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Kernenergie ja - aus Rücksicht auf die andern

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Zehn Tage trennen uns - bei Erscheinen dieses Blattes - noch von der umstrittenen Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf. Im Zug unserer Serie, die zur kritischen Meinungsbildung mithelfen soll, kommt nun ein Vertreter der Elektrizitätswirtschaft zu Wort, der auf die globalen Aspekte der Energieversorgung der Zukunft hinweist.

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Zehn Tage trennen uns - bei Erscheinen dieses Blattes - noch von der umstrittenen Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf. Im Zug unserer Serie, die zur kritischen Meinungsbildung mithelfen soll, kommt nun ein Vertreter der Elektrizitätswirtschaft zu Wort, der auf die globalen Aspekte der Energieversorgung der Zukunft hinweist.

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Wenn heute aus aktuellem Anlaß über Kernenergie in Österreich diskutiert wird, so geschieht dies vielfach vor dem Hintergrund von bestimmten Gruppen-, bisweilen sogar Einzelinteressen, wobei vor Polemik sowie Verfälschung von Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht Halt gemacht wird. Die Gegner der Stromerzeugung aus Kernenergie berufen sich auf eventuelle Risken durch unvorhersehbare Zwischenfälle, auf angeblich noch nicht gelöste Lagerprobleme, lassen aber trotz aller bisheriger Erfahrungen im Ausland außer aucht daß das Kernenergierisiko im Verhältnis zu anderen Gefahren der technischen Umwelt relativ gering ist. Vor allem übersehen sie die ethische und moralische Verantwortung, die eine Minderheit der Weltbevölkerung (in den' Industrieländern) gegenüber einer Mehrheit (in den unterentwickelten Regionen) trägt.

Wirtschaftswachstum sichern

Spielen doch für die Entwicklungsländer die Energieversorgung der Zukunft im allgemeinen und die Bedarfsdeckung durch Kernenergie im besonderen eine wesentliche, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Nur mit einer gesicherten Energieproduktionssteigerung läßt sich auch ein Wirtschaftswachstum ermöglichen, das allein die notwendige Umverteilung innerhalb der Industriegesellschaften einerseits und zwischen Industrie- und Entwicklungsländern andererseits gewährleistet.

Wer heute gegen die Kernenergie zu Felde zieht, indem er das Wirtschaftswachstum verteufelt, verschließt seine Augen vor den Tatsachen der Vergangenheit und den Notwendigkeiten der Zukunft. Läßt sich doch keinesfalls wegdiskutieren, daß sich im Laufe der letzten Jahrzehnte die gesellschaftlichen

Verhältnisse in den heutigen Industrieländern allein als Folge des Wirtschaftswachstums ganz entscheidend verbessert haben. Nur durch mehr Wohlstand breiter Schichten ist es gelungen, Hunger und Unterernährung weitgehend zu beseitigen. Durch die Verbesserung der medizinischen Versorgung wurde die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen erheblich verlängert. Das edlgemeine Bildungsniveau und die Ausbildungsmöglichkeiten für die Jugend konnten damit deutlich verbessert werden. Das Netz der sozialen Sicherheit wurde enger und fester geknüpft.

Auf diese eindeutig positive Entwicklung wies erst kürzlich der bayerische Wirtschaftsminister Anton Jauman, auf dem Forum „Atom-zeitalter - Fortschritt oder Bedrohung“ beim 85. deutschen Katholikentag in Freiburg hin und erinnerte daran, daß dies ohne „Wirtschaftswachstum, ohne beträchtliche Fortschritte der menschlichen Produktivität nicht möglich gewesen wäre“.

Was die Zukunft betrifft, meinte Jaumann: Wer auf weiteres Wirtschaftswachstum verzichten wolle, der verzichte

• „auf die Hoffnung der sozialen Randgruppen, daß sich auch ihre wirtschaftliche und soziale Lage in absehbarer Zeit verbessert;

• auf die Möglichkeit, in Zukunft wieder allen Erwerbswilligen einen mögichst sicheren und produktiven Arbeitsplatz zu verschaffen;

• auf die Chance, die Jugend noch sorgfältiger und fundierter auszubü-den und damit besser zu befähigen;

• auf den sozialen Frieden, der nicht zuletzt darauf beruht, daß die gesellschaftlichen Umverteilungsansprüche nicht aus der Substanz, sondern aus dem jährlichen Zuwachs befriedigt werden können;

• auf einen breitgefächerten technischen Fortschritt, ohne den die Wirtschaft ihre Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten nicht halten und die bestehenden Umweltsprobleme nicht lösen kann,

• sowie auf die Verpflichtungen der Industrieländer der Dritten und Vierten Welt gegenüber.“

