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Neubeginn in Afrika?

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Wirtschaftlichen Stagnation, Auslandsverschuldung und Umweltprobleme zwingen zum Überdenken bisheriger Entwicklungsstrategien: In Afrika soll die Landwirtschaft Vorrang bekommen.

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Wirtschaftlichen Stagnation, Auslandsverschuldung und Umweltprobleme zwingen zum Überdenken bisheriger Entwicklungsstrategien: In Afrika soll die Landwirtschaft Vorrang bekommen.

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Das Wirtschaf tswachstum in den afrikanischen Ländern belief sich ab 1961 im Durchschnitt auf insgesamt 3,4 Prozent pro Jahr und lag damit nur geringfügig über dem Bevölkerungswachstum. 1987 betrug das Bruttoinlandsprodukt dieser450 Millionen Menschen zählenden Region - das ist mehr als das Doppelte der Bevölkerungszahl im Zeitpunkt der Unabhängigkeit -insgesamt rund 1750 Milliarden Schilling, was ungefähr dem BIP Belgiens mit nur zehn Millionen Einwohnern entspricht.

Das Wachstum war dabei zeitlich und räumlich, das heißt je nach Ländern, unregelmäßig verteilt. Im großen und ganzen kann man drei Perioden unterscheiden: 1961-1972, als die Pro-Kopf-Einkommen anstiegen. 1973-1980,einePeriodeder Stagnation. 1981-1987, eine Periode der Rezession. In einigen Ländern (beispielsweise Liberia, Niger und Nigeria) war der Verfall des Pro-Kopf-Einkommens seit 1980 mit weit über 25 Prozent katastrophal.

Wie immer gab es auch hier Ausnahmen, insbesondere Botswana, mit einem j ährlichen Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens von mehr als acht Prozent in den vergangenen 26 Jahren, während Kongo vier Prozent und Lesotho mehr als drei Prozent verzeichneten.

Die sich verschärfende Krise Afrikas ist gekennzeichnet durch ein geringes landwirtschaftliches Wachstum, eine rückläufige Industrieproduktion, eine schwache Exportleistung, steigende Verbindlichkeiten sowie sinkende volkswirtschaftliche Indikatoren und eine Verschlechterung der Institutionen und der Rahmenbedingungen.

Die landwirtschaftliche Erzeugung ist seit 1970 im Durchschnitt um weniger als 1,5 Prozent pro Jahr gestiegen, wobei die Nahrungsmittelproduktion langsamer expandiert hat als die Bevölkerung. Obwohl die Industrie im ersten Jahrzehnt der Unabhängigkeit ungefähr dreimal so schnell gewachsen ist wie die Landwirtschaft, trat in den letzten Jahren in vielen afrikanischen Ländern, in denen eine Entindustrialisierung eingesetzt zu haben scheint, ein alarmierender Rückgang ein. Während sich das Exportvolumen seit 1970 so gut wie nicht erhöht hat, ist der Anteil Afrikas am Welthandel um fast die Hälfte gefallen.

In den siebziger Jahren haben die afrikanischen Regierungen umfangreiche Auslandskredite aufgenommen, um die Einkommen und die Investitionen auf dem erreichten Stand zu halten. Die langfristige Schuld Afrikas ist so seit 1970 auf das 19fache gestiegen und ist nunmehr ebenso hoch Wiedas Bruttosozialprodukt dieser Länder, die damit die am höchsten verschuldete Region in der ganzen Welt bilden.

Die Schuldendienstverpflichtun-gen betrugen 1988 47 Prozent der Ausfuhreinnahmen, wovon jedoch nur rund die Hälfte tatsächlich zurückgezahlt wurde. Es wurden über 100 Umschuldungen vereinbart, und trotzdem fallen immer noch Rückstände an.

Menschlich gesehen ergeben sich aus der Krise schwerwiegende Auswirkungen. In mehreren Ländern gehen die Ausgaben im sozialen Bereich stark zurück, die Schulbesuchsrate sinkt, die Ernährung verschlechtert sich und die Säuglingssterblichkeit ist weiterhin hoch.

Die offene Arbeitslosigkeit in den Städten, insbesondere bei Jugendlichen mit Schulausbildung, nimmt ebenfalls zu. Der Bevölkerungsdruck in ländlichen Gebieten beschleunigt die Desertifikation und die Entwaldung, was auf lange Sicht die Produktionskapazität der afrikanischen Länder bedroht.

Brennholz wird zunehmend knapp, und die Böden werden ausgelaugt und ihrer Fruchtbarkeit beraubt, obwohl keiner dieser Trends bislang genau gemessen worden ist.

Schließlich wird der Verfall der Institutionen symbolisiert durch die Unzulänglichkeit von Universitäten, die einst zu den besten der Welt gehört haben, den Verfall befestigter Straßen sowie den Zusammenbruch des Justiz- und des Bankensystems. Schlecht geführte öffentliche Stellen mit zu viel Personal lasten auf den produktiven Sektoren.

Viele Regierungen werden durch Korruption zugrunde gerichtet und sind zunehmend unfähig, das Vertrauen der breiten Bevölkerung zu gewinnen. Oftmals fordern politische Instabilität, Staatsstreiche und ethnische Rivalitäten schreckliche Opfer von der hilflosen Bevölkerung. Die Kosten der Destabilisie-rung im südlichen Afrika sind ungeheuer hoch gewesen.

