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Es begann im Juli

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Es begann in den ersten Tagen der zweiten Juliwoche: Die Grazer „Kleine Zeitung“ platzte mit einer Meldung heraus, nach der die Kohlengrube Fohnsdorf gefährdet sei, weil ein Ministerkomitee, das mit dem Problem des Überschusses an Industriekohle und der Rationalisierung des Kohlenbergbaues befaßt ist, als Zwischenergebnis der Beratungen beschlossen habe, die Kohlenförderung in Österreich von sechs Millionen Tonnen im Jahr auf drei bis dreieinhalb Millionen Tonnen pro Jahr herabzusetzen. Nun ist Fohnsdorf ein defizitärer Betrieb der eiper allmonat-, liehen Injektion von rund fünf Mil- lionęn.Scįjlling bedarf, ,Leb?n zu bleiben; Außerdem hat.das .Beispiel des Bergbaues in Ratten bewiesen, daß man in der gegenwärtigen Situation auf dem Kohlenmarkt manchmal sehr drastisch zu handeln pflegt. Trotz der in Österreich üblichen Vertröstungsmanöver (man sprach zu Beginn des Jahres 1960 von einem „Ausklingen“ des Bergbaues Ratten im Laufe des Jahres 1962), fuhr am 15. Juli I960' der letzte Hunt in die Braunkohlengrube Ratten ein. Kurz darauf wurde mit der Demontage begonnen. Schon ab 1. April des Jahres I960 war in den weststeirischen Kohlengruben Pöl- fing-Bergla und Obersdorf der Einschichtbetrieb eingeführt worden. Dennoch waren die Fohnsdorfer Knappen hoffnungsfroh: Nicht so sehr wegen gewisser Versprechungen ihres obersten Chefs, Vizekanzler Dr. P i 11 e r- m a n n, daß ihre Arbeitsplätze selbstverständlich erhalten blieben, sondern wegen der Tatsache, daß in Fohnsdorf kräftig investiert wurde: Der Ausbau eines Schrägschachtes unter Tag und eine neue Kohlenwäscherei mit Bandanlage und Verladebunker. Kostenpunkt: gelinde geschätzt, 170 Millionen Schilling. Außerdem wird zur Stützung, ja geradezu zur Rettung des Fohnsdorfer Bergbaues das Dampfkraftwerk Zeltweg errichtet. Dieses Kraftwerk soll mit Fohnsdorfer Kohle gespeist werden und 41 Prozent der Gesamtkosten (619 Millionen Schilling), nämlich 253 Millionen Schilling, wurden bereits verausgabt. Wie gesagt, die Fohnsdorfer Kumpel fühlten sich recht geborgen — bis die Bombe mit Zeitzünder platzte ...

Am Donnerstag, 13. Juli, streikten die Fohnsdorfer Bergleute. Am gleichen Tag fuhr der schon erwähnte Landtagsabgeordnete Lackner nach Wien und telephonierte noch am Vormittag mit dem Betriebsrat in Fohnsdorf: Nach Gesprächen mit Sektionsehel Dipl.-Ing. Schopf und Dr. Zimmer m a n n von der Sektion IV de! Bundeskanzleramtes (Verstaatlichte Betriebe) verkündete er, man sei in Wier „äußerst erstaunt“ über die Einstellungsgerüchte. Der Vizekanzlei war nicht anwesend. Die Kumpel hörten zu streiken auf, aber bereits an 10. Juli waren die schlechten Chancei für den Fohnsdorfer Bergbau von de

Upine Montan offiziell bestätigt wor- len; am 23. August wurde die Schlie- iung des Karl-August-Schachtes offi- :iell verlautbart. Mit der Bemerkung, laß von den 320 freiwerdenden (umpel „vorerst“ 230 in den Wod- :icki-Schacht überstellt werden. Die ihrigen Arbeitnehmer finden in den Upine-Werken Steirische Gußstahl- verke AG., Judenburg, und in der Maschinenfabrik Zeltweg Arbeitsmög- ichkeiten. Niemand wird also arbeits- os. Störend wirkt nur das „vorerst".

Die Kumpel bezahlen die Zeche

Die Kohlenkrise ist weder- - ein 'fovuttl noch eine" typisch österrei- :hische Erscheinung. Typfsbh'3 Öster- 'efchisch "i!rt,r'rittf' diė TmprovVshtToni- ust, mit der man der Krise zu begegnen sucht. Und die Kumpel müssen lie Zeche zahlen! Jene Kumpel, die lach dem Krieg die bitter notwendige ohle unter den schwierigsten Bedingungen förderten, Kohle, die zu einem inechten Preis weiterverkauft wurde, im die Wirtschaft anzukurbeln. Durch liesen Verzicht auf einen echten

Kohlenpreis soll, nach Angaben der Alpine Montangesellschaft, die österreichische Wirtschaft mit rund fünf Milliarden Schilling subventioniert worden sein.

