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Unsere große Sorge

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Die Steiermark ist ein traditionsreiches Industrieland. Eisen, Stahl, Kohle, Holz und Magnesit sind tragende Pfeiler unserer Wirtschaft. Der strukturelle Wandlungsprozeß in der Weltwirtschaft wirkt sich im besonderen auf die herkömmlichen Produktionszweige auch in unserem Land aus. Die Eisen- und Stahlindustrie hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; schwindende Gewinnmargen und Auftragsbestände sind das sichtbare Symptom. Die Probleme des Kohlenbergbaues wurden im Sommer dieses Jahres virulent. Die österreichischen Bergbaue verlangten beim Finanzministerium die Abgeltung der Lohnerhöhungen im Bergbau in der Höhe von rund 25 Millionen Schilling. Im Mai dieses Jahres war ein vom Mindsterrat eingesetztes Energiekomitee zum Beschluß gekommen, einem aus Beamten und Fachleuten zusammengesetzten Gremium den Arbeitsauftrag zu erteilen, einen Energieplan zu beraten. Zuerst wurde die Situation im Kohlenbergbau durchleuchtet und der Schluß gezogen, die Kohlenproduktion von 5,2 Millionen Jahrestonnen um eine Million Jahrestonnen einzuschränken und die Schließung der Bergbaue Tauchen, Fchnsdorf und Bergla vorzuschlagen. Dieses Komitee hat das Kohlenproblem aus der Sicht der Quantität der Kohlenförderung und der Defizite gesehen. Zwei Drittel des österreichischen Bergbaues ist in der Steiermark beheimatet, daher wirkt sich die Reduzierung der Förderung als ein ernstes menschliches, wirtschaftliches und soziales Problem aus. Es mag für den Außenstehenden den Anschein haben, als ob die betroffenen 3000 Bergleute ohne weiteres in unserer noch immer wachsenden Wirtschaft eine neue Existenz finden können, zumal 50.000 Fremdarbeiter in Österreich beschäftigt sind. Die Beamten und Fachleute haben zweifellos aus ihrer Sicht ökonomisch sachliche Schlüsse gezogen. Sie haben Vorschläge auf den Tisch gelegt, die die Regierung in ihrer politischen Verantwortung entscheiden sollte. Ich bin der Meinung, daß es nicht Sache der Regierung sein kann, solche Beschlüsse zu fassen. Die Unternehmensleitungen tragen als Vorstände der Aktiengesellschaften die Verantwortung und haben daher auch einvernehmlich mit den Sozialpartnern Entscheidungen herbeizuführen, die sachgerecht auf die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte Rücksicht nehmen. Der steiermärkischen Landesregierung wird ver- siteckt und offen vorgeworfen, ihre Stellungnahme und Kritik gegen die Schließung von Bergbauen gehe an ökonomischen Problemen vorbei und sei als mangelnder Weitblick zu werten. Fachleute und Nationalökonomen haben zweifellos die Verpflichtung, nach einer gründlichen Analyse und dem Studium der Materie, Vorschläge zu unterbreiten, die Politik hat aber das Maß des Möglichen ebenso zu prüfen wie die ökonomischen Aspekte.

Es ist auch nicht verantwortbar, eine Region wie etwa das südsteirische Grenzland oder den Raum von Fohnsdorf, nahe dem Ruin zu bringen beziehungsweise die Bergarbeiter freizusetzen, ohne daß diese in der erreichbaren Umgebung Arbeitsplätze finden. Den Unternehmensleitungen obliegt auch die Aufgabe, bei notwendigen Reduzierungen des Kohlenbergbaues Wege zu suchen, die den freigesetzten Bergarbeitern eine, angemessene Existenz bietet. Es darf auch nicht vergessen werden, daß die Bergarbeiter in der Nachkriegszeit mit dem Energieträger Kohle den Wiederaufbau eingeleitet und mitgetragen haben. An die politische Verantwortung soll nicht umsonst appelliert werden, ansonsten würde zwangsläufig das Vertrauen in die Konzeption der Wirtschaftspolitik schwinden.