Die Entwicklungsbemühungen nach der Unabhängigkeit sind fehlgeschlagen, weil die Strategie falsch konzipiert war. Die Regierungen stürzten sich auf die „Modernisierung" und kopierten westliche Modelle, statt sie den lokalen Bedingungen anzupassen.

Das führte zu schlecht geplanten öffentlichen Investitionen in der Industrie, zu geringer Beachtung der bauerständischen Landwirtschaft, einem Zuviel an Intervention in Bereichen, wo es dem Staat an verwaltungsmäßigen, technischen und unternehmerischen Fähigkeiten fehlte, sowie zu geringen Anstrengungen in bezug auf die Förderung von Basisentwicklungen. Diese Vorgehensweise des Aufoktroyierens beraubte die gewöhnlichen Menschen, deren Energien im Rahmen der Entwicklungsbemühungen am ehesten hätten mobilisiert werden müssen, ihrer Motivation.

Wenn Afrika Hungersnöte vermeiden und seine wachsende Bevölkerung mit Arbeitsplätzen und steigenden Einkommen versehen will, müssen die Volkswirtschaften der einzelnen Länder um mindestens vier bis fünf Prozent pro Jahr expandieren. Das muß als ein Mindestziel angesehen werden. Als Quelle dieses Wachstums kommt nur die landwirtschaftliche Produktion in Frage, die plangemäß um vier Prozent pro Jahr gesteigert werden muß.

Unter diesen Bedingungen können die afrikanischen Länder nicht nur ihren eigenen Bedarf an Nahrungsmitteln decken, sondern darüber hinaus die für die Entwicklung erforderlichen Devisen hervorbringen.

Für die Industrie ist das Wachstumsziel - anfänglich fünf und später sieben bis acht Prozent pro Jahr - höher als für die Landwirtschaft, was anderswo gesammelten Erfahrungen entspricht. Wenn alle anderen Bereiche um rund vier bis ten, wenn sie durch eine Reihe von Anreizen dazu ermutigt werden. Die Grundlagen der Förderung der Produktion und der Produktivität sind einerseits bestimmte Anreize und andererseits die materielle Infrastruktur. Beide sind von ausschlaggebender Bedeutung.

Eine unzulängliche Infrastruktur - schlecht unterhaltene Straßen, ineffiziente Häfen, unzuverlässige Versorgungsleistungen und dergleichen - treibt die unternehmerischen Kosten in die Höhe. Mit diesem Problem sind die meisten afrikanischen Länder konfrontiert, in einigen von ihnen ist die Situation chronisch.

Um die Frage zu lösen, sollten die Regierungen vorrangig die Infrastruktur sanieren, bevor sie in neue Anlagen investieren. Die Kosten könnten reduziert werden durch Rückgriff auf kleinere örtliche Firmen, und die Einnahmen können konkurrenzfähigen Gehältern für hochqualifizierte Beamte schaffen. Schließlich erfordert eine bessere Regierung politische Erneuerimg. Das setzt die konzertierte Bekämpfung der Korruption von der höchsten bis zur niedrigsten Ebene voraus. Diese kann erfolgen durch beispielhaftes Benehmen, Stärkung der Verantwortlichkeit, Ermunterimg der öffentlichen Diskussion sowie Entwicklung einer freien Presse. Es bedeutet weiter die Unterstützung der Frauen und der Armen durch Förderung von Nicht-regierungs- und Basisorganisationen, beispielsweise Landwirtevereinigungen, Genossenschaften und Frauengruppen.

Im Gegensatz zur Vergangenheit bildet bei der künftigen Strategie die Landwirtschaft die Hauptgrundlage des Wirtschaftswachstums. Hier besitzt Afrika einen unmittelbaren komparativen Vorteil. Auf die Landwirtschaft entfallen 33 Prozent des afrikanischen Bruttoinlandsprodukts, 66 Prozent der Arbeitskräfte und"40 Prozent der Ausfuhren. Darüber hinaus besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem landwirtschaftlichen und dem industriellen Wachstum. Die Bauern brauchen den städtischen Markt, und die städtischen Produzenten verdanken ihre Entwicklung zum großen Teil dem Absatz an die ländliche Bevölkerung.

Selbst bei voller Berücksichtigung der umweltbedingten Sach-zwänge ist der Spielraum für die Steigerung der Agrarproduktion groß, obwohl er von Land zu Land schwankt. Es ist beabsichtigt, die Produktionssteigerung von zwei Prozent seit 1960 auf vier Prozent anzuheben - eine Rate, die erforderlich ist, um die Nahrungsmittelversorgung zu sichern und die ProKopf-Einkommen anfänglich nur um ein Prozent und schließlich um zwei Prozent pro Jahr anzuheben.

Eine Wachstumsrate von vier Prozent ist ehrgeizig, liegt aber im Bereich des Möglichen. Kamerun, Cöte d'Ivoire, Kenia, Malawi und Ruanda haben über längere Perioden hinweg Wachstumsraten von vier Prozent und mehr erzielt. Andere Länder, zum Beispiel Äthiopien, Sudan, Zaire und Sambia -um nur die größten zu nennen -verfügen über mehr Anbauflächen. Daneben gibt es einige wenige Länder, vor allem in der Saheteone, die dieses Ziel wahrscheinlich nie erreichen werden.

Auszug aus: SUB-SAHARAN AFRICA: FROM CRISIS TO SUSTAINABLE CROWTH, Weltbankberichtl989

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