstum der Infektion zu stoppen. Gipfel und Konferenzen haben etwas damit zu tun, dass viele Menschen reisen und sich treffen, und das ist nunmal verboten. Das würde ich nicht als Desinteresse der Politik an Klimathemen werten. Immerhin hat der 11. Petersberger Klimadialog gerade per Videokonferenz stattgefunden, und die Leitfrage war: Wie können wir einen Neustart nach der Krise klimagerecht organisieren? Die Krise wird bewältigt werden, und dazu gehört, Arbeitsplätze, Wertschöpfungsketten und die Liquidität von Unternehmen zu sichern. Aber es geht auch darum, sich künftig so aufzustellen, dass Krisen wie Pandemien, Hitzewellen, Überflutungen, Landflucht verhindert werden können. Denn das ist alles Teil einer Krise, es geht nicht um lauter verschiedene Probleme, die man nacheinander behandeln kann.

DIE FURCHE: Vielerorts verzeichnet man aufgrund des Lockdowns derzeit teils positive Auswirkungen auf einige Parameter des Klimawandels. Werden diese Veränderungen von Dauer sein?
Boetius: Auf der einen Seite gilt, dass wir um jede Gigatonne CO2 froh sein können, die wir einsparen. Auf der anderen Seite habe ich aber vor allem eines aus diesem massiven Lockdown gelernt: Selbst wenn wir nicht mehr fliegen, nicht reisen oder wenig Lust beziehungsweise Chance auf Konsum haben – das löst das Klimaproblem nicht. Es wird geschätzt, dass wir durch Corona global sechs Prozent CO2-Emission einsparen werden. In Deutschland anteilig mehr. Aber wir müssen ja in nur einem Jahrzehnt den Pfad gebaut haben, treibhausneutral zu leben. Das hat also nicht so viel mit Individualverzicht zu tun wie mit dem globalen Umbau des Energiesystems durch Nutzung regenerativer statt fossiler Energie. Es scheint immer klarer, dass kaum jemand von einer Rückkehr in die alte, für Klima und Natur und damit auch uns Menschen verheerende Gegenwart ausgeht.

DIE FURCHE: Erholen sich Meere ebenso schnell wie die Luft?
Boetius: Was den Ozean insgesamt angeht, oder auch den Zustand der Landökoysteme, so geht es leider nicht so schnell wie bei der Frage von sauberer Luft durch den Corona-Shutdown. Die Austauschprozesse in der Atmosphäre laufen um ein Vielfaches schneller ab als im Ozean. Während sich Umweltsignale in der Atmosphäre global in Zeitskalen von Tagen und Wochen ausbreiten, findet die Durchmischung des Ozeans auf Zeitskalen von Jahrzehnten bis zu Jahrhunderten bis Jahrtausenden statt. Der ozeanische Kohlenstoffspeicher ist verbunden mit der globalen Umwälzbewegung und Tiefenwasserbildung und kann Änderungen daher nur langfristig auf Zeitskalen von bis zu tausend Jahren ausgleichen. Und wenn Fischereinetze durch Kaltwasserkorallenriffe gezogen werden, so brauchen diese auch tausende von Jahren, bis sie sich erholt haben. Dennoch zeigt die Krise, wo wir Menschen weniger Ressourcen verbrauchen, weniger Überfüllung, Lärm und Abfall entsteht, geht es der Natur grundsätzlich etwas besser.

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