Dabei ist zu bedenken, daß faktisch die Steiermark allein die Last der Strukturkrise im Kohlenbergbau zu tragen hätte. Um den Grad der Schwierigkeiten deutlich zu machen, sei nur auf die Gruben Bergla und Habisch im südweststeirischen Grenzgebiet verwiesen. Die dort verbliebenen 550 Bergarbeiter der beiden Betriebe sind das Rückgrat der Wirtschaft in diesem Raum. Ihre Freisetzung würde einen wirtschaftlichen Notstand herbeiführen, oder wie ein führender Nationalökonom , sich ausdrückte, es würde eine Mondlandschaft entstehen. Das ist leider nicht übertrieben. Im Umkreis von 60 km von den genannten beiden Grüben sind keine Ersatzarbeitsplätze vorhanden. Die Abwanderung wäre unausweichlich, dabei ist die Frage offen, wo die über Fünfundvierzigjährigen — und das ist der überwiegende Teil — überhaupt noch Arbeit finden sollen. Besonders betroffen wären die Eigenheimsiedler, die sich unter großen Opfern eine Heimstätte errichtet heben, die sie letzten Endes nicht mitnehmen können. Daher mußte sich die steiermärkische I rndesregierung gegen die Schließung von Kohlenbergbauen aussprechen, solange nicht Ersatzbetriebe angesiedelt werden. Die Landesregierung hat weiters die Auffassung vertreten, daß das Kohlenproblem nicht losgelöst von einem Energiekonzept gesehen wer den kann. Die Beurteilung muß aus gesamt- österreichischer Sicht und nicht von den Defiziten einzelner Kohlengruben her gesehen, erfolgen. Es fehlt nicht an der Erkenntnis, daß in einer wachsenden Wirtschaft Umstrukturierungen notwendig, ja sogar wünschenswert sind. Umschichtungen können sich aber nur in dem Augenblick verhältnismäßig reibungslos vollziehen, wenn eine neue Struktur geschaffen wird. Der Bund hat den Schritt getan und 100 Millionen Schilling für die Ansiedlung von Betrieben bereitgestellt. Mit dieser Summe kann man zwar nicht das Auslangen finden, dennoch wurde ein beachtlicher Beginn gesetzt. Darüber hinaus wird auch die steiermärkische Landesregierung einen gleich hohen Betrag zur Verfügung stellen, der bei Industriegründungen angesprochen werden kann. Die -strukturelle und regionale Wirtschaftspolitik muß positiv und- ausgleichend sein. Sie soll Neues schaffen und nicht Bestehendes ohne Rücksicht auf die betroffenen Familien und Gebiete beseitigen.

Eines steht fest: Die Grundlage einer Lösung des Kohlenproblems kann nur ein gesamtösterreichisches Energiekonzept bieten, welches die Koordinierung der einzelnen Energieträger, Kohle, Gas, Wasser, öl und das Atom zum Gegenstand hat. Die Frage ist nun, wie koordiniert werden soll. Ein fachlich einwandfreies Konzept, unbeeinflußt von Sonderinteressen und verantwortet von den dazu berufenen- Organen, wird jene Größenordnungen herauszustellen haben, innerhalb dessen die Energieträger wirtschaftlich optimal genützt werden können und welchen Platz die Kohle einnehmen wird. Eine Art energiewirtschaftliche Gesamtrechnung wird der Ausgangspunkt eines solchen Kon-

zeptes sein müssen. Dabei wird auch einzukalkulieren sein, ob man eine billige oder sichere Energieversorgung will. Da die sichere Energie ausdrücklich zu bejahen ist, ist der Wasserkraft unter Verwertung der Kohle bereits ein bestimmter Platz eingeräumt. Die vom Nationalrat einstimmig geforderte Verbilligung des Heizöls kommt einem Todesstoß für den heimischen Bergbau gleich. Die Beseitigung des Konkurrenten Kohle würde sich in der weiteren Folge auch preislich spürbar auswirken. Wir können es uns als neutraler Staat nicht leisten, ausschließlich von ausländischem öl, Gas und spaltbarem Material abhängig zu sein. Die heimische Energiebasis ist mit der Garant für eine wirksame Neutralität in Krisenzeiten. Niemand würde dafür Verständnis haben, wenn leichtfertig, um eines augenblicklichen Vorteiles willen, eine Situation heraufbeschworen wird, die die Versorgung der Haushalte und Industrien einmal gefährdet. Ein warmes Zimmer zu haben ist heute eine Selbstverständlichkeit. Eine fehlgeleitete Energiepolitik und die Mißachtung heimischer Energieträger könnte eines Tages zu einem bitteren Erwachen führen. Die Bedeutung des Kohlenbergbaues ist nicht hochgespielt. Tausende

Bergarbeiter mit ihren Familien, Gewerbe, Landwirtschaft und Handel, sehen eine trübe Zukunft. Die Solidarität mit den Bergleuten hat breite Bevölkerungsschichten in der Steiermark erfaßt. Der hochwürdige Diözesan- bischof Dr. Schoiswohl hat ebenso seine mahnende Stimme erhoben und die menschliche Seite dieses Problems herausgestellt. Das vordringlichste soziale Anliegen in der Zukunft ist die Sicherung des Arbeitsplatzes. Es lohnt sich, um den richtigen Ausweg zu ringen.

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