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Riese vor Wachstumskrise?

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für eine Einfuhr dänischer Eier zu interessieren.

Die Russen erklärten sich zur Abnahme von 200 Tonnen bereit, boten jedoch unannehmbar niedrige Preise. In dieser Situation erhielten die Dänen von deutscher Seite einen Wink, daß eine Herabsetzung der Sonderabgabe von 25 auf 15 Pfennige möglich sein dürfte. Nun kam es zum Abbruch der dänisch-sowjetischen Verhandlungen, da die Dänen wieder mit dem westlichen Markt zu rechnen begannen. Ende April aber wurde die Abgabe nicht herabgesetzt, sondern — von 25 auf 50 Pfennige erhöht!

Die Reaktion in Kopenhagen war dementsprechend! Als nun die Russen ihr Kaufangebot erst auf 400 und dann auf 1500 Tonnen erhöhten und schließlich sogar noch einer Preiserhöhung zustimmten, mußten sie der dänischen Landwirtschaft als Retter in der Not erscheinen. Das ist nur ein leicht überschaubares Beispiel, doch ist es ähnlich auch in anderen — und noch wichtigeren — Bereichen.

So werden die psychologischen und handelsmäßigen Voraussetzungen für einen Erfolg der sowjetischen Politik geschaffen, die gleichzeitig auch einen Rückschlag für die Politik Westeuropas darstellen. Man muß gerechterweise zugeben, daß diese Niederlage verdient ist!

Anderseits muß der breiter werdende Zollgraben zwischen der

EWG- und der EFTA-Gruppe auch dem westdeutschen Handel zunehmende, bisher unbekannte Schwierigkeiten bereiten, dies besonders dem sehr exportaktiven deutschen Autoexport.

... und der motorisierte Konflikt

Schwedens Konsum an Lebensmitteln erhöhte sich von 1956 bis 1962 wertmäßig um 20 Prozent, der Konsum von Bekleidung und Textilien um 28 Prozent, doch die Ausgaben für motorisierte Fahrzeuge stiegen um etwa 80 Prozent. 1955 hatte man in Schweden 535.000 Kraftfahrzeuge, 1960 waren es 1,100.000, und 1963 erreichte man die Zahl 1,540.000. Jeder vierte ledige Mann und jeder zweite verheiratete Mann besitzt in Schweden ein Auto. Mit etwas über vier Personen hat Schweden die weitaus größte Kraftwagendichte in Europa.

Der leitende Direktor der Scania-Vabis - Volkswagenverkaufsorganisation in Schweden (die jährlich 50.000 neue und 70.000 gebrauchte Wagen umsetzt) hat erst kürzlich die Situation sorgenvoll kommentiert.

Ein weiterer Umstand, der sich — je länger um so mehr! — zuungunsten des deutschen Exportes auswirken muß, ist die störende Wirkung der Diskriminierung schwedischer Exportgüter durch die EWG-Politik! Als der Sprecher im schwe-

dischen Rundfunk von der bekanntgewordenen Bedrohung des schwedischen Stahlexportes nach der Bundesrepublik berichtete, läutete umgehend bei einigen VW-Verkäufern das Telephon und einige Interessenten für den Volkswagen teilten mit, daß sie sich unter den gegebenen Umständen doch lieber einen schwedischen oder einen englischen Wagen zulegen wollten. Schlägst du meinen Stahlexport, schlage ich deinen Volkswagen! Diese Mentalität mag bedauerlich sein, sie ist begreiflich, und auf jeden Fall liegen ihre Ursachen nicht in der Politik Stockholms sondern werden in Brüssel fabriziert!

Auf eine Diskriminierung, die einen politischen Anstrich hat, antwortet der durchschnittliche Käufer im Norden ganz einfach mit einer politischen Überlegung. Und das gilt für den gesamten Bereich der Einfuhrwaren, nicht nur für die Kraftwagen. So wird eine ehemals glänzende Position durch politische Fehlgriffe von außen her unterhöhlt.

Noch ist der Graben zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken nicht un-übersteigbar, noch exportiert die deutsche Autoindustrie jährlich für über 500 Millionen Kronen allein nach Schweden, noch, doch wie lange noch? Die oben wiedergegebenen Darlegungen des größten Importeurs deutscher Waren in Schweden sollten gut bedacht werden, vielleicht auch in Österreich!