Auf den Zusammenhang zwischen Verteilung des Wohlstandes und Energieversorgung hatte bereits im Vorjahr der damalige stellvertretende Ministerpräsident des Iran und Präsident der Atomenergie-Organisation, Akbar Etemad, auf der Tagung „Probleme der Kernenergie -Chancen, Risken und Perspektiven in einer sich wandelnden Energiewirtschaft“ hingewiesen: „Unsere heutige Welt ist durch einen weitverbreiteten sozio-ökonomischen Dualismus gekennzeichnet mit einer alarmierenden Armut und - als Ergebnis - mit einem sich vertiefenden Gefühl von Frustration und Empörung. Eine Unmenge von Studien, die versuchten, sich ein Bild von der Weltgemeinschaft um das Jahr 2000 zu machen, teilen sich in die alarmierende Erkenntnis einer internationalen Gemeinschaft, die durch eine eher noch stärker ins Ungleichgewicht gekommene geographische Verteilung des Wohlstandes gekennzeichnet ist. Als Antwort auf dieses Ungleichgewicht entsteht auf Seite der weniger entwickelten Völker die weitverbreitete Entschlossenheit, ihren Status durch schnelle und großangelegte Entwicklungsbemühungen zu verbessern. Die Erfüllung dieses Zieles ist jedoch von der Verfügbarkeit des resultierenden Energiebedarfs abhängig, sowohl was materielle Ressourcen als auch was Technologie betrifft.“

Zugleich verwies Etemad darauf hin, daß „die eigentliche Energiekrise noch kommen wird, falls man zuläßt, daß die derzeitigen Verbrauchsgewohnheiten bezüglich fossiler Energieträger anhalten. Um eine für die Weltbevölkerung des Jahres 2000 ausreichende Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen und um weitere Verbesserungen der weltweiten Ernährung zustande zu bringen, muß sich die Nahrungsmittelproduktion nahezu verdoppeln. Dies wird ganz beträchtliche Energieinvestitionen erfordern“. Angesichts der begrenzten Reserven fossiler Energieträger wie Gas und öl gebe es aber nur eine lebensfähige Alternativ-ener-gieform, ehe längerlebige Energiequellen technisch verfügbar seien: die Kernenergie.

Auf die ethische und logische Notwendigkeit für eine gerechte und zukunftssichere Welt ging auf derselben Tagung auch David Rose, Professor für Nuclear Engineering am Massachusets Institute of Technology (MIT) in Boston ein, indem er fragte: „Was werden wir tun, wenn die klassischen Formen - Erdgas, Erdöl und sogar Kohle - nicht mehr existieren? Bei mehr Sorge um die Gesellschaft könnten wir besser fragen: Was steht anderen Völkern dieser Erde zur Verfügung und all jenen, die nach uns kommen werden?“ Rose prophezeite, daß die Zeit diese Probleme nicht lösen werden: „Fossile Brennstoffe werden im wesentlichen verschwunden sein, noch ehe sich die am meisten unterentwickelten Völker entwickeln können.“

Krieg um letzte Erdölreserven?

Daß sich daraus zwangsläufig eine kriegerische Auseinandersetzung im Kampf um die letzten verbleibenden Erdöl- und Erdgasreste ergeben könnte, wenn keine Alternativen zur Verfügung stünden, daran ließ Rose keinen Zweifel. „Die Gerechtigkeit lehrt uns, daß alle Völker der Welt eine vernünftige Möglichkeit haben sollten, Lebensbedingungen zu erhalten, die vergleichbar denjenigen sind, deren sich jene erfreuen, denen es am besten geht. Wir sollten aufhören, uns Illusionen über die wach-

sende Verfügbarkeit von Erdöl und Erdgas zu machen. Dasselbe gilt für die Kohle, wenn auch in einem längerfristigen Zeitraum. So kommen wir zu den drei größten langfristigen Alternativen: Sonnenenergie, Kernfusion und Kernspaltung.“

Mit den Alternativen bei der Energieversorgung beschäftigte sich auch der Experte Edward Teller, der davon ausging, daß von den vier Milliarden Menschen dieser Erde rund drei Milliarden im tiefsten Elend leben. Vor diesem Hintergrund „geht es nicht darum, Energie einzusparen, sondern es geht darum, Leben zu erhalten“. Seiner Ansicht nach wäre die Kernenergie wegen ihrer komplizierten Technologie für die meisten unterentwickelten Völker von nur beschränktem Nutzen. „Das hat aber zur Folge, daß wir die immer knapper werdenden Vorräte an öl und Gas für die unterentwickelten Völker reservieren müssen. Geschieht dies nicht, so werden nicht nur Arbeitsplätze verloren gehen; es bedeutet auch, daß sich die Entwicklungsländer nicht entwickeln können. Das wird zur Folge haben, daß in diesen Ländern Millionen Menschen verhungern, was Verzweiflung hervorrufen wird, die zur Revolution und zum Krieg führen wird.“

Alle diese Gesichtspunkte beleuchten den Stellenwert der gesicherten Energieversorgung in der heutigen und der zukünftigen Gesellschaft. Zugleich wird aber auch klar, daß in der Energieversorgung schon jetzt ein notwendiger evolutionärer Wandel stattfinden muß, weil eben die traditionellen Primärenergiequellen in immer begrenzte-rem Umfang zur Verfügung stehen.

Zur Uberbrückung der - in sämtlichen Prognosen schon ab Mitte der achtziger Jahre vorhergesagten -Verknappung kann daher insbesondere auch unter Bedachtnahme auf unsere Mitverantwortung für all jene Menschen, die noch weit von unserem Lebensstandard entfernt sind, auf die friedliche Nutzung der Kernenergie nicht verzichtet werden.

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