Sentiments: im Wirtschaftsleben wenig gefragt

Aber genug: Derartige Sentiments sind im Wirtschaftsleben nicht gefragt. Heute ist die Situation so: Andere Energieträger, wie Erdöl, Erdgas und Wasserkraft haben die Kohle weitgehend verdrängt. Die Experten sind außerdem der Ansicht, daß man ab 1975 auch schon mit der Nutzung der Atomenergie rechnen könne. Diese Entwicklung läßt sich nicht aufhalten. Dazu kommt, daß Österreich billigere Auslandskohle importiert. 1960 waren es 700.000 Tonnen, davon 480.000 Tonnen, also 68 Prozent, aus der CSSR und aus Polen. Die Folge war, daß die österreichische Kohlenproduktion, die im Jahre 1957 noch sieben Millionen Tonnen betrug, bis zum Jahre 1960 auf 5,7 Millionen Tonnen im Jahr gedrosselt wurde. Besonders betroffen von dieser Einschränkung waren die Kohlenbetriebe im Land Steiermark, denn zwei Drittel der in Österreich geförderten Kohlenmenge kommen aus steirischen Gruben.

Im gleichen Jahr, als die österreichische Kohlenproduktion noch auf Hochtouren lief, 1-957, wurde begonnen, in die Steiermark eine Erdgasleitung zu legen! Die Alpine Montan versicherte allerdings begütigend, daß von dem Anschluß der Alpine-Betriebe an das Erdgasnetz nur die Grobsorten der Kohle betroffen wären. Und diese Grobsorten, so erklärte man, seien ohnedies leicht abzusetzen. Dennoch kam es zu einer tiefgreifenden Braunkohlenabsatzkrise, die mit der Schließung des Karl-August-Schachtes in Fohnsdorf ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Am 15. Juli schrieb Landeshaupt- i mann Kräiner' in'einem Leifartikel der „Südost-Tagesppst“; ,,... Diese Entwicklung war seit' mehreren Jahren sichtbar. Die Verantwortlichen der Steiermark haben daher immer wieder auf die unausweichlichen Auswirkun- : gen, die den Kohlenbergbau betreffen, : aufmerksam gemacht und verlangt,

daß in den betroffenen Gebieten durch i die rechtzeitige Gründung von Indu- ' strien neue Arbeitsplätze geschaffen i werden. Trotz dieser voraussehbaren i Entwicklung und obwohl die Kohlen bergbaubetriebe sich nahezu ausschließlich im staatlichen Eigentum befinden, war es nicht möglich, die Erstellung eines Energieplanes zu erreichen, der die Folgen der Kohlenabsatzkrise hätte mildern können.“

Obwohl der durchaus sachliche Artikel des steirischen Landeshauptmannes keinen direkten Angriff enthielt, reagierte tags darauf die sozialistische „Neue Zeit“ bemerkenswert sensibel: „Was wohl heißen soll, daß die Sozi diese vorausschauende Forderung bis heute sabotiert haben, während gewisse .Verantwortliche der Steiermark' sich buchstäblich .zerfranst' haben bei Planung und Initiativleistungen in Sachen Kohlenbergbau.“ Und dieser gereizten Vorbemerkung folgte dann der Aufschrei: „Wer aber die nötigen Kenntnisse hat“, so belehrt das Blatt, „weiß es anders. Dem ist bekannt, mit welchem Fleiß und mit wieviel Überlegung in den zuständigen Gewerkschaften schon seit Jahren nach Mitteln und Wegen gesucht wird, die für die Bergleute ungünstigen Auswirkungen der zeitbedingten Entwicklung auf dem Energiesektor abzuschwächen oder auszuschalten, und wie sehr zum Beispiel in den Arbeiterkammern und den Büros mancher am Geschehen unmittelbar interessierter sozialistischer Mandatare an diesen Problemen gearbeitet wird. Er weiß aber auch, daß schon seit Jahren in den Rollschränken der Abteilungen für Volkswirtschaft der Arbeiterkammern ebenso wie der Sektion IV des Bundeskanzleramtes detailliert ausgearbeitete vorzügliche Elaborate für einen gesamtösterreichischen Enereieplan aufliegen, mit welchen die Spitzen der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer bereits mehrmals versuchten, grundlegende Vereinbarungen mit der ÖVP und den ihr nahestehenden Interessenverbänden zu erreichen. Es sei zum Beispiel nur an den 1960 von der SektionJLY, einem Ministerkomitee vorgelegten Anpassungsplan für den Kohlenbergbau erinnert ... dieser Plan wurde aber (ebenso wie einige ähnliche andere) nicht angenommen, weil seine Maßnahmen privatwirtschaftliche Interessen (lies: Profite) geschmälert hätten.“

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