Als „Wachstumskrisen“ hat UNO-Generalsekretär U Thant die politische Unruhe in den neuen Staaten des subsaharanischen Afrika bezeichnet, von denen bisher namentlich der seiner Bevölkerungsanzahl nach größte dieser Staaten, Nigeria, seit seiner Unabhängigkeitserklärung am 1. Oktober 1960 ausgenommen blieb.

Die Ergebnisse der Volkszählung von 1963, die Ende Februar dieses Jahres verlautbart worden sind, haben die Stellung Nigerias unter den Staaten Afrikas in .spektakulärer Weise unterstrichen. Nach den Ziffern der letzten, noch unter britischer Herrschaft im Jahre 1952 vorgenommenen Zählung besaß Nigeria

— ohne das Treuhandgebiet Südkamerun, das 1961 Bestandteil des unabhängigen Kamerun wurde — rund 30,4 Millionen Einwohner, von denen 16,8 Millionen auf die Nordregion (730.000 Quadratkilometer), 7,2 Millionen auf die Ostregion (76.000 Quadratkilometer) und 6,1 Millionen auf die Westregion (118.000 Quadratkilometer) und 272.000 auf die Bundeshauptstadt Lagos entfielen. Hievon entfielen etwa 20,1 Millionen auf die fünf größten Volksgruppen mit mehr als einer Million Angehörigen. Nach dem Nigeria Year Book von 1960 waren 13,7 Millionen der Gesamtbevölkerung Muslime (überwiegend im Norden), 6,5 Millionen Christen verschiedener Bekenntnisse (hauptsächlich im Süden), mehr als zehn Millionen anderer Religion. Jedenfalls besaß Nigeria schon früher eine Bevölkerung, die größer war als die Liberias und aller anderen zwölf neu entstandenen Staaten Westafrikas zusammen — ein Umstand, der ihm im neuen Afrika von Anfang an eine besondere Stellung gesichert hat.

Drei-Parteien-Proporz

Die zehn Jahre später, 1962, durchgeführte nächste Zählung ergab jedoch so unerwartet stark angestiegene Bevölkerungsziffern, daß ihre Ergebnisse nicht verlautbart, sondern vielmehr offiziell annulliert wurden, da sie ansonst das prekäre politische Gleichgewicht zwischen den drei ungleich großen Regionen die inzwischen zu autonomen Bundesländern geworden waren, umzu-

stürzen drohten. In jeder dieser drei Bundesländer herrschte seit Einführung des parlamentarischen Systems traditionell eine politische Partei, die die Masse ihrer Anhänger in der jeweils stärksten Volksgruppe der Region besaß: Im Norden der NPC (Kongreß der nördlichen Völkerschaften), im Osten der NCNC (Nationalkonvent nigerianischer Bürger), im Westen die AG (Gruppe der Aktion). Auf Bundesebene regiert seit 1959 eine Koalition NPC-NCNC gegen die (von den Joruba der Westregion getragene) AG als Oppositionspartei, doch besaß eben keine der großen Parteien die absolute1 Mehrheft. ' - s'< rrtsi

An neunter Stelle der Welt

Die 1963 wiederholte Volkszählung, deren Ergebnisse ein Statistikerteam der UNO geprüft hat, ehe sie veröffentlicht wurden, gab der Bundesrepublik Nigeria eine Gesamtbevölkerung von 55,653.821 Menschen. Damit übertrifft Nigeria nicht nur den seiner Bevölkerung nach nächstgrößten Staat Afrikas, die VAR, annähernd um das Doppelte, sondern läßt auch alle Länder Westeuropas hinter sich und rückt (nach China, Indien, Sowjetunion, USA, Japan, Indonesien, Pakistan Brasilien) an die 9. Stelle unter den Staaten der Welt vor. Im einzelnen ergaben sich folgende Ziffern: Nordnigeria 29,778.000 (Zunahme 76 Prozent), Ostnigeria 12,389.000 (Zunahme 71 Prozent), Westnigeria (einschließlich der neuen Mittelwestregion) 12,922.000 (Zunahme 110 Prozent), Lagos 675.000 (Zunahme 153 Prozent). Nigeria hätte danach in elf Jahren seit dem letzten offiziellen Zensus eine jährliche Zuwachsrate von mehr als fünf Prozent, anstatt wie angenommen etwa zwei Prozent verzeichnet — eine stille Bevölkerungsexplosion —, oder die britischen Zählungen, was nicht unwahrschein-

lich ist, kamen seinerzeit zu viel zu niedrigen Ergebnissen.

Die drei regional verankerten Mehrheitsparteien hatten in der Bundespolitik seit jeher Verbündete bei den völkischen Minoritäten im Bereiche der anderen Regionen gesucht. 1962 wurde die in Westnigeria herrschende, auf Bundesebene jedoch in Opposition stehende „Aktionsgruppe“ durch innere Spaltung lahmgelegt. Die Regierungsparteien benützten dies, um Westnigeria zeitweilig der Verwaltung eines Regierungskommissärs zu unterstellen; der frühere Ministerpräsident des Landes, Obafemi Awolowo, der Gründer der AG,1 wurde 1963 in einem Hochverratsprozeß zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der NCNC, der eine starke Opposition innerhalb Westnigerias darstellte, konnte die Situation ferner dazu nützen, um die Errichtung einer neuen vierten „Mittelwestregion“ durch Abtrennung von zwei der acht Provinzen der alten Westregion, Delta und Benin, durchzusetzen. Das neue Bundesland (38.000 Quadratkilometer mit 1952: 1,500.000, 1963: 2,533.000 Einwohnern) wurde nach einem Referendum im Juli des Vorjahres, bei dem sich 20 Prozent der Wähler für die Trennung von der Joruba-Mehrheit der Westregion ausgesprochen hatten, am 9. August 1963 errichtet. Aber es wurde alsbald politisches Streitobjekt der beiden Regierungsparteien, die in den Regionalwahlen vom 3. Februar 1964 gegeneinander antraten. Der NCNC konnte zwar 60,3 Prozent der Stimmen und damit die große Mehrheit der Landtagssitze, die mit dem NPC des Nordens verbündete „Demokratische Front des Mittelwestens“ jedoch immerhin 36,8 Prozent und damit indirekt zum erstenmal der NPC einen lokalen Teilerfolg im Süden Nigerias buchen.

Zug zum Zweiparteiensystem

Der neue Bundesstaat wird übrigens kaum finanzielle Sorgen haben; seit seiner Errichtung sind an mehr als einem Dutzend Stellen auf seinem Gebiet öl und ferner Erdgas gefunden worden, dessen Lizenzerträge er sich mit der Bundesregierung nun teilen kann.

Für die Zukunft Nigerias kündigt sich mit all dem eine bedeutsame Veränderung an. Die AG, seit der Krise von 1962 noch ohne klare Linie, hat den NCNC im „Mittelwesten“ teilweise unterstützt. Mit ihrer Hilfe, wie mit derer der Minderheiten des Nordens wäre eine Mehrheit auch gegen den NPC möglich, der seinerseits, als die bislang bei weitem stärkste regionale Partei, bei kommenden Wahlen zum Bundesparlament schon in Verbindung mit kleineren, südlichen Grup-

pen die absolute Majorität erlangen könnte.

Es scheint so, daß das bisherige klassische Gleichgewicht im bevölkerungsreichsten Staate Afrikas seinem Ende entgegengeht. Dem Versuch, einen weiteren neuen Bundesstaat auch in seinem Herrschaftsbereich ins Leben zu rufen, setzt der NPC sein Motto „Ein Norden — ein Volk, ungeachtet Religion, Stand und Stamm“ entgegen und vermag sogar Sezession anzudrohen. Der zu erwartende Übergang vom Drei- und Zweiparteiensystem, der sich seit der Krise in Westnigeria von 1962 abzeichnet und durch die demographischen Verschiebungen einen weiteren Akzent erhalten hat, dürfte nicht ohne Erschütterungen vor sich gehen, wie sie eben in Nigeria bislang ausgeblieben sind.

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